URI: 
       # taz.de -- Hamburg-Fotos ohne Idyll-Charakter: Die verborgene Ordnung der Dinge
       
       > Hans Meyer-Veden lotete soziale Prozesse und Vergänglichkeit im Lokalen
       > aus. Die Ausstellung „Chiffren einer Stadt“ zeigt Fotos aus 30 Jahren.
       
   IMG Bild: Geheimnisvoll geordnet: Bahrenfelder Straße in Hamburg-Altopna (Ausschnitt)
       
       HAMBURG taz | Es ist ein unglaublich starkes Bild: irische Pilger, die wie
       Käferchen über einen Hügel wandern, fern, fremd, im Nebel. Oder die vier
       Holzsärge von Connarmara, wie große Schuppentiere in die Landschaft gelegt.
       Es sind als irisch identifizierbare, aber keine klischeehaften Fotos, die
       der Hamburger Fotograf Hans Meyer-Veden (1931–2018), derzeit im dortigen
       [1][Jenisch Haus] präsent, 1961 auf seiner Irlandreise machte.
       
       Kurz zuvor war er in Spanien gewesen, hatte auch dort mit den scharfen
       Licht-Schatten-Kontrasten eines Caravaggio gearbeitet, ein Haus an einsamer
       Straße schwarz in den Himmel gestochen. Dann wieder kalligraphisch zart und
       verschwommen eine Kindermeute vor einem Häuserblock rennen lassen,
       Bewegungen gegen Architektur gesetzt, fast ein Videostill.
       
       Diese intensiven Fotos hat die Ausstellung „Chiffren der Stadt“ leider in
       einen gedimmten Nebengang verbannt – wohl, um anzudeuten, dass sich der
       Künstler, lange Werbe-, Architektur- und gewerblicher Fotograf, irgendwann
       davon absetzte, nicht mehr nach vermarktbaren Motiven jagen, sondern
       schlicht seine Umgebung dokumentieren wollte.
       
       Das hat der in Stade geborene Maschinenbauer, der Fotografie studierte und
       zuletzt eine Fotografie-Professur an der Fachhochschule Kiel hatte, seit
       1982 [2][in Altona] getan. Er wohnte dort und fotografierte im Viertel
       sowie an der Elbe und im Alten Land und hat einmal gesagt, man solle seine
       Fotos mit Verstand betrachten, statt das Idyll zu suchen. Das Bild der
       Fotografie könne auf besondere Weise zeigen, wie zuverlässig, wie
       authentisch ein Gegenstand ans Tageslicht komme.
       
       „Dem Photographen zeigt es aber vor allem, wie seine Augenlust wunderbar
       kollidiert mit den Energien des Realen. Seine Ambition, seine Absicht,
       vollendet sich in der empathischen Kollision mit dem Objekt“, hat er einmal
       gesagt. Was eben heißt, nicht unbedingt ein Kunstprodukt herzustellen,
       sondern, weniger übergriffig, mit dem Realen zu arbeiten. Im Hafen, in der
       Natur, in der Stadt.
       
       ## Keine Inszenierungen, sondern Fundstücke
       
       100 Abzüge seiner Schwarzweiß-Fotos aus den 1980er und 2000er Jahren sind
       nun im Jenisch Haus zu sehen, einem klassizistischen Landhaus, das zum
       [3][Altonaer Museum] gehört. Und sie wirken in der Tat nicht wie
       Inszenierungen, sondern wie Fundstücke. Zufällig am Wegesrand als skurril
       oder bemerkenswert Aufgeschnapptes.
       
       Es sind Dokumente menschlicher Spuren im Stadtraum geworden, ohne Menschen,
       einige Bilder mit gesellschaftspolitischem Kontext, andere nicht. Fotos der
       Elbe, von skurril über Mauern gewachsenem Gebüsch, von Bäumen und Wiesen
       bergen wenig politisches Potenzial. Graffiti an Hafenstraßenhäusern aus den
       1980er Jahren dagegen schon.
       
       Konsequenterweise hat man als „Intervention“ den 1895 gedrehten Film
       „Terrible Houses in Danger“ der Filmgruppe Mpz dazugestellt. Er erzählt in
       Video- und Audiosequenzen die [4][Geschichte der Hafenstraße] von der
       Besetzung 1982 bis 1985, als Hamburgs Senat die Räumung der Hafenstraße
       durch eine Unbewohnbarkeitserklärung durchsetzen wollte.
       
       Auf anderen Fotos Meyer-Vedens sind Graffiti bereits von Pflanzen
       überwuchert; Menschen und Natur konkurrieren ums Überdauern. Oder auch
       Gebäude miteinander: Das Hohe schlägt das Niedrige, das Wuchtige das Flache
       – ein riesiges Silo hat sich neben ein klassizistisches Haus gequetscht und
       drängt es aus Blick und Bild.
       
       Um Veränderung und Vergänglichkeit geht es in „Chiffren einer Stadt“, und
       auch wenn Nostalgie explizit nicht Meyer-Vedens Ziel war, empfindet man sie
       doch, wenn man alte Schiffskacheln in Altonaer Fluren sieht, neben die ein
       hässlicher Lichtschalter montiert wurde. Und die Farbe alter Türknäufe
       blättert einfach ab – hat die Nachwelt eben keine Verwendung für.
       
       Es ist ein stetiges Changieren zwischen Bestehen und Vergehen, wenn
       Meyer-Veden etwa in Altona überall Boote ortet: im dunklen Hausflur, auf
       der Terrasse, im Park, von Blättern bedeckt, fast eins mit dem Untergrund.
       Nein, Altona vergisst nie, dass es am Hafen liegt, dass es einst viele
       kleine Räuchereien gab. Aber die Art der Beziehung hat sich verändert, das
       alte Handwerk existiert nicht mehr.
       
       ## Mäßig gelungene Intervention
       
       Die (teilweise zugewanderte) Arbeiterschaft dagegen schon: Die zweite
       „Intervention“ dieser Schau besteht aus Bildern des Hamburger
       Fotojournalisten Michael Meyborg, der zwischen 1979 und 1995 der Türkei
       stammende MigrantInnen fotografierte. Anders als die Fotos Meyer-Vedens
       sind sie bunt und zeigen Alltag: einen Fleischer bei der Arbeit, Vater und
       Sohn im Wohnzimmer, eine munter posierende Kindergruppe.
       
       Dieses Intermezzo soll die Schau wohl etwas „heutiger“ machen, aber es
       wirkt gewollt und stört den „Lesefluss“ der Meyer-Veden-Schau, die manchmal
       auch einfach nur Bizarres zeigt: Was hat es zum Beispiel mit dem
       gepolsterten Hocker im Gras auf sich, auf dem eine Schaufel so liegt, das
       sie eigentlich herunterrutschen müsste? Festgeklebt hat er sie bestimmt
       nicht, und so bleibt man beunruhigt angesichts der labilen Statik, die das
       Foto überraschend lebendig macht.
       
       Andere Fotos von Straßenkreuzungen erinnern an die verlorene Atmosphäre
       eines Edward Hopper. Und nur auf den ersten Blick hat hier jemand
       willkürlich in ein Gewirr parkender Autos im Schilderwald fotografiert.
       Denn genau diese scheinbare Unordnung ist es, die solche Fotos reizvoll
       macht und fordert: Suche die Ordnung in den Dingen selbst! Der Fotograf
       gibt sie nicht (mehr) vor, nun sind die BetrachterInnen an der Reihe.
       
       Den wiederum – und das ist die dritte „Intervention“ dieser Ausstellung –
       hat sich der Hamburger Street Art Künstler Tona vorgenommen. Er hat auf
       seinen Reisen Kinder, die ihn beim Malen beobachteten, fotografiert. Die
       Bilder stilisiert er zu Schablonen und bringt sie als Siebdrucke auf marode
       Türen und Fassaden. Im Jenisch Haus hängen mehrere davon auf durchsichtigen
       Scheiben. Angebracht sind sie neben Meyer-Vedens Fotos graffiti-bemalter
       Fassaden. Ein gelungener Transfer in Aktualität und Dreidimensionalität.
       
       3 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Spaete-Ehre-fuer-Maler-Ernst-Eitner/!5417709
   DIR [2] /Norddeutsche-Kolonialgeschichte/!5416050
   DIR [3] /Direktorin-ueber-Hamburger-Filmgeschichte/!5823047
   DIR [4] /Pilotprojekt-am-Gefahrenort-Drogen/!5847087
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
   DIR Hamburg
   DIR Elbe
   DIR Fotografie
   DIR Altona
   DIR Hamburger Hafen
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR zeitgenössische Fotografie 
   DIR Festival
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ein Sommer in der Stadt: Die Tage am Hafen
       
       Container sehen auf einem Güterschiff viel interessanter aus als auf einem
       LKW. Das hat wohl mit Romantik und dem Sommer zu tun.
       
   DIR Fotoinstitut des Bundes: Hotspots der Fotografie
       
       Braucht es ein nationales Fotoinstitut nach dem Vorbild des Marbacher
       Literaturarchivs? Auf jeden Fall gäbe es dafür mehr als einen Kandidaten.
       
   DIR Hamburger Triennale für Photographie: Was die Welt sein könnte
       
       Sie ist ein Nachdenken darüber, was Fotokunst zeigt: „Currency: Photography
       beyond capture“ ist die zentrale Ausstellung bei der Hamburger Triennale.
       
   DIR Foto-Festival in Worpswede wird virtuell: Wenn Realitäten sich ändern
       
       Das Fotofestival „RAW“ in Worpswede ist ins Internet umgezogen. Jetzt kann
       es jünger werden – und über die Künstlerkolonie hinausstrahlen.