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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Auswärts vs. Risiko
       
       > Die Freiluft-Reihe „Campus-Kino“ in der früheren Stasi-Zentrale zeigt am
       > historischen Ort Filme zu DDR-Vergangenheit, Staatssicherheit und
       > Revolution.
       
       Es macht Sinn, Filme, die das Treiben der Stasi in der DDR beleuchten, in
       der ehemaligen Stasi-Zentrale zu zeigen, dem heutigen “Campus für
       Demokratie“ in Lichtenberg. Vom 9. August bis zum 3. September wird hier
       der Innenhof zum Freiluftkino, der Eintritt für die Vorstellungen ist frei,
       als Rahmenprogramm gibt es Diskussionsrunden. Und nach der Vorstellung
       umweht einen der Hauch der Geschichte und man ist direkt an dem Ort, der
       auch in den Filmen immer eine gewisse Rolle spielt. Genau hier mühten sich
       einst tausende graue Büromenschen ab, als subversiv angesehene
       Umtriebigkeiten zu protokollieren und Mitbürger und Mitbürgerinnen der DDR
       bespitzeln zu lassen.
       
       Es gibt heute ganz unterschiedliche Einschätzungen über den Apparat Stasi.
       Mal ist er ein aufgeblähtes System, das zu doof war, die Aktivitäten seiner
       Opfer richtig einzuschätzen, mal ein repressives Ungeheuer, das Existenzen
       zerstörte. Dementsprechend reichen auch die gezeigten Filme von “Leander
       Haußmanns Stasikomödie“ bis hin zu einem Porträt von Bettina Wegner, der
       großen Liedermacherin aus der DDR, die als junge Frau einfach nur ihre
       Meinung kundtun wollte und dafür in den Bau wanderte. “Bettina“ von Lutz
       Pehnert, der aktuell immer noch in einigen Berliner Kinos läuft, ist ein
       Dokumentarfilm über eine Frau, die sich nie verbiegen ließ und immer wieder
       Mut zeigte.
       
       Aber solche Leute wollten sie in der DDR nicht, und Wegner bekam das schon
       früh zu spüren. Sie schrieb erst Liebeslieder und träumte davon, auf der
       Bühne zu stehen. Nicht nur als Liedermacherin, sondern auch als
       Schauspielerin. Sie war als Teenager Stalin-Fan, womit ihr in der DDR
       eigentlich alles offen stand. Doch als 1968 Panzer der
       Warschauer-Pakt-Staaten in Prag einrollten, um Proteste niederzuschlagen,
       fand sie das ganz einfach falsch. Sie verteilte Flugblätter und wurde dabei
       von NVA-Soldaten erwischt.
       
       Im Film werden Original-Protokolle der Stasi-Verhörung eingespielt, der sie
       daraufhin unterzogen wurde. Mit verunsicherter Stimme antwortet Wegner auf
       alle möglichen Fragen, um dann aber mit deutlichen Worten zu erklären, wie
       wichtig ihr Meinungsfreiheit sei. Dafür gab es mehrere Monate Knast und die
       Ausbildung an der Schauspielschule konnte sie vergessen. Ihre Reaktion:
       immer noch politischere Lieder und noch mehr Ärger mit der Stasi, die ihr
       in den Achtzigern ganz untersagte, weiter in der DDR auftreten zu dürfen.
       Sie wurde rausgedrängt aus ihrer Heimat, zwangsumgesiedelt in die BRD.
       Seitdem fühle sie sich heimatlos, sagt sie in dem Film.
       
       ## Illegale Konzerte in Ost-Berlin
       
       Über die Stasi lachen und sie gleichzeitig als Grauen zu empfinden, das
       geht auch, wie die Dokumentation “Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in
       Ost-Berlin“ von Martin Groß beweist. Der Film ist im Serienformat aktuell
       auch in der ARD-Mediathek zu finden, aber Kino ist immer schöner als
       Fernseher. Zwei illegale Konzerte gaben die Hosen in der DDR, wo sich Punk
       in den Achtzigern nicht nur als Musikrichtung, sondern als
       Lebenseinstellung immer stärker verbreitete.
       
       Sich einfach ausklinken aus dem System, das war das Versprechen von Punk
       auch in der DDR. Mit allerlei lächerlichen Methoden versuchte die Stasi,
       die Szene zu unterwandern. Und wer verdächtig nach Punk aussah und auf dem
       Alex rumlungern wollte, dem konnte es passieren, dass er es schnell mit der
       Staatsgewalt zu tun bekam.
       
       Die Helden in der Dokumentation sind allerdings die Hosen aus dem Westen.
       Dabei nahmen diejenigen, die sie einst in die DDR einluden, ein viel
       größeres Risiko auf sich. Richtig staunen muss man über die Aussagen eines
       ehemaligen Stasi-Mitarbeiters, der damals mit verantwortlich war für die
       Observation der Szene. Ein guter Tag war es, so sagt er heute, wenn er mal
       wieder ein Punkkonzert verhindern konnte. Und schuldig für irgendwas fühle
       er sich kein Stück.
       
       7 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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