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       # taz.de -- Urteil im Bataclan-Prozess in Frankreich: Höchststrafe für die Attentäter
       
       > Nach 140 Verhandlungstagen wird der überlebende Haupttäter der
       > islamistischen Anschläge in Paris 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt.
       
   IMG Bild: Das Bataclan 2015: 130 Menschen starben bei den Anschlägen
       
       Paris dpa | Sechseinhalb Jahre nach den islamistischen
       [1][Terroranschlägen] mit 130 Toten in Paris hat ein Schwurgericht den
       [2][Hauptangeklagten] am Mittwochabend zu lebenslanger Haft verurteilt. Der
       Franzose Salah Abdeslam soll frühestens in 30 Jahren die Möglichkeit zu
       einer Verkürzung der Haftstrafe bekommen. Das ist in Frankreich die
       höchstmögliche Strafe.
       
       Der 32-Jährige gilt als einziger Überlebender des damaligen
       Terrorkommandos. Von den insgesamt 20 Angeklagten wurden 19 in allen
       Punkten schuldig gesprochen. Das Strafmaß reicht von zwei Jahren bis
       lebenslang.
       
       Die Urteilsverkündung des Schwurgerichts im Pariser Justizpalast verzögerte
       sich bis in den Abend. Deshalb verzichtete der Vorsitzende Richter
       Jean-Louis Périès schließlich darauf, die 120 Seiten des Urteils
       vollständig zu verlesen. Die Angeklagten verfolgten die Begründung mit
       ernsten Gesichtern. Périès listete in schnellen Tempo auf, weshalb das
       Gericht praktisch alle Anschuldigungen für bewiesen hält.
       
       In den [3][Prozess] war an mehr als [4][140 Verhandlungstagen] die
       Anschlagsserie vom 13. November 2015 aufgerollt worden. An jenem Abend
       hatten islamistische Extremisten binnen weniger Stunden 130 Menschen
       getötet und 350 weitere verletzt. Sie richteten am Abend ein Massaker im
       Konzertsaal „Bataclan“ an und verbreiteten ihren Terror auch in Bars und
       Restaurants. Zudem sprengten sich drei Selbstmordattentäter während eines
       Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France
       in die Luft.
       
       ## Liebesbekenntnis für den Islamischen Staat
       
       Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Anschläge für
       sich. Die meisten Attentäter sprengten sich bei den Anschlägen selbst in
       die Luft. Einer wurde noch am Abend von der Polizei erschossen. Weitere
       starben bei einem Polizeieinsatz wenige Tage später. Die meiste
       Aufmerksamkeit lag im Prozess auf Abdeslam, dessen Sprengstoffgürtel nicht
       funktioniert hatte. Er wurde erst nach monatelanger Flucht in Brüssel
       gefasst.
       
       Die Anklage sah in dem Franzosen eine Schlüsselfigur der Anschläge. Sein
       älterer Bruder Brahim gehörte zu den Attentätern, die sich in einer Bar in
       die Luft sprengten. Die beiden waren in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek
       aufgewachsen, die als Rückzugsort radikaler Islamisten bekannt ist. Salah
       Abdeslam arbeitete als Mechaniker, hatte Aushilfsjobs und kam 2011 wegen
       versuchten Diebstahls in Haft.
       
       Im Prozess schob er die Verantwortung für die Pariser Anschläge auf die
       französische Politik. Fragen beantwortete er nur teilweise, beschwerte sich
       über die Haftbedingungen und glorifizierte den IS. Er gab sogar ein
       Liebesbekenntnis zu der Terrororganisation ab.
       
       Von den weiteren 19 Angeklagten wurde sechsen der Prozess in Abwesenheit
       gemacht. Einer von ihnen ist in der Türkei inhaftiert, fünf starben wohl in
       Syrien. Die Männer sollen Papiere besorgt haben, Abdeslam außer Landes
       gefahren haben oder verhinderte Attentäter sein.
       
       ## Die seelischen Wunden bleiben
       
       Die Anschläge haben Frankreich nachhaltig verändert. Vielen galten sie als
       Angriff auf die französische Lebensart. Im Gegensatz zu früheren Anschlägen
       gegen bestimmte Berufsgruppen oder Konfessionen schien nach dieser
       Terrornacht niemand mehr sicher. Nach Überzeugung der Anklage war es den
       Extremisten egal, wen sie töteten. In Frankreich hatten sich viele vom
       Prozess Antworten der Beschuldigten und teils auch der Politik erhofft. Ein
       wesentlicher Erkenntnisgewinn blieb aber aus. Zu Drahtziehern und Plänen
       der Terrormiliz gaben die Angeklagten keine Auskunft.
       
       Entsprechend groß dürften Frust und Enttäuschung besonders bei Überlebenden
       und Angehörigen sein. Über Wochen hinweg ließen Hunderte von ihnen in dem
       speziell für den Prozess angefertigten Gerichtssaal die Terrornacht wieder
       aufleben und berichteten von körperlichen und seelischen Wunden. Ihre
       Erwartungen konnte der Prozess nur teils befriedigen.
       
       „Der Schmerz ist da. Er wird nicht gemindert. Ich werde untröstlich sein“,
       sagte der für den gesamten Prozess aus Algerien angereiste Vater eines
       getöteten jungen Mannes dem Sender France 2. Der von einem Attentäter
       querschnittsgelähmte Bilal Mokono sagte: „Wenn wir auf die Anklagebank
       schauen, sehen wir diese jungen Leute, diese sehr jungen Leute, die wie
       unsere Kinder aussehen.“ Man frage sich: „Warum, warum, warum? Was haben
       wir übersehen, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen?“
       
       Einen gewissen Fortschritt sieht Aurélie Silvestre, die damals ihren
       Partner verlor. „Die Frau, die ich wirklich war, ist in der Nacht des 13.
       November explodiert“, sagte sie der Zeitung „Libération“. „Sechs Jahre lang
       hatte ich das Gefühl, die kleinen Teile von mir aufzusammeln. Mit dem
       Prozess habe ich diese Trümmer zusammengesetzt und die Frau, die ich vorher
       war, neu geschaffen und wiederbelebt.“
       
       Zum Abschluss des Prozesses kündigte der Opferhilfeverein „Life vor Paris“
       an, sich zum zehnten Jahrestag der Anschläge aufzulösen – also 2025. Der
       Verein teilte mit: „Das Ende des Prozesses muss auch den Beginn eines
       „Danach“ markieren, auf das wir alle hoffen. Auch wenn wir dessen Form noch
       nicht kennen.“
       
       30 Jun 2022
       
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