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       # taz.de -- Putin sucht Freunde: Zuschauer beim Weltenbrand
       
       > Unser Autor sitzt wegen Corona in häuslicher Isolation und muss bei
       > Weltenbrand, Krieg und Energiekrise zusehen. Und das bei der Hitzewelle.
       
   IMG Bild: Das mit der Isolation klappt bei unserem Autor besser als bei Wladimir Putin. Der Kreml-Killer reist seelenruhig von einem kriminellen Kumpel zum anderen Ölkunden. Hier in Teheran
       
       Jetzt kam schon wieder was dazwischen. Auf dem Weg zu den guten Taten, die
       ich mir seit Silvester vorgenommen hatte und mit denen ich in dieser Woche
       endlich prahlen wollte, wurde ich von Corona aufgehalten. Zack, positiv,
       nach zweieinhalb Jahren konnte ich nicht mehr ausweichen und musste zu
       Hause bleiben, wodurch mein einziger, aber wichtiger Beitrag zur deutschen
       Verteidigungsbereitschaft entfiel: die Hütung des taz-Tores.
       
       Mehr Opferwillen kann niemand verlangen, als die Fußballer*innen dieser
       Zeitung in jedem Spiel vorleben. Schnitte sich davon jeder eine Scheibe ab,
       müsste uns weder vor dem nächsten Hitzeschock noch vor dem Gasstopp bange
       sein. Die taz-Panter überstanden das heiße Kellerderby gegen Radio Eins
       auch ohne mich gewohnt sieglos.
       
       Was konnte ich jetzt noch Gutes tun, bei 39 Grad im Schatten, beschränkt
       auf wenige Quadratmeter im Hotoffice? Im ersten Lockdown war das sinnlose
       Herumsitzen und Nichtstun ja noch toll. Faule Stubenhocker wurden plötzlich
       als rücksichtsvolle Helden gefeiert. Bravo, schon zwanzig Stunden auf dem
       Sofa vor der Glotze, Chapeau! Heute fühlt sich tatenlos herumzuschwitzen
       nicht mehr wirklich gut an. Krieg und Klimakrise sind zu offensichtlich, um
       unbeschwert zu dösen. Irgendetwas sollte man doch tun, um den Weltenbrand
       zu löschen. Ich kann nur zu den verreisten Nachbarn gehen und Blumen
       gießen. Immerhin.
       
       Das mit der Isolation hat bei mir auf jeden Fall besser hingehauen als bei
       Wladimir Putin. Während ich als braver Panter im weichen Gang geschmeidig
       starker Schritte durch die eigene Wohnung gehe, mich nur im allerkleinsten
       Kreise drehe und nicht einmal die eigene Verwandtschaft sehe, [1][reist der
       Kreml-Killer seelenruhig] von einem kriminellen Kumpel zum anderen
       Ölkunden, trifft die Brics- und demnächst auch die G20-Staatenlenker, ach,
       und hier noch einen kleinen Schwenker zum feinen Nato-Mitglied Erdoğan.
       
       Den Boykott Putins hatte sich der Westen irgendwie anders vorgestellt. Doch
       der russische Angriffskrieg in der Ukraine scheint dem Rest der Welt leider
       genauso egal zu sein, wie dem Westen viele Kriege vorher egal gewesen sind,
       die eigenen inbegriffen. Von den parallel immer noch laufenden und
       tolerierten Kriegen wie im Jemen und in Kurdistan mal ganz zu schweigen. Da
       hilft das schlechte Gewissen, das jetzt auch mich beschleicht, nicht viel.
       
       Wenigstens, und da werde ich nun doch ein bisschen neidisch, haben die
       westlichen Staatenlenker viel Gesellschaft. Während mir nach einer Woche
       Quarantäne längst so ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend
       Stäben keine Welt, lernen Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Robert Habeck und
       Ursula von der Leyen laufend neue Freunde kennen. Nach dem sympathischen
       Emir von Katar und dem netten Ägypter Sisi in dieser Woche nun den
       „zuverlässigen und vertrauenswürdigen“ Alleinherrscher von Aserbaidschan,
       wie ihn von der Leyen nennt. [2][Kein Russe zu sein], reicht inzwischen
       aus, um von der EU gelobt, geherzt und mit Geld überschüttet zu werden.
       Jetzt erschließt sich auch der Sinn der guten Kontakte korrupter
       CDU-Politiker nach Baku.
       
       Doch während ich mich noch schön scheinheilig echauffiere, flattert schon
       die Nebenkostenabrechnung herein. Ich habe ja gerade genug Zeit, um alles
       genau durchzulesen und, was soll ich sagen, ich werfe sicher nicht den
       ersten Stein, wenn wieder bei einem Diktator Gas und Öl gekauft wird,
       [3][der nicht ganz so schlimm wie Putin ist]. Die einzige Moral von der
       Geschicht: Auch im Winter wollen wir Licht.
       
       Und doch noch Good News: Arme Leute, die ihre Rechnungen nicht mehr
       bezahlen können, heißen nicht mehr Hartzer, sondern Bürger. Viel mehr Geld
       kriegen sie zwar trotzdem nicht, aber mit etwas Glück setzt der linke
       Flügel der Grünen bei den Verhandlungen mit der FDP bestimmt noch durch,
       dass die neue Sozialhilfe am Ende Bürger*innengeld genannt wird.
       
       Damit die westliche Welt vorher nicht ganz untergeht, wünsche ich Joe Biden
       nun einen ähnlich milden Verlauf wie mir. Schönes Wochenende!
       
       24 Jul 2022
       
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