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       # taz.de -- Rechte und Teilhabe von trans Menschen: Bio schwänzen ist erlaubt
       
       > Wie wichtig ist biologisches Wissen in der aktuellen Genderdebatte? Gar
       > nicht so, denn es geht mehr um die soziale Frage, findet unser Autor.
       
   IMG Bild: Mit ihren Körpern und Identitäten ins Reine zu kommen sollte allen Menschen zustehen
       
       Letztes Mal in dieser Kolumne habe ich geschrieben: „[1][Es ist möglich, in
       mehr als zwei [biologische] Geschlechter zu kategorisieren].“ Daraufhin hat
       mich ein Leser gefragt, ob das nicht alles unnötig kompliziert macht. Muss
       man sich mit Wissenschaftstheorie auskennen, um Genderpolitik verfolgen zu
       können? Gute Frage. Ich würde sagen, es schadet nicht. Ich finde auch,
       d[2][ass solche wissenschaftsphilosophischen Erkenntnisse spannend sind].
       Und ich finde, wer sich genderpolitisch auf Biologie bezieht, sollte sich
       unbedingt damit befassen.
       
       Ich gebe aber zu, dass Biologie gar nicht so brennend wichtig ist, wenn es
       darum geht, gleiche Rechte und Teilhabe von trans Menschen zu
       verwirklichen. Wichtiger ist, dass eine kritische Mehrheit [3][die aktuelle
       Situation] als ungerecht begreift und Verbesserungen einfordert. Dafür
       braucht es keinen Biounterricht. Das ist eine soziale Frage.
       
       „Warum reden wir also überhaupt über Biologie?“; hat mich der Leser
       gefragt. Ich glaube, dass es um das Verhältnis zu unserem Körper geht. Wenn
       wir „biologisch“ sagen, meinen wir eigentlich so etwas wie die materielle
       Realität unserer Körper. Denkendes, fühlendes Wesen zu sein ist aufreibend
       genug, wenigstens sind unsere Körper eine greifbare Materie, mit der wir
       fest in dieser Welt verankert sind. Die meisten Menschen beziehen eine
       gewisse Sicherheit aus der Idee, dass unser Mann- oder Frausein echt da
       ist, biologisch nachweisbar. Für cis Menschen, sprich: Menschen die nicht
       trans sind, ist es wichtig, dass das so bleibt. Dass die Identität im
       Körper verankert bleibt. Dass niemand kommt und sagt: Dein Frausein oder
       Mannsein hat es nie gegeben! Hast du dir nur vorgestellt! Ätsch!
       
       Ich höre immer wieder, wer biologisches Geschlecht hinterfragt, wolle
       „Frau“ und „Mann“ einfach abschaffen. Und zwar für alle. Auch für die, die
       sich mit einem dieser Wörter ihr ganzes Leben lang schon sehr gut und
       wohlgefühlt haben. Das will zwar niemand, aber diese Verunsicherung hält
       sich wacker. Dass Geschlecht viel mehr ist als Körper, haben wir längst
       begriffen, aber wir wollen das letzte Fetzchen objektiv nachweisbares
       Geschlecht nicht einfach hergeben. Weil dann könnte ja jemand kommen und …
       Und was? Ängste sind oft unfertige Sätze.
       
       Trans Leute wollen ebenfalls ihre Körper- und Selbstbilder miteinander in
       Einklang bringen. Manchmal hilft ihnen dabei eine medizinische Transition.
       Was ihnen nicht hilft ist, dass der Rest von uns bei Geschlecht unbedingt
       der Biologie das letzte Wort geben will. Das ist für viele trans Menschen
       eine Zumutung.
       
       Und jetzt? Ein unauflösbarer Widerspruch? Vielleicht, für den Moment.
       Vielleicht hilft es nicht, das krampfhaft klären zu wollen. Sondern sich
       darauf zu konzentrieren, dass alle Menschen die gleichen Chancen kriegen,
       mit ihren Körpern und Identitäten ins Reine zu kommen. Das ist dann keine
       Frage für die Bioprüfung, sondern eine des politischen Willens.
       
       22 Jul 2022
       
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