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       # taz.de -- Rechte Parteien in Italien: „Babygangs“ im Marihuana-Rausch
       
       > Italiens Parlament berät über eine Liberalisierung von Cannabis und eine
       > Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Die rechten Parteien laufen Sturm.
       
   IMG Bild: Matteo Salvini von der rechten Lega Nord ist ein Gegner der Gesetzesänderungen
       
       Rom taz | In Italien droht Sodom und Gomorrha. Migrantische Jugendgangs in
       den Vororten Mailands oder Turins wedeln demnächst bei Polizeikontrollen
       mit ihren italienischen Pässen, weil sie „die Staatsbürgerschaft geschenkt
       bekommen“ haben. Dabei pusten sie den Beamt*innen Marihuanarauch ins
       Gesicht, da der italienische Staat „Joints für alle“ gesetzlich verbrieft
       hat.
       
       Etwa so müssen wir uns Italiens nähere Zukunft vorstellen, wenn wir den
       rechtspopulistischen Parteien glauben dürfen, die gegen zwei dem Parlament
       vorliegende Gesetzentwürfe auf die Barrikaden steigen.
       
       Von nächster Woche an wird das Abgeordnetenhaus sowohl über die
       Liberalisierung des Cannabiskonsums als auch die Reform des
       Staatsbürgerschaftsrechts für minderjährige Kinder von Migrant*innen
       befinden.
       
       Es sind die Fraktionen der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), der
       Fünf Sterne und diverser weiterer kleiner Mitte-links-Parteien, die beide
       Entwürfe eingebracht haben. Bei Haschisch und Marihuana sollen privater
       Anbau mit bis zu vier Pflanzen auf dem Balkon und im Garten sowie der
       Konsum straffrei sein. Schon heute ist der Besitz kleiner Mengen zum
       Eigenverbrauch zwar kein Verbrechen mehr – wohl aber ein Vergehen, das mit
       Geldbußen, vor allem aber mit administrativen Sanktionen wie dem Entzug des
       Führerscheins bestraft werden kann. Alle diese Sanktionen würden wegfallen.
       
       ## Salvini: „Konzentrieren wir uns auf Strom- und Gasrechnungen“
       
       Beim Staatsbürgerschaftsrecht soll auch schon Minderjährigen aus
       ausländischen Familien der Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit
       ermöglicht werden. Bisher können sie diese erst im Alter von 18 Jahren
       beantragen, auch wenn sie in Italien geboren sind.
       
       Jetzt schlagen die Mitte-links-Parteien das „Ius scholae“ („Recht der
       Schule“) vor. Wer immer in Italien aufgewachsen ist und mindestens fünf
       Jahre Schulbesuch mit dem Abschluss eines der Zyklen (Grund-, Mittel-,
       Oberschule) vorweisen kann, soll Italiener*in werden können. Etwa
       900.000 Minderjährige könnten von dieser Maßnahme profitieren. Weitere
       500.000 junge Erwachsene, die mit 18 Jahren ihre Anträge gestellt haben,
       dürfen auf eine Beschleunigung ihrer Verfahren hoffen.
       
       [1][Matteo Salvini], Chef der rechtspopulistischen Lega, befindet, diese
       angestrebten Reformen seien „Wahnsinn“. „Babygangs“ werde der italienische
       Pass schlicht geschenkt. Und überhaupt gebe es gegenwärtig andere
       Prioritäten. „Konzentrieren wir uns auf die [2][Strom- und Gasrechnungen]
       sowie auf die Löhne!“, fordert Salvini.
       
       Ins gleiche Horn bläst die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia, die
       anders als die in der Regierung vertretene Lega in Opposition zu Premier
       Mario Draghi steht. Sie kommt in jüngsten Umfragen auf 22 bis 23 Prozent
       der Stimmen und überflügelt die Lega klar. Doch auch diesmal verzichtet sie
       nicht auf den [3][rechtspopulistischen] Überbietungswettbewerb. Ihr
       Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Francesco Lollobrigida meint, angesichts
       von „Krieg, Dürre, Wirtschaftskrise, Inflation“ dürfe das Parlament seine
       Zeit nicht damit vergeuden, „über die vereinfachte Einbürgerung von
       Immigranten und die Drogenlegalisierung“ zu beraten.
       
       ## Die katholische Kirche gibt Gegenwind
       
       Während sich die Rechtsparteien als Vertreter des einfachen Volks gegen
       eine vermeintliche Lifestyle-Linke gerieren, sehen die Bürger*innen die
       Dinge anders. In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 60 Prozent für die
       Reform des Staatsbürgerschaftsrechts aus, ein Ja kam auch von 48 Prozent
       der Lega-Wähler*innen.
       
       Gegenwind bekommt die Rechte auch von der katholischen Kirche. Ein
       Vertreter der Bischofskonferenz erklärte, er hoffe, dass „die Vernunft und
       die Realität gegenüber ideologischen Debatten die Oberhand behalte“ und das
       Gesetz verabschiedet werde.
       
       3 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommunalwahlen-in-Italien/!5860596
   DIR [2] /Reduktion-bei-Nord-Stream-1/!5861687
   DIR [3] /Politische-Kultur-in-Verona/!5856855
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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