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       # taz.de -- Vogelgrippe an der Nordseeküste: Neuerdings auch im Sommer
       
       > Erstmals tritt der H5N1-Virus an der Nordseeküste zur Brutzeit auf. Seine
       > Ausbreitung könnte gravierende Folgen für die Brutbestände haben.
       
   IMG Bild: Tote Eiderente am Nordsee-Strand: Ein Foto aus dem Februar, das auch aus dem Juli stammen könnte
       
       Hamburg taz | Manchmal erwischt sie der Tod, während sie übers Meer
       fliegen: Seevögel, die an der Vogelgrippe erkranken, verenden zum Teil noch
       im Flug und fallen ins Wasser. Anschließend werden ihre Kadaver am Strand
       angespült.
       
       So geschieht es im Moment immer wieder an der schleswig-holsteinischen
       Nordseeküste. Die aktuellen Ausbrüche des Virus könnten gravierende Folgen
       für den Brutbestand der Seevogelkolonien haben. Besonders davon betroffen
       sind [1][Basstölpel, Eiderenten und Brandseeschwalben.] Sie kommen tot oder
       geschwächt an den Stränden an.
       
       Die Brandseeschwalbe ist in Deutschland sogar vom Aussterben bedroht.
       Erstmalig tritt die [2][Vogelgrippe] bei Wildvögeln auch im Sommer zur
       Brutzeit und nicht mehr nur im Winterhalbjahr auf. Anfang Juni wurden die
       ersten Fälle auf der Insel Trischen im Wattenmeer nachgewiesen, fast zur
       gleichen Zeit gab es die ersten Funde auf der Insel Helgoland und im
       Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
       
       „Das Vogelgrippeereignis streckt sich im Prinzip auf einen Raum zwischen
       der südlichen Nordsee und der südlichen Ostsee“, sagt Martin Kühn, ein
       Ranger des [3][Nationalparks Wattemeer]. Zwanzig Prozent der
       Brandseeschwalben-Bestände sind bereits von dem Virus betroffen, schätzt
       die Parkverwaltung. Kühn zufolge sind die Meldungen zwar aktuell, können
       aber innerhalb kürzester Zeit überholt sein.
       
       ## Im Sommer brüten die Seevögel in Kolonien
       
       Die Vogelgrippe ist an sich nichts Neues in der Region, allerdings
       verbreitet sich das Virus dieses Mal anders als in den vergangenen Jahren.
       In der Regel stecken sich vor allem Wasservogelarten wie Enten und Gänse
       an, sagt Jochen Dierschke, technischer Leiter der „Vogelwarte Helgoland“,
       die gemeinsam mit dem Verein Jordsand an der Dokumentation der Fälle
       arbeitet.
       
       Der enge Kontakt zwischen den Vögeln im Winter begünstige die Verbreitung
       der Vogelgrippe, die durch Körperflüssigkeiten wie Speichel und Kot
       übertragen werde. Diesen Sommer seien dagegen Seevogelarten betroffen, die
       in großen Kolonien brüteten, um sich vor Beutegreifern zu schützen.
       
       Zurzeit deuteten die meisten Funde darauf hin, dass überwiegend Altvögel
       sterben, berichtet Dierschke. Ähnliches wird auch aus anderen
       Küstenregionen bestätigt. Basstölpel und Brandseeschwalben haben eine
       geringe Reproduktionsrate. Sie ziehen nur ein bis zwei Küken pro Jahr groß,
       können dafür aber bis zu vierzig Jahre alt werden. Im Normalfall sichert
       das ihren Fortbestand.
       
       „Wenn Altvögel sterben, hat das langfristige Folgen, da es viele Jahre
       dauern kann, bis die Verluste wieder ausgeglichen sind“, sagt Dierschke.
       Hinzu komme, dass durch die sterbenden Elterntiere viele Jungvögel in den
       Nestern verhungerten.
       
       Für Till Holsten, Trischens Naturschutzwart im Auftrag des Naturschutzbunds
       Deutschland (NABU), ist die Vogelgrippe für aussterbende Seevogelarten nur
       der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
       
       ## Verheerende Folgen für dezimierte Populationen
       
       Tierpopulationen seien in der Regel fähig, sich vom Verlust der Bestände zu
       erholen, so Holsten. Eine große Population sorge für einen größeren Genpool
       und damit für die Fähigkeit, besser auf Umweltveränderungen zu regieren.
       Jedoch könne ein hoch ansteckendes Virus verheerende Folgen für
       Populationen haben, die ohnehin dezimiert sind.
       
       Das Virus wird sich wohl weiter verbreiten. In der Vergangenheit hat sich
       das Infektionsgeschehen nach einigen Wochen verringert, aber zur Zeit
       können die Experten keine Prognosen aufstellen. Sie sind sich aber einig:
       Es gibt nichts, was sie für die bereits infizierten Seevögel tun können.
       
       In der Zwischenzeit bleibt ihnen nur, das Geschehen zu beobachten. Und auf
       das Ende der Brutzeit zu warten, wenn die Seevögel wieder ihre Kolonien
       verlassen und sich die Ansteckungsmöglichkeiten damit verringern.
       
       Wichtig sei, dass Besucher*innen des Nationalparks auf die Hinweise
       achten, um die Verbreitung des Virus durch Menschen einzugrenzen, sagt
       Ranger Kühn. Bei der Entdeckung sterbender Seevögel solle man Abstand
       halten. Er rät stark davon ab, den Tieren helfen zu wollen.
       
       22 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nabu.de/news/2022/07/31914.html
   DIR [2] /Vogelgrippe/!t5025261
   DIR [3] https://www.nationalpark-wattenmeer.de/news/vogelgrippe-an-der-schleswig-holsteinischen-westkueste/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Valeria Bajaña Bilbao
       
       ## TAGS
       
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