URI: 
       # taz.de -- Nazi-Szeneanwalt vor Gericht: Neue Qualität der Kriminalität
       
       > In der rechtsextremen Szene tummeln sich auch Anwälte. Dirk Waldschmidt
       > ist einer von ihnen. Er steht wegen Geldwäschevorwürfen vor Gericht.
       
   IMG Bild: Szeneanwalt Dirk Waldschmidt beim NSU-Prozess 2013
       
       Berlin taz | Am Montag wird Dirk Waldschmidt wieder den Saal in der
       Erfurter Messe betreten, den das Landgericht eigens für die Großverhandlung
       gegen die rechtsextremen Turonen angemietet hat. In Handschellen werden
       Justizbeamte den Anwalt zur Anklagebank führen, direkt aus der U-Haft.
       
       So wie vor anderthalb Wochen, zum Prozessauftakt. Damals humpelte
       Waldschmidt in Jogginghose zu seinem Platz, blickte blass und verloren
       drein. Dabei ist klar: Von den neun Angeklagten ist er hier der
       schillerndste.
       
       Denn Waldschmidt ist seit Jahren ein prominenter Anwalt der rechtsextremen
       Szene – und selbst Teil davon. Der 57-Jährige aus dem kleinen hessischen
       Schöffengrund war mal Vize-Chef der Hessen-NPD, trat zuletzt bei der
       rechtsextremen Splitterpartei „III. Weg“ auf. Immer wieder vertrat
       Waldschmidt Neonazis vor Gericht, kurzzeitig auch den Lübcke-Mörder Stephan
       Ernst. Damit gehört er zu den bekanntesten Szeneanwälten bundesweit.
       
       Aber Waldschmidt beließ es offenbar nicht dabei. Denn nun steht er selbst
       vor Gericht: Vorgeworfen wird ihm Geldwäsche, die er zusammen mit den
       Turonen begangen haben soll.
       
       Die Thüringer Neonazis gründeten sich 2015 als rockergleiche Bruderschaft,
       organisierten zunächst Rechtsrockkonzerte. Laut Anklage stiegen sie
       spätestens im Herbst 2019 dann auch ins Drogengeschäft ein, handelten in
       großem Stil mit Kokain, Crystal, Marihuana. Bis acht von ihnen im Februar
       2021 festgenommen wurden – darunter Waldschmidt, bei dem damals ein
       verbotener Elektroschocker gefunden wurde.
       
       ## Enger Kontakt zu neonazistischer Rockerbruderschaft
       
       Waldschmidt hält seit Jahren Kontakt zu den Turonen, die Anklage attestiert
       ihm ein „enges freundschaftliches Verhältnis“, vor allem zum Anführer
       Thomas W., einem verurteilten Schläger. Zwei mit W. befreundete Thüringer
       Neonazis vertrat der Anwalt vor Gericht. Der Bund ist so eng, dass
       Waldschmidt laut Anklage zum „Ehrenturonen“ ernannt wurde.
       
       Und der Hesse brachte sich in der Truppe offenbar tatkräftig ein. Im
       „Clubhaus“ der Turonen in Gotha soll er Geräte für den Sportraum gestellt
       und geplant haben, dort eine Zweigstelle seiner Kanzlei einzurichten – um
       so Durchsuchungen zu erschweren. Für die Gruppe erwarb er im Januar 2020
       zudem ein zweites Gebäude für 65.000 Euro, das als Bordell vorgesehen war.
       Den Preis soll Turonen-Anführer Thomas W. vorgegeben haben.
       
       Auch wirft ihm die Anklage die „Abschottung der Bandenstruktur“ vor. So
       soll es Waldschmidts Auftrag gewesen sein, Mitglieder juristisch zu
       vertreten und dafür zu sorgen, dass diese bei der Polizei schweigen. In
       einem Fall habe er sogar einem Inhaftierten Schweigegeld angeboten.
       
       Auch der Lübcke-Mörder Ernst hatte ausgesagt, Waldschmidt habe ihm geraten,
       nichts zu Mittätern zu sagen – im Gegenzug werde die rechtsextreme Szene
       seine Familie finanziell unterstützen. Waldschmidt bestritt das. Die
       Turonen aber druckten für den Hessen sogar eigene T-Shirts: „Freiheit
       sponsored by RA Waldschmidt“ prangte darauf.
       
       ## Bandenmitglieder pro forma als „Facility Manager“ eingestellt
       
       Noch zentraler soll aber Waldschmidts Rolle bei der Geldwäsche der
       Drogengelder gewesen sein. Dafür soll der Hesse eigens eine Immobilien GmbH
       gegründet und eine weitere über seine Frau laufen gelassen haben. Dort und
       in seiner Kanzlei stellte er auf dem Papier vier Bandenmitglieder als
       „Facility Manager“ oder Büromitarbeiter ein, darunter die Lebensgefährtin
       von Anführer Thomas W., und zahlte ihnen monatlich zwischen 900 und 1.600
       Euro. Insgesamt summierten sich die Gehälter über die Zeit auf mehrere
       Zehntausend Euro. Tatsächlich gearbeitet aber hatte laut Anklage niemand
       der „Angestellten“.
       
       Das Geld für die „Löhne“ soll Waldschmidt zuvor in bar von der Gruppe
       bekommen haben und auf Konten seiner Frau oder seines minderjährigen Sohnes
       Martin (Name von Redaktion geändert) eingezahlt haben, mit Betreff
       „Darlehen“ oder „diverse Geldgeschenke für Martin“. Waldschmidt selbst soll
       sich davon mehrere Tausend Euro als „Entlohnung“ abgezweigt haben. Zudem
       soll er in einem anderen Fall von einem Mann 35.000 Euro für angebliche
       Drogenschulden erpresst haben. Dafür ließ er sich in einem Erbschaftsstreit
       des Mannes als sein Anwalt mandatieren und das gewonnene Geld auf sein
       Konto überweisen.
       
       Und es ging den Turonen nicht ums reine Geschäftemachen: Laut Anklage
       diente das Drogengeld auch dazu, die Existenz der Gruppe „dauerhaft zu
       sichern“. Zudem wurde damit ebenso ein Szeneheld unterstützt: der Thüringer
       NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben. Auch ihn soll Waldschmidt zum Schein
       als IT-Mitarbeiter angestellt und ihm über zehn Monate lang je 450 Euro
       überwiesen haben – ohne dass der Neonazi je Dienste geliefert haben soll.
       Auch Wohlleben wurde im Februar 2021 bei den Turonenrazzien durchsucht,
       gilt aber bisher nicht als Beschuldigter.
       
       ## Fall Waldschmidt „eine neue Qualität“
       
       Waldschmidt selbst schweigt bisher im Prozess zu den Vorwürfen gegen sich.
       Verteidigt wird er dabei ebenfalls von zwei Szeneanwälten: Nicole
       Schneiders, einst bei der NPD aktiv, und Steffen Hammer, früher Sänger der
       Rechtsrockband Noie Werte, die etwa dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess
       ein Lied widmete.
       
       Und den Turonen-Anführer Thomas W. vertritt wiederum Olaf Klemke, den der
       Verfassungsschutz gleichfalls also Szeneanwalt bezeichnet und der im
       NSU-Prozess Ralf Wohlleben vertrat. Es sind sie und andere, die bundesweit
       ein Netzwerk bilden und immer wieder Gesinnungskameraden vor Gericht
       vertreten.
       
       Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer hat dieses Netzwerk im
       Blick. „Dass Anwälte mit rechtsextremem Gedankengut die Szene stützen, ist
       nicht neu“, sagt er der taz. Der Fall Waldschmidt aber sei „eine neue
       Qualität“. „Dass ein Szeneanwalt derart ungeniert in der Organisierten
       Kriminalität mitzumischen scheint, ist neu. Hier gerät etwas ins Rutschen
       und das werden wir weiter sehr genau beobachten.“
       
       Dirk Waldschmidt mischt vorerst nicht mehr mit. Er sitzt nun schon seit
       anderthalb Jahren in U-Haft – seine Haftbeschwerden wurden abgewiesen. Das
       Urteil gegen ihn und die Turonen soll im Dezember fallen. Dem 57-Jährigen
       könnten dann mehrere weitere Jahre Haft drohen – und ein lebenslanges
       Berufsverbot als Anwalt.
       
       10 Jul 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Rechtsanwalt
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR NSU-Prozess
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rechtsextreme Drogenhändler in Thüringen: Neonazis müssen ins Gefängnis
       
       Sechs „Turonen“ wurden verurteilt, weil sie Drogen verkauften und Geld
       wuschen. Linke und Grünen beklagen, das Urteil gehe nicht weit genug.
       
   DIR Prozessauftakt gegen Turonen: Wenn Nazis mit Drogen handeln
       
       Einst organisierten die Turonen Rechtsrockkonzerte, dann stiegen sie ins
       Drogengeschäft ein. Nun stehen sie vor Gericht, unter ihnen ein
       Szeneanwalt.
       
   DIR Razzien gegen Thüringer Turonen: Zweiter Schlag gegen Neonazi-Dealer
       
       In Thüringen wurden die rechtsextremen Turonen zum zweiten Mal durchsucht,
       sieben von ihnen verhaftet. Es geht um mutmaßliche Drogengeschäfte.
       
   DIR Neonazis und organisierte Kriminalität: Drogen, Nazis, ein Bordell
       
       Sie nennen sich Turonen. Jahrelang blieben sie ungestört. Jetzt sitzen acht
       in Haft. Die Vorwürfe gegen die Truppe: Drogenhandel und Geldwäsche.