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       # taz.de -- Prozess um Neuköllner Anschlagsserie: „In diesem Verfahren nicht präsent“
       
       > Linken-Politiker Koçak darf im Prozess um die rechten Anschläge kein
       > Nebenkläger sein. Nicht einmal als Zeuge sei er vorgesehen, sagt seine
       > Anwältin.
       
   IMG Bild: Ferat Koçak bei einer Kundgebung gegen rassistische Gewalt
       
       taz: Frau Nedelmann, Ende August beginnt [1][der Prozess gegen die
       mutmaßlichen Haupttäter der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln]. Ihr
       Mandant Ferat Koçak soll nicht als Nebenkläger an dem Prozess teilnehmen.
       Wie hat die zuständige Richterin das begründet? 
       
       Franziska Nedelmann: Bei meinem Mandanten seien keine schweren Folgen der
       Tat festzustellen. Es war eine ausgesprochen kurze Begründung.
       
       Beruht diese Entscheidung auf richterlichem Ermessen? 
       
       Ja und nein. Die Norm, nach der sie die Frage der Nebenklage zu beurteilen
       hat, eröffnet einen Ermessensspielraum. Aber Herr Koçak und ich haben in
       unserem Antrag auf 12 Seiten genauestens begründet, warum die Tat für ihn
       schwere Folgen hat.
       
       Die Zulassung der Nebenklage ist in Paragraf 395, Absatz 3,
       Strafprozessordnung geregelt. Es handelt sich um eine sogenannte
       Kann-Bestimmung. 
       
       Die Richterin hat sich mit den von uns vorgetragenen Gründen überhaupt
       nicht auseinandergesetzt. Sie hat sich auf einen einzigen der vielen Gründe
       bezogen und das auch noch falsch.
       
       Das interessiert uns genauer. 
       
       [2][Angeklagt ist Brandstiftung]. Juristisch betrachtet könnte man sagen,
       es handelt sich um eine Sachbeschädigung. Bei dem Brandanschlag am 1.
       Februar 2018 wurde zwar lediglich das Auto von Herrn Koçak beschädigt, wir
       haben hier aber eine besondere Konstellation: Mein Mandant wurde von dem
       Feuer, das direkt vor seinem Haus ausgebrochen ist, aufgeweckt.
       
       Das Auto stand in der Garage direkt neben dem Wohnhaus. 
       
       Mein Mandant sah die Flammen aus dem Fenster. Das ist natürlich etwas
       anderes, als wenn irgendwo auf der Straße ein Auto brennt. Der Brand war in
       unmittelbarer Nähe. Er hat noch versucht zu löschen, was ihm aber nicht
       gelungen ist.
       
       Stand nicht sogar die Gefahr einer Explosion im Raum? 
       
       Ja, in der Garage direkt hinter dem brennenden Auto verläuft die Gasleitung
       zum Haus. Mein Mandat war in voller Panik und hat zunächst erst einmal
       seine Eltern geweckt, die auch in dem Haus schliefen. Das steckt man nicht
       so einfach weg. Das ist eine unglaubliche Bedrohungssituation.
       
       Was haben Sie in Ihrem Antrag auf Nebenklagezulassung dazu vorgetragen? 
       
       Herr Koçak hat bis heute Schlafstörungen und Konzentrationsschwächen. In
       all den Jahren nach der Tat hat er sich deshalb immer wieder in eine
       psychologische Krisenberatung begeben. Weil er seinen eigentlichen Beruf
       nicht mehr ausüben konnte, musste er mehrfach die Arbeit wechseln. Er hat
       ständig Angst und kann bis heute nicht alleine in seinem Elternhaus
       übernachten. Das alles hat die Richterin mit dem Satz abgetan, unser
       Vortrag würde keine besonderen seelischen Schäden begründen. Zudem scheint
       sie unseren Antrag auch nicht richtig gelesen zu haben. Mein Mandat war
       zehn Mal bei der Krisenkonsultation und nicht fünf Mal, wie es in dem
       Ablehnungsbescheid heißt. Und – das ist das eigentlich Entscheidende – er
       war auch noch einmal drei Jahre nach der Tat bei der Krisenintervention.
       Es zeigt, dass er mit den Folgen der Tat allein nicht fertig wird.
       
       Hat die Staatsanwaltschaft zu der Frage der Nebenklage Stellung bezogen? 
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft hat unseren Antrag befürwortet.
       
       Was passiert jetzt, legen Sie Beschwerde ein? 
       
       Rechtlich ist das ein bisschen kompliziert. Kurz gefasst: Wir haben sowohl
       Beschwerde als auch eine Anhörungsrüge eingelegt. Über die Anhörungsrüge
       entscheidet allerdings dieselbe Richterin, das ist das Absurde daran. Für
       den Fall, dass wir erneut unterliegen, bleibt nur noch eine
       Verfassungsbeschwerde.
       
       Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechtsextremistischer
       Gewalt spricht von einem Skandal. Mit dieser Entscheidung werde
       rechtsextremistische Gewalt erneut bagatellisiert. Was sagen Sie dazu? 
       
       Ich sehe das ganz genau so. Hinzu kommt, dass Herr Koçak nicht nur
       Privatperson ist. Zum Tatzeitpunkt war er Politiker der Linkspartei,
       inzwischen ist er Abgeordneter im Abgeordnetenhaus. Das parteipolitische
       Engagement ist eine der wichtigsten Säulen unserer Demokratie. Der Angriff
       ist nichts anderes, als der Versuch, ihn an seiner politischen Tätigkeit zu
       hindern. Die Richterin ignoriert diesen Punkt schlichtweg und signalisiert,
       dass politische, engagierte Menschen nicht auf das Verständnis der Justiz
       vertrauen können.
       
       Was würde es bedeuten, wenn [3][Ferat Koçak] nicht als Nebenkläger an dem
       Prozess teilnehmen kann? 
       
       Dann sind wir nicht Teil des Verfahrens. Soweit ich gehört habe, ist mein
       Mandat bisher noch nicht einmal als Zeuge in dem Prozess vorgesehen.
       
       Wie bitte? 
       
       Das wurde mir aus Justizkreisen so berichtet. Ich konnte das bisher nicht
       verifizieren. Wenn Herr Koçak nicht einmal Zeuge ist, sind wir in diesem
       Verfahren gar nicht präsent.
       
       Wie hat Herr Koçak das alles aufgenommen? 
       
       Sehr schlecht, ich würde sagen, zwischen Fassungslosigkeit und Wut.
       
       Wie wichtig ist für ihn die Teilnahme in diesem Gerichtsverfahren? 
       
       Wahnsinnig wichtig! Die Nebenklage soll ja gerade ermöglichen, dass man
       nicht passiv bleiben und nur zuschauen muss. Es soll gerade Betroffenen
       von Straftaten die Möglichkeit geben, sich aktiv einzubringen. Es ist ja
       bekannt, das es bereits in den Ermittlungsverfahren – vorsichtig gesagt –
       einige Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Es wäre sehr wichtig für ihn, weil
       sein Vertrauen in die Ermittlungen massiv erschüttert ist.
       
       3 Aug 2022
       
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   DIR Plutonia Plarre
       
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