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       # taz.de -- Sexismus-Debatte wegen Lied „Layla“: Schluss mit der Scheinheiligkeit
       
       > Über den Song „Layla“ wird viel diskutiert. Über das wirkliche Problem
       > spricht aber niemand: den fehlenden Schutz von Frauen im
       > Prostitutionsgewerbe.
       
   IMG Bild: Schätzungen zufolge nehmen eine Million Männer täglich sexuelle Dienstleistungen in Anspruch
       
       Als ich 15 Jahre alt war, versuchten meine Freunde und ich immer samstags
       in diesen einen Club in Würzburg zu kommen. Das war natürlich aufregend,
       weil wir, aufgedreht durch Energy-Bier-Alkopops, jedes Mal bangten, ob wir
       mit unseren schlecht aufgemalten Stempeln auf dem Handgelenk reinkommen
       würden. Der Weg zum Club führte durch das Industriegebiet, da war nicht
       mehr als eine Tankstelle und ein McDonald’s und dieser eine Campingwagen.
       In dem brannte immer rotes Licht, manchmal kamen Männer heraus. Mit 15
       verstanden wir natürlich schon, dass das Freier waren. Wenn die Jungs aus
       unserer Gruppe Mut demonstrieren wollten, rannten sie zum Campingwagen,
       klopften an die Tür und rannten dann lachend weg.
       
       Ich habe diesen Campingwagen viele Male gesehen, er gehörte unhinterfragt
       zu diesen Jahren zwischen 15 und 17, zu unseren Clubbesuchen dazu. Als
       kürzlich dann eine [1][Diskussion über den Schlagersong „Layla“] entbrannt
       ist, der unter anderem nicht mehr auf dem Würzburger Kiliani-Volksfest
       gespielt werden durfte, musste ich wieder an diesen Campingwagen denken.
       Gar nicht deshalb, weil mich das Wort Puffmama, das wahrscheinlich
       „anzüglichste“ Wort aus dem Songtext, daran erinnert hat.
       
       Ich fragte mich viel eher, wie es sein kann, dass so vehement über einen
       absolut unwichtigen Song debattiert wurde und Sexismus ernsthaft als
       Begründung für das teilweise Verbot herhalten konnte. Ich will den
       Schlagersong und seine grölenden Fans nicht in Schutz nehmen. Das Lied ist
       grässlich, das zugehörige Video dumm und auch sexistisch. Aber natürlich
       wird Sexismus nicht einfach verschwinden, weil man einen Partyschlager
       verbietet. Da braucht es schon etwas mehr Engagement.
       
       Mir erscheint es schlichtweg absurd, aus angeblicher Moral ein Lied zu
       verbieten, während im symbolischen Campingwagen in der eigenen Stadt
       weiterhin Frauen ausgebeutet werden. Dass täglich Schätzungen zufolge eine
       Million Männer sexuelle Dienstleistungen von Prostituierten in Anspruch
       nehmen, das ist sexistisch und der eigentliche Skandal. Ich wünsche mir
       dieselbe Vehemenz wie bei der „Layla“-Debatte für den Kampf um Rechte und
       den Schutz von Frauen im Prostitutionsgewerbe.
       
       ## Alle können Freier sein
       
       Zumal „Layla“ sicher nicht das Lied mit dem krassesten Songtext über das
       Rotlichtmilieu ist. Haben Sie schon mal Texten von Rappern zugehört? Oder
       der [2][Rapperin Schwesta Ewa]? Die ehemalige Prostituierte, die
       mittlerweile bereits wegen Körperverletzung, Steuerhinterziehung und
       Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger [3][zu zwei Jahren und sechs
       Monaten Haft] verurteilt wurde, stand selbst Jahre auf dem Frankfurter
       Straßenstrich. Später verdiente sie ihr Geld mit einem illegalen
       Escortservice. In ihrem Song „Tabledance“ aus dem Jahr 2018 rappt sie:
       
       „Beamte und Richter, die mich verurteil’n, sind dieselben, die zahl’n für
       die Schlampen am Strich.“
       
       Ja, klingt krass, aber die Zeilen treffen auf einen wahren Kern. Richter,
       Handwerker, der nette Nachbar von nebenan – egal aus welchem
       gesellschaftlichen Milieu oder welches Bildungsniveau ein Mann hat, sie
       alle können Freier sein. Und manche von ihnen sind es mit einer
       Scheinheiligkeit.
       
       Keine Ahnung, ob in diesem Campingwagen im Würzburger Industriegebiet immer
       dieselbe Frau saß. Vielleicht waren es auch über die Jahre sehr viele
       verschiedene. Ich kann mich nur an einziges Mal erinnern, als wir eine Frau
       aus dem Wagen heraustreten sahen. Sie regte sich über einen unserer Freunde
       auf, sie hatte ihn bei seiner Mutprobe erwischt. Das Schlimme ist: Mit 15
       hinterfragten wir natürlich nicht, dass sie Sex in einem Campingwagen
       verkaufte. Wir lachten einfach nur.
       
       22 Jul 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erica Zingher
       
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