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       # taz.de -- Wut und Protest in China: Aufstand der Kleinsparer
       
       > In der Provinz Henan demonstrieren wütende Anleger. Die chinesischen
       > Behörden reagieren darauf mit roher Gewalt.
       
   IMG Bild: Wenn's um Geld geht, kennen diese chinesischen Kleinsparer keinen Spaß
       
       Peking taz | [1][Selten entlädt sich der chinesische Volkszorn in
       öffentlichen Protesten], doch am Sonntag versammelten sich über tausend
       wütende Menschen vor der örtlichen Zentralbank in der Metropole Zhengzhou.
       „Wir wollen unser Geld zurück“, schrien die Kleinsparer, offensichtlich
       Opfer eines Finanzskandals. Als die ersten Polizeitruppen anmarschierten,
       warfen sie mit Plastikflaschen und schimpften auf die Beamten. Trotz deren
       Überzahl weigerte sich die Menschenmenge, nach Hause zu gehen.
       
       Die [2][Staatsmacht] schlug mit Härte zurück. Diese „Drecksarbeit“ ließ die
       Polizei von Sicherheitskräften in Zivil durchführen: Muskulöse Männer mit
       Kurzhaarschnitt schlugen auf die Protestierenden ein, darunter auch
       schwangere Frauen. Dutzende Personen wurden gewaltsam weggezerrt, in Busse
       gesteckt und abtransportiert. Einige von ihnen schossen Selfies mit ihrem
       Smartphone, um ihre Verletzungen zu dokumentieren: blutige Gesichter,
       angeschwollene Augen, aufgeplatzte Lippen. Ein Mann behauptete gar, von
       örtlich angeheuerten Kleinkriminellen verprügelt worden zu sein –
       überprüfen lässt sich seine Aussage nicht.
       
       Allerdings ist das Anliegen der Demonstranten mehr als berechtigt: Es
       handelt sich um Kleinsparer, die seit Monaten bereits keinen Zugriff mehr
       auf ihr Geld haben. Betroffen sind Kunden von insgesamt vier Lokalbanken in
       der zentralchinesischen Provinz Henan, die mutmaßlich in einen
       Spekulationsskandal verwickelt sind. Offenbar hat ein Anteilseigner hohe
       Geldsummen veruntreut und ist schlussendlich untergetaucht. Die Banken
       haben infolgedessen Gelder in Höhe von umgerechnet mehreren hundert
       Millionen Euro eingefroren.
       
       Dagegen wollten die Demonstrierenden eine Petition einreichen. „Doch die
       Polizei hat uns über Lautsprecher gesagt, dass wir das Gesetz brechen
       würden“, sagte ein 40-Jähriger der Nachrichtenagentur Reuters: „Das ist
       lächerlich. Es sind die Banken, die das Gesetz brechen.“
       
       ## Mafia-Staat
       
       In den sozialen Medien zeigten sich viele User entrüstet. „Ich kann es gar
       nicht glauben. Legitime Interessen werden mit Füßen getreten“, kommentierte
       ein Nutzer auf der Online-Plattform Weibo. Ein anderer meint: „Die
       Volksmassen werden wie Feinde behandelt. Doch die, die mit Feuer spielen,
       werden sich am Ende selbst verbrennen. Ihr solltet die Massen nicht
       schikanieren!“ Manch einer schrieb gar von einem „Mafia-Staat“.
       
       Fast ebenso schnell setzten die Zensoren den Löschstift an. Mehr als wenige
       Minuten überlebte kaum einer der kritischen Postings. Die jetzigen
       Demonstrationen von Zhengzhou hatten bereits im Juni ein Vorspiel. Damals
       haben die Kleinsparer versucht, sich für Proteste zu versammeln. Viele von
       ihnen wurden schon bei ihrer Ankunft am Bahnhof festgesetzt: Ihr
       sogenannter Gesundheitscode, den jeder Chinese seit der Pandemie auf seinem
       Smartphone mit sich führt, wurde von den Behörden plötzlich von Grün auf
       Rot gestellt. Im Klartext bedeutet das: Zwangsquarantäne.
       
       ## Proteste wirken – auch in China
       
       Zunächst sprach die Lokalregierung von angeblich „technischen Problemen“,
       doch nach zunehmendem öffentlichen Druck gelobte sie, den Skandal gründlich
       aufzuarbeiten. Insgesamt fünf Beamte wurden schließlich wegen „Missbrauchs
       des Gesundheitscodes“ abgestraft.
       
       Die Ereignisse vom Sonntag zeigen mehr als deutlich, dass sich an der
       Grundproblematik nichts geändert hat: Die Staatsmacht kann ihr
       Gewaltmonopol vielfach willkürlich und ohne gesetzliche Grundlage gegen das
       Volk missbrauchen – anschließend löschen die Zensoren ihr Vorgehen und die
       Proteste dagegen aus dem kollektiven Gedächtnis.
       
       10 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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