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       # taz.de -- PflegerInnen aus dem Ausland: Warten statt Loslegen
       
       > PflegerInnen aus dem Ausland müssten in Niedersachsen zu lange auf eine
       > Anerkennung ihrer Abschlüsse warten, kritisiert der Verband BPA.
       
   IMG Bild: Pflege in einem Seniorenzentrum: Der Mangel an Fachkräften ist seit vielen Jahren bekannt
       
       Osnabrück taz | Wenn Optimisten die Personallage in Deutschlands
       Pflegebranche beschreiben, sagen sie: Mangel oder Engpass. Realisten
       drücken sich anders aus: Sie sagen Notstand und Katastrophe. Mehr als vier
       Millionen Deutsche sind pflegebedürftig. Bis 2035 könnten bundesweit
       500.000 Pflegekräfte fehlen. Jede helfende Hand wird also dringend
       gebraucht. Ein Potenzial dafür sind [1][Fachkräfte aus dem EU-Ausland und
       aus Drittstaaten].
       
       Diese Arbeitskräfte nach Deutschland zu bekommen, ist aber gar nicht so
       einfach: Jüngst hat der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste
       (BPA) für das Bundesland Niedersachsen Alarm geschlagen. Teils dauere es
       hier über ein Jahr, den notwendigen Bescheid zu erhalten.
       
       Das Bundesland, in dem der zukünftige Arbeitsplatz der Fachkräfte aus dem
       Ausland liegt, muss ihre Qualifikation prüfen, ihre Aus- und Fortbildungen,
       ihre Berufserfahrung, so wollen es die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie und
       das Kranken- und Altenpflegegesetz. Checks, die dauern. Bis zum
       Anerkennungsbescheid vergehen überall oft Monate. Doch ist die Lage in
       Niedersachsen besonders prekär? Bremst das Landesamt für Soziales, dessen
       Außenstelle Lüneburg für die Checks zuständig ist, internationale
       BewerberInnen aus?
       
       Ulrich Kruthaup, Vorstandsmitglied der Landesgruppe Niedersachsen des BPA,
       weiß aus eigener Erfahrung, wie langsam die Ämtermühlen mahlen. Als
       Geschäftsführer der Blomberg-Klinik in Bad Laer und der Residenz am
       Salzbach in Bad Rothenfelde versucht er seit Februar, vier kirgisische
       Pflegefachkräfte nach Deutschland zu holen. Bisher ohne Erfolg. „Jetzt hieß
       es, der Bescheid komme vielleicht im Oktober“, sagt Kruthaup der taz.
       
       Er ist frustriert. Seine vier BewerberInnen haben die geforderten
       B2-Deutschkenntnisse und könnten sofort anreisen. Aber solange die Prüfung
       andauert, lohnt sich das nicht. „Das ist ein Nadelöhr“, sagt Kruthaup. „Das
       muss doch schneller gehen! Das belastet die Pflegebedürftigen, die
       Unternehmen und ihre Bestandsbelegschaft, die Geduld und Motivation von
       BewerberInnen, die sich so womöglich in anderen Ländern umsehen – oder nach
       anderen Berufen.“
       
       Kruthaups Vorwurf gilt nicht den Behörden, denn die haben selbst
       Personalnot. Er gilt der [2][Politik]. „Die weiß ja schon seit Jahrzehnten,
       was auf uns zukommt. Da wurde lange weggesehen.“ Der Bedarf an
       Arbeitskräften wachse stetig. „Und jetzt zerschellen Neueinstellungen am
       Anerkennungsverfahren. Inakzeptabel!“
       
       Klar, Kruthaups kirgisischen Arbeitswilligen könnten freiwillig auf die
       Gleichwertigkeitsprüfung verzichten und als Hilfskraft anfangen. Aber das
       würde das Verfahren nur in die Zukunft verschieben. Und es würde nicht
       helfen: „Solange dürften sie ja keine Fachkraft-Tätigkeiten verrichten“,
       sagt Kruthaup. „Außerdem müssten sie dann eine Kenntnisprüfung ablegen, und
       auch das kann bis zu einem Dreivierteljahr dauern.“
       
       Auch das beschleunigte Fachkräfteverfahren über die Ausländerbehörde, für
       das eine Gebühr von rund 400 Euro anfällt, dauere oft lange, sagt Kruthaup.
       Die Behörde erteilt dabei eine Vorab-Zustimmung. ArbeitnehmerInnen können
       dann schon ein Einreisevisum beantragen.
       
       Niedersachsens Sozialministerium tritt der BPA-Kritik entgegen. „Die
       durchschnittliche Verfahrensdauer der im Jahr 2020 erstmals beschiedenen
       Anerkennungsverfahren in Niedersachsen betrug insgesamt 80 Tage“, sagt
       Sprecherin Stefanie Geisler der taz. Im Bereich der medizinischen
       Gesundheitsberufe sei die Zahl sogar noch geringer: 78 Tage. Die Hälfte der
       Verfahren habe maximal 43 Tage gedauert. Aber sie sagt auch: 2021 habe die
       Landesregierung Maßnahmen ergriffen, die „Prozesse zu optimieren und die
       Verfahrensdauer weiter zu verkürzen“. Das Landesamt für Soziales sei
       personell aufgestockt worden. 18 Mitarbeitende sind derzeit mit den
       Prüfverfahren befasst.
       
       ## Bisher kaum PflegerInnen aus dem Ausland
       
       In Niedersachsen sind über 460.000 Pflegebedürftige registriert. Drei
       Viertel davon werden zu Hause betreut, mit oder ohne Unterstützung durch
       ambulante Dienste. Rund 77.000 Pflegefachkräfte sind allein in der
       Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege beschäftigt. [3][Mitarbeitende aus
       dem Ausland] sind hier bisher eine kleine Gruppe. 1,9 Prozent kommen aus
       dem EU-Ausland, 1,5 Prozent aus Drittstaaten. 25.000 Pflegestellen sind
       offen.
       
       Dass die Lage prekär ist, bestätigt auch der Landespflegebericht
       Niedersachsen 2020. Er besagt, dass „in keiner Region in Niedersachsen eine
       Arbeitsmarktreserve vorliegt, die mobilisiert werden könnte“. Nennenswerte
       Steigerungen der Zahl der Beschäftigten in der Pflege seien kaum zu
       verzeichnen. Kein Ruhmesblatt für Sozialministerin Daniela Behrens (SPD).
       
       Doch einen kleinen Lichtblick gibt es: Fast alle Anträge aus dem Ausland
       werden positiv beschieden. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
       „Anerkennung ausländischer Qualifikationen im Pflegebereich“ der
       niedersächsischen FDP aus dem Frühjahr 2022 bestätigt das
       Sozialministerium: Von 2017 bis 2020 gab es nur 570 Ablehnungen, bei mehr
       als 21.000 Verfahren. Wichtig sei, so das Ministerium, die Attraktivität
       der Anerkennungsverfahren „weiter zu verbessern“. Eine kluge Erkenntnis.
       
       21 Jul 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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