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       # taz.de -- Frauenfußball und sexuelle Gewalt: Schluss mit dem Schweigen
       
       > Vor dem EM-Auftakt der Niederländerinnen berichtet Trainerin Vera Pauw
       > von sexuellem Missbrauch durch Funktionäre zu ihrer Zeit als Spielerin.
       
   IMG Bild: Vera Pauw betreut das irische Nationalteam, das sich nicht für die EM qualifizieren konnte
       
       Amsterdam taz | Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs überschatten den
       Beginn dieser Europameisterschaft und zwar ausgerechnet bei den
       [1][niederländischen Titelverteidigerinnen]. Wenige Tage vor dem ersten
       Auftritt am Samstag gegen Schweden (21 Uhr) erklärte Vera Pauw, über 15
       Jahre lang aktiv für das Nationalteam der „Oranje Leeuwinnen“ und zwischen
       2004 und 2010 ihr Coach, als junge Spielerin „von einem prominenten
       Fußball-Offiziellen“ vergewaltigt worden zu sein. Später seien noch zwei
       sexuelle Übergriffe durch jeweils andere Männer hinzugekommen. Alle Täter,
       so Pauw, seien im niederländischen Fußball angestellt gewesen.
       
       „35 Jahre lang habe ich ein Geheimnis vor der Welt verborgen, meiner
       Familie, meinen Mitspielerinnen, meinen Spielerinnen, meinen Kolleginnen
       und mir selbst verborgen“, beginnt der Bericht auf ihrem Twitter-Account.
       Pauw, aktuell Coach des irischen Teams, das in der Qualifikation zur EM
       scheiterte, spricht von der „schwierigsten Sache meines Lebens“. Als
       Spielerin und Nationaltrainerin sei sie „systematischem sexuellen
       Missbrauch, Machtmissbrauch, Mobbing, Einschüchterung und Isolation“
       ausgesetzt gewesen.
       
       Schockierend sind nicht nur die Worte, mit denen Vera Pauw im Folgenden
       über Erinnerungen berichtet, die dreieinhalb Jahrzehnte lang ihr Leben
       bestimmt und ihr täglich Schmerz und Qualen bereitet hätten. Hinzu kommt,
       dass sie sich innerhalb der niederländischen Fußballstrukturen jahrelang
       vergeblich um Aufmerksamkeit für ihre Geschichte bemüht habe. Manche
       Personen hätten lieber geschwiegen als sie bei ihrem Weg an die
       Öffentlichkeit zu unterstützen. „Ich kann das Schweigen nicht länger
       teilen.“
       
       Einen Tag später meldete sich Piet Buter, als Bondscoach in den späten
       1980ern für die Leeuwinnen verantwortlich und später unter anderem
       technischer Direktor des FC Utrecht. Er habe 1985 eine kurze Affäre mit
       Vera Pauw gehabt, den Vorwurf der Vergewaltigung weist er jedoch zurück.
       „Das kann einfach nicht wahr sein. So bin ich nicht“, so Buter telefonisch
       zum Algemeen Dagblad. „Zu 100.000 Prozent sicher“ habe nichts ohne
       gegenseitiges Einvernehmen stattgefunden. Zudem könnten alte Erinnerungen
       „ein eigenes Leben bekommen“.
       
       ## Übergriffe auch bei Ajax Amsterdam
       
       In den Niederlanden stellt der Fall nun zum EM-Start die durchwachsene Form
       der Europameisterinnen in den Schatten. Seit Monaten tauchen in
       frappierender Regelmäßigkeit Fälle von sexuellen Übergriffen aus den
       verschiedensten Bereichen auf, wobei sich neben dem Showgeschäft auch der
       Fußball hervortut.
       
       Große Aufmerksamkeit [2][gab es um Marc Overmars,] der im Winter als
       Ajax-Direktor gehen musste, weil er weibliche Angestellte fortwährend mit
       sexuellen Nachrichten belästigt hatte, unter anderem mit „dick pics“. Das
       NRC Handelsblad folgerte, bei Ajax herrsche „eine Kultur, in der sexuelles
       Fehlverhalten gedeihen kann“ und zitiert eine Betroffene: „Wenn du als Frau
       keine dicke Haut hast bei Ajax, wird es schwierig.“
       
       Der mangelhafte Umgang mit solchen Fällen beim Renommierclub des Landes war
       bereits im Winter massiv kritisiert worden. Wie erbärmlich er tatsächlich
       war, macht eine Aussage der ehemaligen Spielerin Daphne Koster deutlich.
       Laut der heutigen Managerin der Ajax-Frauen war Overmars’ Verhalten unter
       Spielerinnen schon während ihrer aktiven Zeit zwischen 2012 und 2017
       bekannt. Weil es sich jedoch um den Technischen Direktor des Klubs
       gehandelt habe, hätten sie geschwiegen. „Es gibt Angst, das zu melden. Das
       sorgt dafür, dass so etwas in einer Organisation gedeihen kann.“
       
       Vera Pauw, die in den Niederlanden nicht nur als Pionierin des
       Frauenfußballs gilt, sondern auch als Wegbereiterin des Aufschwungs des
       Nationalteams, hat inzwischen Anzeige erstattet. Die niederländische
       Sportsoziologin Froukje Smits hält den Fall derweil [3][für die „Spitze des
       Eisbergs“] und kritisiert das maskuline Verhalten, das „sehr tief in der
       Fußballkultur“ stecke. In einem Interview mit der niederländischen
       Fachzeitschrift Voetbal International hatte sich Pauw bereits vor zwei
       Jahren über sexuelle Einschüchterung und Männerkultur in ihrem Sport
       beklagt.
       
       Der Fußballverband KNVB gab sich in einem Statement „sehr erschrocken“.
       Nachdem Vera Pauw den Verband im letzten Jahr über die Situation informiert
       hatte, habe man eine unabhängige Untersuchung veranlasst, für die 22
       Personen befragt wurden. Daraus gehe hervor, der Verband habe „einige Dinge
       anders angehen müssen“. Auch sei man unzureichend alarmiert gewesen, als
       von Pauw 2011 „erste Signale“ über sexuell grenzüberschreitendes Verhalten
       ausgingen. Es sei „inakzeptabel“, dass sie nicht die sichere
       Arbeitsumgebung erfahren habe, die ihr zustünde.
       
       9 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Müller
       
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