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       # taz.de -- Tennisprofi Kyrgios im Wimbledon-Finale: Großmaul vor Krönung
       
       > Mit dem Australier Nick Kyrgios steht die Reizfigur des Tennissports im
       > wichtigsten Finale. Sein neues Team verhilft ihm zu mehr Konstanz.
       
   IMG Bild: Unterhaltungsgarant: Nick Kyrgios kämpft gegen die steifen Formen von WImbledon an
       
       Es ist noch nicht lange her, da ging Nick Kyrgios das größte Tennisturnier
       der Welt noch „ziemlich auf den Geist.“ Alles sei so „unentspannt und
       verkrampft“ im All England Lawn Tennis Club, mehr „Partystimmung“ sei
       dringend nötig: „Hier muss mal frischer Wind rein. Das ist viel zu muffig
       und angestaubt hier.“
       
       Viele Jahre fiel Kyrgios auch an der Church Road durch Eskapaden und
       Exzesse auf, einen Schiedsrichter nannte er einst „dreckigen Abschaum“,
       einem anderen Unparteiischen schleuderte er sein Missfallen so entgegen:
       „Neuerdings holen sie die Leute wohl von der Straße.“ Zehntausende Dollar
       hat der exzentrische Australier, [1][die Reizfigur schlechthin in seinem
       Sport], schon aufs Bußgeldkonto des Klubs überweisen müssen. Auch in diesem
       Jahr kamen Strafen für eine Spuckattacke in Richtung eines Fans und
       unflätige Beschimpfungen in der denkwürdigen Partie gegen den Griechen
       Stefanos Tsitsipas hinzu.
       
       Aber nun greift Kyrgios als Finalist des Turniers auf einmal nach den
       Grand-Slam-Sternen, er ist in Schlagdistanz zur wertvollsten Trophäe der
       Welt. Im Halbfinale musste er zwar nichts mehr für diesen Überraschungscoup
       tun – sein Konkurrent Rafael Nadal zog seinen Start wegen einer
       Bauchmuskelverletzung zurück –, aber dass der 27-Jährige das sportliche
       Format für eine Thronbesteigung besitzt, ist in Fachkreisen unbestritten.
       „Wenn Kyrgios an seinem Limit spielt, auf der Höhe seiner Kunst“, sagt der
       frühere schwedische Weltranglisten-Erste Mats Wilander, „dann ist er einer
       der Allerbesten, dann kann er jeden schlagen.“
       
       Obwohl Kyrgios sich gerade weitestgehend als frommer Wettkämpfer
       präsentierte, ging es auch dieses Mal nicht ohne Drama ab. Auf der
       Zielgeraden des Turniers liefen Meldungen aus der fernen Heimat ein, wonach
       Kyrgios Anfang August wegen eines tätlichen Übergriffs auf seine frühere
       Freundin Chiara Passari [2][vor Gericht für eine Anhörung erscheinen
       müsse.] In London äußerte er sich auf Anraten seiner Anwälte nicht zu den
       Vorwürfen.
       
       ## Unbeeindruckt von Problemen
       
       Erstaunlich genug, dass Kyrgios seine Sinne trotz der schwelenden
       juristischen Auseinandersetzung so weit beisammen hatte, um die ersten fünf
       Wimbledon-Matches zu gewinnen. Schon sein Halbfinal-Vorstoß war das
       Erforschen einer neuen Tenniswelt. Einst hatte er gesagt: „Es fällt mir
       schwer, bei den Majors zwei Wochen die Spannung aufrechtzuerhalten.“ Tennis
       öde ihn ja manchmal an, so Kyrgios, „da denke ich, ich hätte mir einen
       anderen, nicht so langweiligen Sport aussuchen sollen.“
       
       Kyrgios’ Mutter Nill äußerte gegenüber dem Sydney Morning Herald die
       Vermutung, ihr Sohn habe sich in den letzten Monaten erstmals so richtig
       der Welt geöffnet: „Er führt jetzt ein ganz anderes Leben, normaler
       irgendwie“, so die Mama, „er setzt sich nicht in sein Zimmer und verbringt
       seine Zeit stundenlang an der Playstation.“ Sie sei erfreut, dass sie
       „Bilder von Nick am Big Ben“ gesehen habe: „Da wollte er früher nie hin.“
       In der Umgebung seines neuen Teams fühle er sich „richtig wohl, das gibt
       ihm eine andere Sicherheit“.
       
       Kyrgios selbst sprach zuletzt über die sehr dunklen Zeiten in seinem Leben,
       vor drei Jahren habe er alle möglichen Probleme gehabt und sich auch mit
       Selbstmordgedanken getragen. Es sei die „Hölle gewesen“, berichtete
       Kyrgios. Er gab auch eine Episode zu Protokoll, bei der sein Agent ihn früh
       morgens um vier Uhr aus einem Pub geschleppt habe – vor der
       Zweitrundenpartie gegen Nadal in Wimbledon 2019.
       
       Nun hat er sich auch dank psychologischer Hilfe und der Unterstützung des
       „Teams Kyrgios“, allen voran Fitnesscoach Will Maher, zu bisher ungekannten
       Höhen aufgeschwungen. Kürzlich hatte er großmäulig behauptet, er sei eine
       der „wichtigsten Personen“ in seinem Sport, einer der fünf besten
       Rasenspieler. Mancher lachte da über ihn. Aber vielleicht lacht Kyrgios am
       Sonntag als Letzter.
       
       10 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rekord-von-Tennisprofi-Novak-okovic/!5752830
   DIR [2] https://www.sport1.de/news/tennis/2022/07/bad-boy-kyrgios-in-australien-vorgeladen
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Allmeroth
       
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