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       # taz.de -- Grünflächen in der Stadt: Osnabrücks bedrohter Schatz
       
       > Vielerorts sind die „Grünen Finger“ in Osnabrück geschrumpft. Eine Studie
       > der örtlichen Hochschule macht jetzt Druck, sie zu erhalten.
       
   IMG Bild: Grün mitten in der Stadt: Osnabrück hat bislang elf „Grüne Finger“
       
       Osnabrück taz | „Grüne Finger“: Wenn der Begriff dieser Tage im
       niedersächsischen Osnabrück fällt, kocht der politische Streit hoch. Rund
       ein Dutzend Grünzug-Radialen, orientiert an Hügelkuppen und Tälern,
       verbindet die Natur des Umlands mit den Freiflächen der Innenstadt.
       
       Doch wie es um die künftige Stellung der Radialen steht – ob sie also aus
       [1][Klima- und Naturschutzgründen] gesichert oder aber aufgrund
       [2][benötigter Flächen zum Wohnen und Arbeiten] reduziert werden sollen –
       ist noch offen. Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts sprechen für einen
       Erhalt, doch die lokale CDU will sich dafür bislang nicht aussprechen.
       
       Mitte der 1920er-Jahre hatte der damalige Stadtbaurat Friedrich Lehmann die
       Grünen Finger festgeschrieben in einem Generalbebauungsplan. Einerseits
       gibt sich Osnabrück stolz auf Lehmanns Weitsicht. Schließlich dienen die
       Finger der Gewinnung von Trinkwasser und dem Einstrom von Kaltluft,
       ermöglichen Naherholung und Nahrungsmittelproduktion, fungieren als
       Hochwasser-Überschwemmungsgebiete und Puffer für Starkregen, fördern als
       [3][Lebensraum für Pflanzen und Tiere] die Biodiversität.
       
       Andererseits werden sie immer wieder gekappt, verengt, zerschnitten, denn
       Osnabrück dehnt sich aus. Bauland ist begehrt, für Wohnraum, für Gewerbe.
       
       ## „Sonntagsreden“ und „unverbindliche Selbstverpflichtungen“
       
       Bürgerinitiativen haben sich zum Schutz der Finger gebildet. Das
       Umweltforum Osnabrück, der Dachverband der örtlichen Natur- und
       Umweltverbände, fordert, die Finger müssten „vor den Begehrlichkeiten der
       Tagespolitik geschützt werden“. Das Forum, nicht zuletzt Initiator einer
       Langzeit-Unterschriftensammlung, bei der sich Tausende Unterzeichner
       gefunden haben, fordert eine Erhaltungssatzung. Es kritisiert
       „Sonntagsreden“ und „unverbindliche Selbstverpflichtungen“. Wichtig sei,
       „dass wir der nicht-menschlichen Natur wieder Rechte geben und dass wir sie
       nicht laufend weiter schwächen und zurückdrängen“.
       
       Jüngst hat das Forum dafür Unterstützung bekommen. Nach dreijähriger Arbeit
       hat das Forschungsprojekt „Produktiv. Nachhaltig. Lebendig. Grüne Finger
       für eine klimaresiliente Stadt“ der Hochschule Osnabrück seine Ergebnisse
       vorgelegt. „Wir brauchen eine Änderung der Planungskultur“, sagt
       Projektleiter Hubertus von Dressler, der an der Fakultät für
       Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur tätig ist. „Wir müssen Stadt
       neu denken, als Ganzes. Nur so können wir verhindern, dass immer mehr der
       Finger schwindet.“
       
       Das Projekt, vorbildlich in prozesshafter Bürgerbeteiligung – vom
       Szenario-Workshop bis zum Erkundungs-Walk, von der künstlerischen
       Wahrnehmungswerkstatt bis zum Hofgespräch mit der Landwirtschaft – sieht
       die Entwicklung von Landschaft und Freiraum als Zentralelement der
       Stadtentwicklung. Indem es Osnabrück attestiert, eine Stadt der Grünen
       Finger „werden“ zu können, setzt es Politik und Verwaltung unter
       Handlungsdruck. Eine Neuabgrenzung der Grünen Finger sei dafür nötig, teils
       eine Erweiterung. Und eine Vernetzung der Finger untereinander, mit Stadt
       und Umland.
       
       Für von Dressler steht fest: „Die Stadt ist aus den Grünen Fingern heraus
       zu entwickeln. Es geht darum, sie zu sichern, das Bewusstsein für ihre
       Bedeutung zu stärken.“ Erfolge „in begründeten Ausnahmefällen“ dennoch
       Bebauung, fordert seine Studie, setze dies „eine verbindliche Festlegung
       von Maßnahmen der Freiraumentwicklung innerhalb des jeweils betroffenen
       Grünen Fingers voraus“. Das bedeutet aber auch: Es brauche keine
       Kompensierung für versiegelte Flächen an anderer Stelle.
       
       Von Dressler sieht jedoch für all das eine „Aufbruchstimmung“. Aber es gibt
       Widerstände. Ende Juni stand im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt
       eine Beschlussvorlage des Fachbereichs Umwelt und Klimaschutz zur
       Diskussion, die Ergebnisse des Projekts „zu prüfen“ und bei der Erarbeitung
       des neuen Stadtentwicklungsprogramms „als Abwägungsbelang zu
       berücksichtigen“.
       
       ## Die CDU steht auf der Bremse
       
       Die Grünen im Stadtrat sahen in diesen vagen Formulierungen ein
       Alarmsignal. Volker Bajus, ihr Fraktionsvorsitzender, brachte einen
       Änderungsantrag ein, zusammen mit SPD und Volt. Der Rat, heißt es darin
       stattdessen, „erkennt den Wert der Grünen Finger als identitätsstiftendes
       und strukturgebendes Freiraumsystem mit herausragender Bedeutung für eine
       zukunftsfähige, klimaresiliente Stadt an“ und „verpflichtet sich zu ihrem
       Schutz“.
       
       Zu einem Beschluss kam es nicht. Die CDU verhinderte ihn. Ihre Begründung:
       Sie sehe Beratungsbedarf. Auch der Ratsbeschluss, vorgesehen für Anfang
       Juli, wurde daraufhin gestrichen. Nach der Sommerpause soll ein neuer
       Versuch erfolgen, um von Dresslers Studie zu implementieren.
       
       „Dass die CDU das torpediert hat, wirkt für mich wie eine
       Verzögerungstaktik“, sagt Marita Thöle, Sprecherin einer der
       Bürgerinitiativen zur Rettung der Finger. „Nicht ausgeschlossen ist, dass
       Teile der SPD bis zum Herbst einknicken.“ Thöle, inhaltlich an von
       Dresslers Seite, nimmt ihre Kampagnenarbeit daher wieder auf, Demos
       inklusive. „Ich fürchte, da soll etwas verwässert werden.“ Dass der
       Fachbereich Umwelt und Klimaschutz die Ergebnisse der Studie „prüfen“ soll,
       wundert sie: „Der war bei ihrer Erarbeitung doch dabei, als enger Partner
       der Hochschule.“
       
       Auch Andreas Peters, Vorsitzender des Umweltforums, lobt die Studie. Von
       Dressler stelle „einen Wert heraus“. Der müsse jetzt aber auch
       wertgeschätzt werden. Ob und wie das passiert, ist offen. Die Osnabrücker
       CDU, in der Vergangenheit oft vehementer Verfechter neuer Baugebiete, steht
       auf der Bremse.
       
       2 Aug 2022
       
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