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       # taz.de -- Armut in Deutschland: Riesen-Andrang auf Tafeln
       
       > Die Zahl der Kund:innen bei den Tafeln ist auf einem Rekordhoch. Immer
       > mehr Menschen sind langfristig auf Hilfe angewiesen.
       
   IMG Bild: Ehrenamtliche Mitarbeiter kommen mit dem Verteilen nicht hinterher
       
       Berlin taz | Ein Höchststand an Bedürftigen: So viele Menschen wie noch nie
       nutzen derzeit das Angebot der Tafel in Deutschland. Das geht aus den
       gestern veröffentlichten Ergebnissen einer Umfrage des Vereins hervor, an
       der über 600 Ausgabestellen der Organisation teilnahmen. Demnach hat sich
       die Zahl der Tafelkund:innen in der ersten Hälfte dieses Jahres um mehr
       als die Hälfte erhöht. Der gemeinnützige Verein verteilt derzeit
       Lebensmittel an über zwei Millionen Menschen.
       
       Aufgrund der Rekordnachfrage musste ein Drittel der 960 Ausgabestellen
       bereits die Aufnahme von neuen Kund:innen stoppen. „Bei uns in Bayreuth
       kamen innerhalb kürzester Zeit 900 neue Personen an. Das kann eine
       mittelgroße Tafel einfach nicht stemmen“, berichte Peter Zilles,
       Vorsitzender der Tafel in Bayern. Aufgrund des hohen Andrangs kann mehr als
       die Hälfte der Ausgabestellen in Deutschland derzeit weniger Lebensmittel
       pro Haushalt als sonst üblich verteilen.
       
       Die Tafel sieht vor allem zwei Ursachen. Zum einen nutzen zahlreiche
       [1][Geflüchtete aus der Ukraine] das Lebensmittelangebot. Dabei kritisiert
       der Dachverband des Vereins, dass Sozialämter und Behörden Geflüchtete oft
       direkt zu den Ausgabestellen der Tafel schicken würden.
       
       Letztere versteht sich aber nicht als vollständiger Ersatz des sonstigen
       Einkaufsangebots, erklärt Jochen Brühl, Vorsitzender des
       Tafel-Dachverbands: „Wir helfen, so viel wir können, aber bleiben ein
       Zusatzangebot. Dass alle Menschen in Deutschland genug zu essen und zu
       trinken haben, muss der Staat gewährleisten, nicht das Ehrenamt.“
       Eigentlich sieht sich die Tafel als Möglichkeit zur kurzfristigen
       Überbrückung für Notsituationen. Doch immer häufiger benötigten
       Kund:innen die Hilfe langfristig.
       
       ## „Die Spenden werden knapper“
       
       Neben dem Zuwachs an ukrainischen Geflüchteten sorgt zum anderen die
       steigende Armut in Deutschland dafür, dass immer mehr Menschen auf die
       Tafel angewiesen sind. Besonders Personen mit geringem Einkommen,
       Rentner:innen und Arbeitslose hätten in den vergangenen Monaten zum
       ersten Mal Lebensmittel bei einer Tafel abgeholt, berichtet der
       Dachverband.
       
       Die aktuelle Situation bringt den Verein personell an seine Grenzen. „Das
       belastet unsere Helferinnen und Helfer stark, denn mehr Kundinnen und
       Kunden bedeuten längere Ausgabezeiten und einen höheren Aufwand“, sagt
       Sirkka Jendis, Geschäftsführerin der Tafel. Vor allem das Gefühl, das
       Engagement reiche trotzdem nicht aus, löse einen „psychischen Druck“ auf
       die Ehrenamtlichen aus.
       
       Während das Bedürfnis nach bezahlbaren Lebensmitteln wächst, werden immer
       weniger im Handel übriggebliebene Produkte gespendet, berichten mehrere
       Tafeln. „Der Handel scheint beim Thema Lebensmittelverschwendung etwas
       vernünftiger geworden zu sein. Das ist natürlich gut, aber die Spenden
       werden knapper“, sagt Frank Hildebrandt, Vorsitzender der Tafel in
       Schleswig-Holstein und in Hamburg.
       
       Für die aktuelle Situation macht der Dachverband vor allem die Politik
       verantwortlich. Von der Bundesregierung verlangt die Tafel neue
       Soforthilfen, die die von Armut Betroffenen besser erreichen. „Wir fordern
       für das angekündigte Bürgergeld armutsfeste Regelsätze von mindestens 678
       Euro“, sagt Verbandsvorsitzender Jochen Brühl, auch [2][mit Blick auf die
       Inflation und die steigenden Lebenskosten] in Deutschland.
       
       Schon im vergangenen Jahr ist die Zahl der Menschen, die von Armut
       betroffen sind, stark angestiegen. Laut dem Paritätischen Armutsbericht
       2021 waren das 13,8 Millionen Personen in Deutschland. Das ist faktisch
       jede:r Sechste in der Bundesrepublik.
       
       14 Jul 2022
       
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