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       # taz.de -- Absage eines Uni-Vortrags in Berlin: Die große Heuchelei
       
       > Die HU hat einen Vortrag wegen angekündigter Proteste abgesagt.
       > Ernsthaft? Dann können wir die Meinungsfreiheit gleich aus dem
       > Grundgesetz streichen.
       
   IMG Bild: Biologin Vollbrecht ist Expertin für Fische – aber durfte an der Uni trotzdem nicht reden
       
       Clownfische können ihr Geschlecht wechseln, wenn es für die Fortpflanzung
       opportun erscheint. [1][Auch andere Fischarten sind trans – ein Phänomen,
       das schon in den 1980ern Wissenschaftler faszinierte.] Wenn
       Kritiker*innen also meinen, die Biologin Marie Luise Vollbrecht sei mit
       ihrer Spezialisierung auf Fische ungeeignet, um über Geschlechter in der
       Tier- und Pflanzenwelt an der Berliner Humboldt-Universität (HU) einen
       Vortrag zu halten, sind sie auf dem Holzweg.
       
       Doch ohnehin geht es gar nicht um Fragen der Qualifikation oder der
       wissenschaftlichen Zuständigkeit. Die HU hat Vollbrechts Vortrag im Rahmen
       der „Langen Nacht der Wissenschaften“ abgesagt, weil Proteste von
       Aktivist*innen angekündigt waren, die der Biologin wegen eines
       [2][Beitrags in der Welt Transfeindlichkeit] vorwerfen.
       
       Dieses Argument muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Meinungs-
       und Wissenschaftsfreiheit hört also dort auf, wo Proteste angekündigt
       werden? Können dann auch auch umgekehrt rechte Burschenschaften Vorträge
       über Transfeindlichkeit oder die rechtliche Bewertung von Abtreibungen mit
       Protestankündigungen verhindern? Werden Veranstaltungen abgesagt, weil die
       AfD vor und nach und währenddessen protestieren will?
       
       Was die HU da abliefert, ist große Heuchelei. In Bezug auf Vollbrechts
       Vortrag hat sie erschrocken zurückgezuckt. Dass sie nun den Vortrag doch
       noch nachholen will in einem weniger öffentlichen Zusammenhang, macht es
       nicht besser. Der Schaden ist da und hat bereits die Botschaft verbreitet,
       dass die Humboldt-Universität kein offener Diskussionsraum ist.
       
       Der Biologin aufgrund woker Bedenken einfach kurzfristig abzusagen, ist
       einer wissenschaftlichen Einrichtung unwürdig. Eine Universität muss
       abweichende Meinungen und Kolleg*innen aushalten können, statt sich der
       Cancel-Forderung anzuschließen. Proteste, auch laute und unangenehme, sind
       einer Universität zuzumuten. Die im Grundgesetz verankerten Rechte und
       Freiheiten können nämlich auch von noch so viel Protest nicht einfach
       weggecancelt werden.
       
       4 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.vice.com/de/article/3kaw89/ja-es-gibt-auch-trans-tiere
   DIR [2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus239113451/Oeffentlich-rechtlicher-Rundfunk-Wie-ARD-und-ZDF-unsere-Kinder-indoktrinieren.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Silke Mertins
       
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