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       # taz.de -- Notwendiger Abschied von Gefährtinnen: Gar nicht mehr beste Freundinnen
       
       > Es ist Sommerpause. So hat unsere Kolumnistin auch mal Zeit, um
       > herauszufinden, wieso sie offensichtlich ein unausstehlicher Mensch
       > geworden ist.
       
   IMG Bild: Sommerlich durchhängen – Zeit für eine Analyse
       
       Sommerferien. Auf meinem Radiokolumnensendeplatz laufen Wiederholungen, und
       daran, wie entspannt ich bin, merke ich, wie anstrengend eine wöchentliche
       Kolumne ist.
       
       Ständig filterst du alle Wahrnehmungen nach verwertbaren Anekdoten. Jede
       Wunde, die dir zugefügt wird, musst du künstlich vergrößern, um den Schmerz
       als Material zu benutzen, damit andere darüber lachen können.
       
       Nun ist Sommerpause, und ich darf einfach so verletzt sein. Ich hab nämlich
       zwei meiner engsten Freundinnen verloren. Ich bin offensichtlich ein
       unausstehlicher Mensch geworden. Nun nutze ich die Ferien, um
       herauszufinden, wie das passieren konnte.
       
       Vielleicht fing alles mit meinem Therapeutinnenwechsel an. Ich mach jetzt
       Analyse. [1][Die neue Therapeutin] sagt gar nichts. Sie guckt nur. Und
       brummt. Sie macht nicht mal Notizen. Manchmal stellt sie eine Frage. Und
       irgendwann guckt sie auf die Uhr und sagt: „Die Zeit ist jetzt leider um.“
       Und es ist absolut irre für mich, einen Raum zu haben, in dem ich das ganze
       Gepäck mal abstellen und ordnen kann, das ich so mit mir rumschleppe, und
       ich hab tatsächlich nicht das Gefühl, der Frau zu viel zu sein.
       
       Das bin ich nämlich meistens. Zu viel. Zu laut. Zu direkt. Auf der Bühne
       mag das noch angehen. Da hat mein überbordendes So-Sein einen ordnenden
       Rahmen, mein innerer Freak eine Manege, in der er im Kreis rennen und Faxen
       machen kann, bis das Publikum vor Lachen von den Stühlen fällt. Aber im
       persönlichen Umgang schien das für andere unerträglich. Dachte ich.
       
       ## In entgegengesetzte Richtungen bewegt
       
       Und dann ging es mit meiner besten Freundin auseinander. Wir waren seit 20
       Jahren die engsten Gefährtinnen, aber unmerklich hatten wir uns in
       entgegengesetzte Richtungen entwickelt, was die Lebensentwürfe betraf,
       politische Überzeugungen, Sichtweisen. Und dann krachte es mit der zweiten
       Freundin. Beide eint, dass sie sich selbst nicht wichtig nehmen und keine
       Ansprüche erheben. Sie sprechen nicht einmal für sich. Sie verteidigen ihre
       Kinder, schimpfen über ihre Partner.
       
       Nie sagen sie, was sie selbst wollen oder auch nur brauchen. Nie würden sie
       etwas fordern. Und meine Rolle als Freundin war die der Zuhörerin all ihrer
       Klagen. Ich sollte Mitleid spenden, Advocatus Diaboli spielen, damit sich
       das Elend nachher nicht mehr so elend anfühlte. Ich konnte nicht mehr
       ertragen, wie klein sie sich machten. Und sie fanden mich zu groß, zu laut,
       zu fordernd.
       
       Ich hab mich nie zuvor getrennt. Ich fand mich selbst so schrecklich, dass
       ich nur dankbar war, wenn jemand anderes es überhaupt mit mir aushalten
       wollte. Wahrscheinlich ist dieser Selbsthass das Problem. Also dessen
       Abhandenkommen. Eine verunsicherte 25-Jährige, die [2][in verrauchten
       Kneipen auf Lesebühnen] steht und Geschichten über schlechten Sex vorliest,
       ist nun mal leichter zu mögen als die 40-jährige Romanautorin mit Kind, die
       jeden Montag im Radio rumnervt.
       
       ## Unsichtbarkeit abschaffen
       
       „Gehört das wirklich hierher?“, fragte jemand auf Twitter, als ich schrieb,
       dass sich die Trennungen richtig anfühlen. Und ich dachte, genau das ist
       der Kern des Problems. Frauen sollen und (und das macht mich so wütend)
       wollen die Klappe halten. Leise, dünn und flexibel sein. Auf jeden Fall
       nicht bedrohlich. Frauen sollen sein wie Tampons. Aufnahmefähig, sauber,
       unsichtbar, hilfreich. Leicht zu entsorgen. Auf keinen Fall sollen Frauen
       ihre als privat definierten Konflikte in die Öffentlichkeit tragen.
       
       Genau das ist aber mein Job. Und der aller schreibenden, performenden und
       irgendwie sichtbaren Frauen. Ich eigne mich gut als Zielscheibe. Denn ich
       bin laut, ich stehe auf der Bühne, und ich mache jedes meiner Probleme zum
       Politikum. Denn das Private ist politisch.
       
       24 Jul 2022
       
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