URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Hundekuchen mit Schleifchen
       
       > Trauer um Haustiere einmal anders: Das rheinland-pfälzische Institut
       > „Pietät & Pie“ bahrt die Verblichenen zum Fressen gern auf.
       
   IMG Bild: Ging den Weg allen Fleisches: Rauhaardackel Butzi
       
       „Auf Wiedersehen, Butzi!“, wispert Karola Findeisen und verabschiedet sich
       tränenreich mampfend von ihrem geliebten Rauhaardackel Walter von
       Butzmannshausen. Seinen Geschmack beschreibt die Hinterbliebene ganz nach
       seinem Wesen als „phlegmatisch mit einem zart tranigen Aroma, aber von
       ausgeprägt hinterhältigem Charakter“. Satt wird die Hundefreundin von der
       halben Portion allerdings nicht, deswegen bestellt Findeisen noch einen
       Yorkshire Pudding, den die Trauergesellschaft am Vormittag hatte stehen
       lassen. „Schmeckt pappig süß, fast niedlich“, befindet Findeisen über das
       terriergefüllte Backwerk und pult sich mit dem Zahnstocher ein rosa
       Schleifchen aus den Zähnen.
       
       Im Trauerinstitut „Pietät & Pie“, das kürzlich im rheinland-pfälzischen
       Katzenelnbogen eröffnete, einer Kleinstadt in den nordwestlichen Ausläufern
       des Taunus, können sich Tierhalter auf kulinarische Art von ihren
       vierbeinigen Lieblingen verabschieden. Küchen- und Institutschefin Janina
       Blombach verarbeitet verstorbene Haustiere zu schmackhaften Pasteten,
       Braten und Eintopfgerichten.
       
       „Was gibt es Tröstlicheres, als bei einem leckeren Essen in intimer Runde
       Abschied von einem treuen Gefährten zu nehmen“, preist Blombach ihr
       ungewöhnliches Konzept an. Die Idee kam der Heimtierbestatterin, als ihr
       simultan Kühlhaus und Krematorium ausfielen, obwohl der Großauftrag einer
       stadtbekannten Katzen-Lady anstand. Und die ständig steigenden
       Energiepreise lassen die lukullische Tierkörperverwertung sinnvoll
       erscheinen. „So ungewöhnlich ist die Idee nicht“, gibt die studierte
       Kulturanthropologin zu bedenken. „In vielen Kulturen existiert die
       Vorstellung, dass Verstorbene weiterleben, wenn wir sie in uns aufnehmen.“
       
       ## Verstörende Kochrezepte
       
       Bevor Blombach ihr Trauerinstitut in einer der vielen aufgegebenen
       Weinstuben in der Katzenelnbogener Touristenmeile eröffnete, hat sie als
       Wissenschaftlerin über Bestattungsbräuche in den Waldgebieten des
       Rhein-Lahn-Kreises und im benachbarten Hessen geforscht. In den bitterarmen
       und weltabgewandten Weilern wurde der Endokannibalismus noch bis ins späte
       19. Jahrhundert praktiziert. Doch statt der erhofften Promotionsstelle an
       der Nassauer-Universität von Bad Ems sprangen für Blombach nur jede Menge
       verstörender Kochrezepte heraus.
       
       „Wussten Sie, dass die hessische Spezialität ‚Ahle Worschd‘ traditionell
       aus luftgetrockneten Senioren hergestellt wurde, die im Frühjahr auf die
       Balkone der Wetterau gepflanzt und im September geerntet werden?“ Während
       wir uns an einem fantastischen Prosciutto vom dry-cured Airdale gütlich
       tun, räumt Blombach mit einigen Ernährungsmythen auf. „Auch die finnische
       Rentierwurst war in Wahrheit meist eine Rentnerwurst. Bis heute lebt die
       Praxis, überzählige Familienmitglieder in die Nahrungskette einzuspeisen,
       im Zonen-Klassiker ‚Tote Oma‘ fort. Oder glauben Sie, für diesen
       Kombinatsfraß wurden teure Schweine angebrochen?“
       
       Doch vorerst will Blombach bei der Haustierverwurstung bleiben. Kaum ist
       Kundin Findeisen mit einem doggy bag als Andenken verschwunden, hält ein
       Familien-Kombi vor dem Laden. In der Haustierentsorgungsbranche ist die
       Ferienzeit eben Stoßzeit. Für die lange Autofahrt in den Süden hat Blombach
       die beiden Retriever-Rüden Beavis und Butthead reisefertig gemacht, nun
       werden sie von Herrchen Roger Hünfeld in ihren geräumigen Lunchboxen
       abgeholt.
       
       ## Fritieren statt Aussetzen
       
       „Jetzt können unsere Lieblinge doch mit uns in den Urlaub fahren“, freut
       sich der Familienvater auf Proviant wie auf drei unbeschwerte Wochen in
       einer spanischen Ferienanlage. Ohnehin sieht die Köchin die Zukunft von
       „Pietät & Pie“ in der Reisebranche. „Gerade verhandele ich mit einer
       Autobahnraststätte. Unter dem Motto ‚Fritieren statt Aussetzen‘ möchte ich
       Self-Service-Erlebnisgastronomie für die ganze Familie anbieten.“
       
       Mit der gemütlichen Trattoria-Atmosphäre, die gleichermaßen zum Schlemmen
       wie zum Trauern einlädt, dürfte dann allerdings Schluss ein. Im Flug
       vergeht der Nachmittag bei leckerem „Cocker Vin“ und Dalmatiner Pašticada,
       zwischendurch werden Katzenzungen gereicht. Zum Geschäftsschluss bei
       „Pietät & Pie“ haben wir die Viecher wirklich ins Herz, aber vor allem fest
       in den Magen geschlossen. Und doch muss sich die Innovatorin Blombach um
       ihre berufliche Zukunft sorgen.
       
       „Möglich ist die Heimtiergastronomie nur, weil Ernährungsminister Cem
       Özdemir wegen des Ukrainekriegs das Lebensmittelkriegsrecht ausgerufen
       hat“, erklärt Blombach. Um eine Versorgungskrise abzuwenden, lässt das
       Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz (ESVG) eine Notverpflegung
       nach Schweizer Vorbild zu. Die Eidgenossen haben Katzen und Hunde nämlich
       schon immer gern in ihrem Käsefondue ertränkt, wenn ihnen die Brotstückchen
       ausgegangen waren.
       
       13 Jul 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
       ## TAGS
       
   DIR Tiere
   DIR Ernährung
   DIR Trauer
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Kolumne Die Wahrheit
   DIR Flugverkehr
   DIR Asyl
   DIR Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Fenstergriff ins Klo
       
       Handwerker sind scheue Wesen. Fensterbauer gehören offenbar wie Wildpferde
       zu den Fluchttieren. Verblüffende Beobachtungen auf einer Baustelle.
       
   DIR Die Wahrheit: Das Finnland des Nordens
       
       Sommerfrische an Seenlandschaft. Da wächst die Erkenntnis: Dieses
       Mecklenburg-Vorpommern ist gar nicht das Land, für das es gehalten wird.
       
   DIR Die Wahrheit: Im dunklen Reich des Kofferkings
       
       Das Abfertigungs-Chaos an deutschen Flughäfen nimmt mittlerweile
       apokalyptische Züge an. Ein Blick in die Untiefen des Luftverkehrs.
       
   DIR Die Wahrheit: Ich hatte ein Asyl in Afrika
       
       Beim ersten Abschiebungsflug abgelehnter Asylbewerber von Großbritannien
       nach Ruanda läuft einiges gründlich schief. Ein Heia-Safari-Bericht.
       
   DIR Die Wahrheit: Sherpas für den Watzmann
       
       Das Neun-Euro-Ticket kommt. Und mit ihm werden die Massen reisen. Zum
       Beispiel ins Berchtesgadener Land oder an den Titisee.