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       # taz.de -- Bleiberecht für gut integrierte Menschen: Hamburg bleibt hart
       
       > Hamburg will dem Bundesgesetz, das ein Bleiberecht für geduldete Menschen
       > ermöglichen wird, nicht vorgreifen – und steht damit im Norden alleine
       > da.
       
   IMG Bild: Mehr als 7.000 Menschen in Hamburg haben nur eine Duldung
       
       Hamburg taz | Sie könnten vielleicht bleiben, dürfen aber nicht: In Hamburg
       werden Personen, die unter einer neuen Regelung Aussicht auf einen
       Aufenthalt hätten, weiterhin abgeschoben. Während andere Bundesländer im
       Norden Vorgriffsregelungen getroffen haben, um das zu verhindern, will
       Hamburg bis zum Inkrafttreten der Regelung warten. Die Linken-Fraktion und
       zivil-gesellschaftliche Organisationen kritisieren die Haltung des Senats.
       
       Das Bundesinnenministerium brachte vor einem halben Jahr [1][einen
       Gesetzentwurf] heraus, der gut integrierten Menschen ein Bleiberecht in
       Deutschland ermöglichen soll. Das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht ist
       darin ein zentrales Element. Die Regelung würde Personen, die seit dem 1.
       Januar 2022 fünf Jahre in Deutschland leben, nicht straffällig geworden
       sind und sich „zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen“,
       ein Bleiberecht auf Probe ermöglichen.
       
       Am 2. Juni 2022 gab es in Hamburg 7.494 Personen mit einer Duldung. Viele
       von ihnen könnten vom kommenden Gesetz profitieren. Doch bis eine
       verbindliche Regelung auf Bundesebene greift, dürfen die Länder über die
       Umsetzung von Übergangsmaßnahmen entscheiden.
       
       Die Hamburger Innenbehörde bezieht dabei eine klare Haltung: Veränderungen
       des Verwaltungshandelns könnten sich nur nach aktuellem Recht richten. Es
       müsse daher bis zum Gesetzgebungsverfahren abgewartet werden. Auch dass der
       Gesetzentwurf im Koalitionsvertrag steht, spiele dabei keine Rolle, weil
       der nicht rechtlich bindend sei.
       
       Bereits Anfang des Jahres stellte die flüchtlingspolitische Sprecherin der
       Linken-Fraktion, Carola Ensslen, einen Antrag. Darin forderte die Partei
       den Senat auf, in Anlehnung an das zukünftige Gesetz in Fällen, die unter
       die neue Regelung fallen würden, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
       abzusehen. In der Antwort auf den Antrag beharrte der Senat auf seiner
       Position: Was nicht Bundesgesetz ist, dürfe nicht umgesetzt werden.
       
       Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei [2][Pro Asyl], hält den
       Starrsinn des Senats für unbegründet. Auch andere Bundesländer würden ihre
       Zurückhaltung damit untermauern, dass im Gesetz nichts davon stehe. „Aber
       jetzt gibt es einen Gesetzentwurf, und somit steht fest, dass sich etwas
       ändern wird“, so von Auer.
       
       Ähnlich äußerte sich auch der Flüchtlingsrat Hamburg dazu. Eine vorzeitige
       Abschiebung würde den Betroffenen die ihnen zugedachte Chance auf einen
       legalisierten Aufenthalt nehmen. Daher sei es wichtig, eine baldige
       Übergangslösung zu erlassen.
       
       Im Vergleich zur Hamburg [3][haben andere Bundesländer im Norden Maßnahmen
       eingeführt], um die Ausweisungen Betroffener vorläufig auszusetzen. Bremen
       und Schleswig-Holstein haben Empfehlungen erlassen, die den Behörden
       erlauben, in Einzelfällen von Abschiebungen abzusehen. In beiden Ländern
       ziehen diese Maßnahmen aber keine konkreten Verpflichtungen nach sich.
       
       Niedersachsen hat dagegen verbindliche Regelungen erlassen. Dort erhalten
       Betroffene bis zur endgültigen Gesetzesänderung eine Ermessensduldung. Für
       Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, ist das ein
       positives Zeichen. Trotzdem sieht er das größte Problem darin, dass es kein
       einheitliches Vorgehen in den einzelnen Bundesländern gibt. So könnten sich
       Weber zufolge Länder ihrer Verantwortung weiter entziehen und sich weigern,
       der Intention des Gesetzgebers zu folgen und den Vollzug von Abschiebungen
       des begünstigten Personenkreises erst einmal auszusetzen, solange das
       Chancen-Aufenthaltsrecht kein Gesetz ist. „Aus der Perspektive der
       Betroffenen ist dies natürlich eine Katastrophe“, sagt Weber.
       
       24 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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   DIR Valeria Bajaña Bilbao
       
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