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       # taz.de -- Erinnerung an Marwa El-Sherbini: Böser Hass
       
       > Dass antimuslimischer Rassismus tödlich ist, zeigt das Schicksal von
       > Marwa El-Sherbini. Am 1. Juli 2009 wurde sie von einem Rechtsextremen
       > ermordet.
       
   IMG Bild: Der Bruder der ermordeten Marwa El-Sherbini trägt beim Prozess ein Bild von ihr
       
       Sie war im dritten Monat schwanger und gerade mal 31 Jahre alt, als sie
       ermordet wurde. Die Gerichtsmedizin zählte sechzehn Messerstiche, davon elf
       in den Brustkorb, der Herzbeutel war durchstochen, auch beide Lungenflügel.
       Das Grauen geschah am helllichten Tag mitten in einem deutschen
       Gerichtssaal – ihr dreijähriger Sohn musste zusehen. [1][Marwa El-Sherbini]
       verstarb noch vor Ort. Das Motiv: Hass auf muslimisch wahrgenommene
       Menschen.
       
       Auf den Tag genau vor dreizehn Jahren, am 1. Juli 2009, ließ der
       Russlanddeutsche Alexander W. im Dresdner Landgericht seinem Hass freien
       Lauf. Im Gedenken an das Opfer gilt das Datum inzwischen als Tag gegen
       antimuslimischen Rassismus. Buchstäblich vor den Augen des deutschen
       Staates wurde Marwa niedergemetzelt. Für mich und für viele andere
       potenziell Betroffene war ihr Tod eine schockierende Zäsur. Art und Weise,
       vor allem Ort und Hergang ließen einen einmal mehr daran zweifeln, vom
       deutschen Staat gleichermaßen geschützt zu werden wie die
       Mehrheitsbevölkerung. Neben dem wahnhaften Hass zeigte der Fall
       strukturelle Rassismen und Unzulänglichkeiten in seltener Trigger-Dichte.
       
       Ein Jahr zuvor hatte W. die Kopftuch tragende Mutter auf einem Spielplatz
       wüst antimuslimisch beleidigt. Sie sei eine Islamistin und Terroristin und
       ihr Sohn werde bestimmt auch einer. Als El-Sherbini 2009 im Rahmen eines
       Berufungsverfahrens nach ihrer Zeugenaussage den Gerichtssaal verlassen
       wollte, fiel W. bewaffnet über sie her. Sicherheitskontrollen gab es keine.
       Trigger: Nee, ist klar, antimuslimischer Rassismus tötet halt nicht!
       
       Ihr Ehemann ging dazwischen, wurde von W. lebensgefährlich verletzt und von
       einem alarmierten Polizisten ins Bein geschossen. Er soll ihn für den Täter
       gehalten haben. Trigger: Kann ja nur der Südländer sein!
       
       Für die Bundesregierung äußerte zunächst nur der damalige stellvertretende
       Regierungssprecher sein Bedauern, trotz der von Anfang an offensichtlichen
       Muslimfeindlichkeit und der gravierenden Symbolkraft der Tat. Zehn Tage
       vergingen, ehe Kanzlerin Merkel ihr Beileid aussprach. Trigger: Migrant
       attackiert Migrantin, kann ja kein Rassismus sein!
       
       Medien berichteten auch prominent über die Tat, beschrieben das Motiv aber
       unpräzise als „Ausländerhass“, die muslimfeindliche Gesinnung Ws wurde kaum
       zur Kenntnis genommen, die Tat als schreckliche Singularität abgetan. So
       konnten mögliche gesellschaftliche Ursachen ignoriert werden! Trigger:
       Deutschland – Land der kontextlosen Einzelfälle!
       
       Über ein Jahrzehnt später sind wir einerseits ein ganzes Stück weiter: Seit
       2017 weist die polizeiliche Kriminalstatistik des BKA endlich auch
       islamfeindlich motivierte Straftaten aus, nach dem Höchststand im Jahr 2020
       (1.026 Taten) wurden 2021 die bisher wenigsten offiziell gewordenen Fälle
       (!) gezählt (732). Politik, Behörden und Medien sind diverser geworden.
       Eine sich selbst als woke bezeichnende (und bisweilen emsig nervende) junge
       Szene ist entstanden, die (auch) für (muslimisches) Empowerment sorgt … Die
       Liste ließe sich erfreulicherweise [2][lange fortsetzen].
       
       Jedoch muss deutlich mehr passieren und der Staat Tätern* klare Grenzen
       setzen, gegen strukturellen und institutionalisierten Rassismus vorgehen,
       zügiger handeln und vor allem Muslim:innen bedingungslosen Rückhalt im
       Sinne auch ihrer Grundrechte zusichern, denn auf Marwas Tod folgten weitere
       Schanden, die die staatliche und gesellschaftliche Glaubwürdigkeit
       erschüttert haben. Jedes Thema ein Schatten für sich: Sarrazin, NSU, das
       Attentat im Münchner Einkaufszentrum, Halle, Hanau … tbc?!!
       
       R.I.P., liebe Marwa El-Sherbini!
       
       1 Jul 2022
       
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