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       # taz.de -- Bericht von Sozialverband: Armut erreicht neuen Höchststand
       
       > Die Coronafolgen sowie steigende Lebensmittel- und Energiepreise treiben
       > Millionen Menschen in die Armut. Der Paritätische fordert gezielte
       > Hilfen.
       
   IMG Bild: Mehr Bedürftige, weniger Lebensmittel: Auch die Tafeln schlagen angesichts der aktuellen Lage Alarm
       
       Berlin dpa/epd | Die Corona-Pandemie hat die Armut auf einen neuen
       Höchststand getrieben. Dem Paritätischen Gesamtverband zufolge ist die
       Armutsquote 2021 auf 16,6 Prozent geklettert, wie aus seinem aktuellen
       Armutsbericht hervorgeht, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
       Damit hatten 2021 knapp 14 Millionen Menschen in Deutschland kein sicheres
       Auskommen. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, sagte,
       die Armut sei noch nie so rasant gestiegen wie in den beiden
       Pandemie-Jahren. Das habe auch ihn selbst überrascht.
       
       So nahm die Einkommensarmut dem Bericht zufolge [1][ungewöhnlich stark
       unter Erwerbstätigen] zu. Bei Selbstständigen, die in der Pandemie
       besonders hohe Einbußen hatten, stieg die Armutsquote von 9 auf 13,1
       Prozent. Höchststände wurden auch bei Rentnerinnen und Rentnern mit einer
       Armutsquote von knapp 18 Prozent und bei Kindern und Jugendlichen mit rund
       21 Prozent registriert. Damit sei die Kinderarmut so hoch wie noch nie,
       sagte Schneider.
       
       Im Jahr 2020 lag die Armutsquote noch bei 16,1 Prozent. Sie war trotz der
       Pandemie nur leicht gestiegen, was auf die Wirksamkeit der damaligen
       Corona-Hilfen zurückgeführt wurde. Jetzt hingegen schlügen die
       wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und die stark steigenden
       Lebenshaltungskosten voll durch und träfen die Schwächsten, erklärte
       Schneider. Er forderte gezielte Hilfen für diese Menschen und kritisierte
       die [2][Entlastungspakete der Ampel-Regierung] als ungerecht.
       
       Er habe kein Verständnis dafür, dass Unterstützung dort geleistet werde, wo
       sie überhaupt nicht gebraucht werde, sagte Schneider und nannte als
       Beispiele den Tankrabatt und die Abschaffung der EEG-Umlage, die vor allem
       jenen zugutekämen, die einen hohen Stromverbrauch im Eigenheim und einen
       SUV vor der Tür hätten, sagte Schneider. Für diese Haushalte seien die
       hohen Preise höchstens ärgerlich, stürzten sie aber nicht in Not.
       
       ## Scharfe Kritik an Hartz-IV-Satz und Entlastungspaket
       
       Demgegenüber werde die völlig unzureichende Einmalzahlung von 200 Euro an
       Grundsicherungsbezieher von der Inflation aufgefressen sein, noch bevor sie
       ausgezahlt werde, kritisierte Schneider. Er forderte eine Erhöhung des
       Regelsatzes um 200 Euro monatlich. Bei einer Inflationsrate von knapp acht
       Prozent entspreche [3][der Hartz IV-Satz] von 449 Euro derzeit noch einer
       Kaufkraft von 414 Euro im Vergleich zum Vorjahr. 1,6 Millionen Menschen
       müssten sich inzwischen an den Tafeln mit Lebensmitteln versorgen.
       
       Außerdem forderte Schneider die Koalition auf, das Wohngeld und das Bafög
       zu erhöhen, um zielgenau zu helfen. Wenn die Regierung nicht handele, drohe
       Deutschland „am unteren Einkommensende schlicht zu zerbrechen“, warnte er.
       Tief gespalten zeigt sich dem Armutsbericht mit dem Titel „Zwischen
       Pandemie und Inflation“ zufolge Deutschland auch regional. Besonders
       niedrige Armutsquoten haben, mit Bayern auf Platz 1 (12,6 Prozent),
       Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und neuerdings auch Brandenburg.
       
       Am unteren Ende bewegen sich Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen-Anhalt
       und [4][Berlin], sowie abgeschlagen auf dem letzten Platz Bremen mit einer
       Armutsquote von 28 Prozent. Die Region, in der sich die größte Zahl
       armutsbetroffener Menschen ballt, bleibt das Ruhrgebiet. Im Länderranking
       läge es mit einer Armutsquote von 21,1 Prozent auf dem zweitletzten Platz
       vor Bremen. Die Berechnungen des Verbandes beruhen auf Daten des
       Statistischen Bundesamts.
       
       Die Armutsquote gibt Auskunft darüber, wie viele Personen mit ihrem
       gesamten Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in
       Deutschland zur Verfügung haben. In der Regel verfügen sie über keine
       Rücklagen, kommen durch unvorhergesehene Ausgaben in Not und können sich
       Extras wie Kino, Urlaub oder Hobbys nicht leisten, wodurch sie und ihre
       Kinder vom normalen Leben abgehängt werden. Dieser relative Armutsbegriff
       wird EU-weit für statistische Berechnungen der Verbreitung von Armut in den
       Mitgliedsländern angewendet.
       
       29 Jun 2022
       
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