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       # taz.de -- Urlaub einmal ungeplant: Lasst die Spontaneität im Koffer!
       
       > Unser Autor nimmt sich für seinen Urlaub nach Split vor, spontan zu sein.
       > Das Vorhaben scheitert. Über ein Konzept, das mehr verspricht, als es
       > hält.
       
   IMG Bild: Croissants zum Frühstück in Split? Spontanität im Urlaub muss auch organisiert sein
       
       Urlaub soll das Gegenteil von Alltag sein. Bloß weit weg von der Tretmühle
       aus Terminen, Verpflichtungen, Kompromissen, Monotonie. Um 6.30 Uhr weckt
       einen seit Jahren derselbe Coldplay-Song, die Haferflocken landen in der
       immer selben Müslischale, arbeiten, einkaufen, Abendbrot, Wäsche machen,
       putzen, schlafen – im Hamsterrad des Lebens gibt es kaum Raum für
       Spontanes, fast alles läuft nach einem bekannten Muster. Ich liebe das.
       
       Auch im Urlaub möchte ich ungern etwas dem Zufall überlassen. Ich mag es,
       weit im Voraus zu planen, wo es hingeht, was ich an den jeweiligen Tagen
       unternehme, wo ich morgens und abends esse. Meine Freund:innen sehen das
       allerdings anders. Entspannung, sagen sie, bedeute, eben keinen Plan zu
       haben, keine festen Termine – einfach alles auf sich zukommen zu lassen und
       in den Tag hinein zu leben. Also habe ich mich dieses Jahr vom Gegenteil
       überzeugen lassen: Ich will spontan sein!
       
       Der Plan lautet: Ich mache einen Kurzurlaub, habe aber keine Ahnung, wo es
       hingeht – und kann deshalb auch keine Aktivitäten im Voraus planen. Eine
       Freundin bucht ein Surprise-Flugticket für mich, am Flughafen erfahre ich:
       Es geht nach Split. Ich google kurz, und mit den ersten Suchergebnissen
       steigt Vorfreude in mir auf: eine Stadt an Kroatiens Adriaküste, das Meer
       hat 19 Grad, die Luft in den kommenden Tagen nie mehr als 24 Grad.
       Traumhaft.
       
       Während ich im Flugzeug am Orangensaft nippe, nehme ich mir fest vor, erst
       mal alles auf mich wirken zu lassen und jeden Tag aufs Neue zu entscheiden,
       was ich mache. Diese Spontaneität, das wohl meist ausgerufene Ziel aller
       Reisenden in ihren Zwanzigern bei der Vorbereitung auf den Urlaub – ich
       will lernen, sie zu lieben!
       
       Am Zielflughafen angekommen die erste Irritation: Nach Split fliegen heißt
       nicht in Split landen. Ich suche einen Shuttlebus in die Stadt. Nach einer
       Weile finde ich die Abfahrtsstelle, stelle mich geduldig in die
       Warteschlange vor den Bus, nur um einige Minuten später festzustellen, dass
       die Busfirma nur die landeseigene Währung in bar akzeptiert. Die Suche nach
       einem Geldautomaten beginnt, der zügige Fund ist erfreulich, die miserablen
       Umtauschkonditionen und das Gefühl, vom Busunternehmen abgezogen zu werden,
       sind es sehr viel weniger. Meine gute Laune fängt an zu bröckeln. Hätte ich
       diesen Urlaub im Voraus geplant, wäre so etwas nicht passiert.
       
       In Split finde ich immerhin schnell – und ganz spontan – ein Hostel, das
       ein freies Bett hat. Dort knüpfe ich auch erste Kontakte zu drei
       Miturlauber:innen, mit denen ich die nächsten Tage verbringen werde.
       Als ich später am Abend ins Doppelstockbett steige, glaube ich noch an die
       Möglichkeit, dass ich die Spontaneität im Urlaub zu schätzen lernen werde.
       
       ## Das Versprechen magischer Momente
       
       Am nächsten Morgen googeln wir mit leeren Mägen nach Frühstückscafés. Wo
       stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis? Wo gibt es irgendwas ohne Fleisch?
       Und welches Café ist überhaupt fußläufig erreichbar? Es zeigt sich, dass
       spontane Entscheidungen in Gruppen noch schwieriger sind, als wenn man
       allein ohne Plan drauflos stolpert.
       
       Nach einer Stunde finden wir endlich einen Konsens und eilen durch die
       Altstadt Splits. Als wir vor dem Café ankommen, herrscht ausgelassene
       Stimmung: Die Essenstafeln vor dem Lokal gleichen dem Online-Auftritt, hier
       findet ganz sicher jede:r etwas. Doch als wir freudig unsere Bestellung
       aufgeben, erklärt die Kellnerin: „Sorry guys, our breakfast menu ist just
       till 10 a.m.“ Kein Frühstück nach 10. Ich denke wehmütig an Rührei mit
       Tomaten, ein knuspriges Croissant und frischgepressten Orangensaft – und
       verfluche die vielgerühmte Spontaneität.
       
       Denn je mehr Erfahrungen ich mit ihr sammle, desto mehr bekomme ich das
       Gefühl, dass es dabei vor allem darum geht, sich selbst zu versichern, dass
       man überhaupt noch aus dem Alltagstrott ausbrechen kann. Spontaneität an
       sich ist gar nicht so erstrebenswert, sie ist nur die Negation des Alltags
       und die Abwesenheit von Terminzwängen.
       
       Dazu kommt die Fülle an Kompromissen, die Urlauber:innen bei spontanen
       Entscheidungen für ein Reiseziel eingehen müssen: Ja, eine Abendkarte im
       Restaurant mit nur einer vegetarischen Option geht schon klar, aber mehr
       wäre natürlich schön. Die gut gemeinten Kompromisse katapultieren mich
       sofort zurück in den Berufsalltag.
       
       Im Urlaub will ich so wenige Kompromisse wie möglich eingehen. Nur das
       machen, was ich will, was ich mag und was mir gut tut. Und das geht eben am
       besten, wenn ich Zeit habe, mich darauf vorzubereiten; mal ganz abgesehen
       von der Vorfreude, die nun mal nicht neben der Spontaneität existieren
       kann.
       
       Die Gesellschaft hält trotzdem an dem positiven Framing von Spontaneität
       fest. Spontaneität ist attraktiv. Gerade Menschen in ihren Zwanzigern,
       Millennials und Generation Z, fühlen sich von Menschen angezogen, denen es
       leicht fällt, spontan zu sein, und suchen diese Eigenschaft oft explizit
       bei potenziellen Date-Partner:innen.
       
       Bei der Frage, was die Person, die er oder sie datet, so großartig macht,
       höre ich deshalb oft Sätze wie: „Hach, er ist so spontan! Gestern haben wir
       uns einfach um 18 Uhr noch mal aufs Fahrrad gesetzt und sind zum
       Teufelsberg gefahren, um den Sonnenuntergang anzuschauen.“ Die geheime
       Zauberformel für Attraktivität lautet offenbar: Spontan sein oder Harry
       Styles heißen.
       
       Hinter der Suche nach der Charaktereigenschaft verbirgt sich das
       Versprechen, dass Spontaneität magische Momente schafft.
       
       Der Realitätscheck: Als sich der zweite Tag in Split dem Ende zuneigt,
       sitze ich im Aufenthaltsraum des Hostels. Die neue Staffel „[1][Stranger
       Things]“ läuft, und draußen gießt es in Strömen. Nial, ein 24-jähriger Typ
       aus Irland, ist schon den ganzen Abend etwas unruhig. In dem Moment, als
       die erste Person im Raum zum Gähnen ansetzt, schlägt er vor, doch noch eine
       Bar anzusteuern. Die Augen einiger Hostelmitbewohner:innen um mich
       herum glänzen: Ist das ein weiterer spontaner und damit potenziell
       magischer Moment im Urlaub? Als wir nass in der Bar ankommen und der
       Kellner uns mitteilt, dass das unsere erste und auch letzte Bestellung sei,
       weil sie gleich schließen, ist klar: Nein.
       
       Nächstes Jahr will ich Albanien bereisen. Aber sicher nicht spontan. Lieber
       besorge ich mir einen Reiseführer vorab, plane die Tage durch und erkundige
       mich über jedes noch so kleine Detail zu dem Reiseziel. Dass am Ende
       ohnehin alles anders kommt, ist klar. Spontane Entscheidungen müssen
       manchmal auch durch äußere Umstände getroffen werden. Das ist völlig okay.
       Nur erzwungene Spontaneität packe ich nicht mehr in den Koffer.
       
       25 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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