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       # taz.de -- Bauernproteste in den Niederlanden: „Das ganze Land stilllegen“
       
       > Die Bauernproteste in den Niederlanden verschärfen sich. Um neue
       > Stickstoffregeln allein geht es den Landwirten dabei längst nicht mehr.
       
   IMG Bild: Auseiandersetzung zwischen Demonstranten und Polizisten während der Bauernproteste in Den Haag
       
       Amsterdam taz | Unter dem Titel „Es wird passieren!!! Die ganzen
       Niederlande dicht!!“ verbreiten aktivistische Bauern derzeit über den
       Messengerdienst Telegram einen Aufruf zu Protesten am kommenden Montag:
       „Schiphol, der Flughafen Eindhoven, Den Haag, der Hafen von Rotterdam, alle
       Distributionszentren für Lebensmittel schließen und öffnen nicht mehr, bis
       unsere Regierung die Pläne geändert hat.“ Bislang habe sich die Regierung
       nicht von den Protesten „des agrarischen Sektors und der Provinzbewohner“
       beeindrucken lassen, heißt es. Daher sei es Zeit für „große Aktionen“.
       
       Die Proteste ausgelöst hat eine Krise, die das Land nicht erst seit diesem
       unruhigen Sommer beschäftigt. In den Niederlanden sind die
       Stickstoff-Emissionen mehr als dreimal so hoch wie im europäischen
       Durchschnitt. Einer Studie aus 2019 zufolge ist die Landwirtschaft mit 61
       Prozent die wichtigste Quelle. Jüngste Zahlen berichten freilich, dass der
       durch Viehausscheidungen freigesetzte Stickstoff im letzten Jahr deutlich
       gesunken sei.
       
       Stickstoffoxide und Ammoniak, zu denen der Stickstoff in der Luft reagiert,
       sind [1][Vorläufersubstanzen von gesundheitsgefährdendem Feinstaub und Ozon
       und schädigen Ökosysteme]. Deshalb kündigte die Regierung in Den Haag Mitte
       Juni an, den Ausstoß von Stickstoff um 50 Prozent zu reduzieren. Eine
       detaillierte „Stickstoff-Karte“ gliedert das Land in Zonen, in denen man
       die Emissionen je nach Nähe zu den Naturgebieten um 12 bis 95 Prozent
       senken will. Im Detail sollen sich dann die Provinzen um die Umsetzung
       kümmern.
       
       Seither halten die Demonstrationen an. Vor einer Woche kamen im Dorf Stroe
       im Zentrum der Niederlande Zehntausende Landwirte zusammen. Es war eine
       friedliche Kundgebung, auf der die Initiatoren aber ankündigten, man werde
       zu anderen Maßnahmen greifen, sollte die Regierung ihre Pläne nicht ändern.
       Der Unmut der Bauern speist sich aus dem Frust, jahrelang ihre Betriebe an
       neuen Umweltauflagen ausgerichtet zu haben, und der Furcht, ihre Höfe
       trotzdem aufgeben zu müssen. In Den Haag wird seit Jahren erwogen,
       Landwirte auszukaufen und den Viehbestand zu halbieren
       
       ## Umweltministerin privat besucht
       
       Innerhalb der vergangenen Woche haben sich die Proteste erheblich
       verschärft. Mehrfach blockierten die Landwirte Autobahnen mit Traktoren,
       zündeten Heuballen an, zweimal versammelten sie sich abends vor dem Haus
       von Umweltministerin Christianne van der Wal, was zu starker Kritik führte.
       Beim letzten Mal wurde dabei eine Polizeiabsperrung durchbrochen.
       
       Premier Mark Rutte verurteilte die Aktion. Auch vor dem Parlament fanden
       Anfang der Woche Proteste statt. Die Mehrheit der Abgeordneten sprach sich
       am Mittwoch für die vorgesehene Stickstoffreduzierung aus.
       
       Im Telegram-Aufruf räumen die Initiatoren der Regierung nun im Stil eines
       Ultimatums „Zeit, um die Pläne in den Papierkorb zu werfen“ ein. Ihr
       einschüchterndes Auftreten bringt den Protestierenden nun zunehmend die Wut
       weiter Teile der Bevölkerung ein. Trotzdem erklärten 45 Prozent der
       Teilnehmenden einer Umfrage in der vergangenen Woche, vollkommen hinter den
       Protesten zu stehen. Im Oktober waren es noch 38 Prozent.
       
       Bei Kundgebungen sieht man derweil vermehrt Plakate, man kämpfe „für die
       Freiheit aller Niederländer “ – oder dass 90 Prozent der Bevölkerung die
       Proteste guthießen. Diese Zahl entbehrt zwar jeder Grundlage, unabhängig
       davon aber haben sich die Bauernproteste, [2][die schon im Herbst 2019 ein
       ähnliches Publikum anzogen wie die späteren Corona-Demonstrationen], zu
       einem symbolträchtigen Feld dieser Szene entwickelt.
       
       1 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Müller
       
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