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       # taz.de -- Urteil des EuGH: Thermofenster meist illegal
       
       > Abgasreinigung bei Autos darf nicht systematisch abgeschaltet werden. Das
       > hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
       
   IMG Bild: Die konkrete Überprüfung wird nun vor den nationalen Gerichten stattfinden
       
       Freiburg taz | Wenn die Abgasreinigung von VW-Diesel-Pkw einen Großteil des
       Jahres nicht funktioniert, weil das Wetter zu warm oder zu kalt ist, dann
       verstößt dies gegen EU-Recht. [1][Das stellte nun der Europäische
       Gerichtshof (EuGH) in einem Grundsatzurteil fest.] Er folgte damit der
       Empfehlung des unabhängigen Generalanwalts aus dem September 2021.
       
       Konkret ging es um drei VW-Fahrzeuge, die in Österreich gekauft wurden. Das
       Urteil ist aber auch für Diesel-Käufer aus anderen EU-Staaten relevant.
       Nach Feststellung der österreichischen Gerichte funktioniert die
       Abgasreinigung bei den betroffenen VW-Diesel-Pkw nur bei einer Temperatur
       zwischen 15 und 33 Grad Celsius, also im sogenannten Thermofenster.
       
       Bei den üblichen Temperaturen in Mitteleuropa arbeitet sie also nur selten
       vollwertig. In Deutschland lag die Durchschnittstemperatur im Jahr 2020 bei
       10,4 Grad Celsius. Nur in den drei Monaten Juni, Juli, August lag der
       Durchschnitt über 15 Grad Celsius.
       
       Laut einer EU-Verordnung von 2007 sind „Abschalteinrichtungen“, die die
       Wirkung der Abgasreinigung beeinträchtigen, unzulässig – es sei denn, sie
       seien „notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“.
       
       ## Schutz vor Verschleiß kein Argument
       
       Auf diese Ausnahmen berief sich VW. Doch nach den Maßstäben, die der EuGH
       nun aufgestellt hat, wird VW damit kaum durchkommen. Grundsätzlich sei eine
       Abschaltvorrichtung unzulässig, so der EuGH, wenn die Abgase nur innerhalb
       derartiger Thermofenster reduziert würden.
       
       Sie könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie den Motor vor
       Verschmutzung und Verschleiß schütze. In Betracht komme eine Ausnahme nur,
       wenn die Verschmutzung von Motorteilen die Betriebssicherheit gefährdet.
       Und auch dann will der EuGH sie nur gelten lassen, wenn es keine bessere
       technische Alternative gibt und das Thermofenster nicht so eng ist, dass
       die Abgasreduktion im überwiegenden Teil des Jahres nicht funktioniert.
       
       Die konkrete Überprüfung wird nun vor den nationalen Gerichten stattfinden.
       Die Vorgabe des EuGH ist aber ganz klar: Die von nahezu allen
       Diesel-Herstellern benutzten Thermofenster sollen nicht dazu dienen, die
       Abgasreduktion völlig auszuhebeln. Die wirtschaftlichen Interessen der
       Hersteller seien schon bei der Bestimmung der Grenzwerte ausreichend
       eingeflossen. Nun müssten die Grenzwerte auch eingehalten werden.
       
       Dass die Kosten für die Forschung nach Alternativen zu hoch ist, hält der
       EuGH ebenso wenig für ein Argument wie hohe Kosten für die Ausstattung der
       Autos oder dass häufige Werkstattbesuche zur Wartung lästig seien.
       
       Wenn ein Thermofenster von nationalen Gerichten als unzulässig eingestuft
       wird, können betroffene Käufer verlangen, dass das Fahrzeug nachgebessert
       oder ein mangelfreies Neufahrzeug geliefert wird. Der Einbau einer
       unzulässigen Abschaltvorrichtung ist jedenfalls nicht nur ein geringfügiger
       Mangel, so der EuGH, selbst wenn der Käufer das Fahrzeug trotz Kenntnis des
       Problems gekauft hätte.
       
       Ob die Käufer auch Schadenersatz verlangen können, wird sich in einem
       anderen EuGH-Verfahren entscheiden. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH)
       hat bisher Schadenersatz für Betroffene verneint, weil das deutsche
       Kraftfahrtbundesamt die Thermofenster bis heute für zulässig hält.
       Schadenersatz wegen sittenwidriger Schädigung hat der BGH den
       Diesel-Käufern bisher nur zugebilligt, wenn sie Fahrzeuge mit der
       VW-Betrugssoftware gekauft hatten. Diese führte dazu, dass die
       Abgasreduktion nur auf dem Prüfstand funktionierte. Als dies 2015 bekannt
       wurde, war selbst das Kraftfahrbundesamt empört.
       
       14 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=EuGH&Datum=31.12.2222&Aktenzeichen=C-145%2F20
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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