# taz.de -- Gustavo Petro folgt auf Ivan Duque: In Kolumbien beginnt der Wandel
> Noch nie hatte das Land einen linken Präsidenten. Am Sonntag wird er ins
> Amt eingeführt. Auch sein Kabinett sorgt für Aufsehen.
IMG Bild: Gustavo Petro und Francia Marquéz am 23. Juni nach der Bestätigung ihres gemeinsamen Wahlsieges
Bogotá taz | 100.000 Besucher*innen, 1.000 Künstler*innen, 70 Konzerte:
Die Amtsübergabe an Kolumbiens neugewählten ersten linken Präsidenten,
Gustavo Petro, in Bogotá am Sonntag soll ein Fest werden – ein Zeichen,
dass Bürgerbeteiligung und Kultur das Land einen können. Das Ganze wird
live übertragen.
Der sonst so mitteilungsfreudige künftige Präsident hatte zuletzt Twitter
und öffentliche Auftritte gemieden. Das Online-Portal Cambio fragte schon:
[1][Wo ist Gustavo Petro]? Es ist davon auszugehen, dass er intensiv nach
den fehlenden Mitgliedern für sein Kabinett sucht. Von 18 Posten waren am
Mittwoch gerade einmal 8 nominiert – ungewöhnlich spät. Petro hat nicht nur
Geschlechterparität versprochen, sondern auch ein diverses, multiethnisches
Kabinett. Das ist eine Herausforderung.
Arme, Landbevölkerung, Indigene, Afros – gerade sie haben für Petros
Bündnis „Historischer Pakt“ gestimmt in der Hoffnung auf einen Wandel im
von Ungleichheit geprägten Kolumbien. Zum ersten Mal sind die sozialen
Bewegungen nicht in Opposition zur Regierung, sondern haben sie ins Amt
gebracht.
Bei den bereits bekannten Kabinettsmitgliedern zeigt sich dieser Wandel
teilweise: Zum ersten Mal wird mit der Umweltaktivistin [2][Francia
Márquez], die einen wichtigen Beitrag zu Petros Wahlsieg leistete, eine
Afrokolumbianerin Vizepräsidentin. Sie soll auch das neu zu schaffende
Gleichberechtigungsministerium leiten. Ebenfalls zum ersten Mal sind
Indigene im Kabinett: als Botschafterin bei den Vereinten Nationen, als
Direktorin der nationalen Opfereinrichtung und Leiter der Einrichtung für
Landrestitution.
## Menschenrechtler wird Verteidigungsminister
Petro setzt auf eine Mischung aus Expert*innen, politischen Urgesteinen und
Wegbegleiter*innen. Dabei sind auch Konservative, die vor Jahren bereits
Minister waren. Das könnte Ängste abbauen, die ein linker Präsident bei
seinen innenpolitischen Gegnern weckt. Petro hatte ein „nationales
Gespräch“ versprochen.
Tatsächlich kam es seit seiner Wahl im Juni zu Gesprächen und Bildern, die
man bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten hätte – allen voran zwischen
Petro und dem ultrarechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, dem
jahrzehntelangen Feind der Linken. Der designierte Außenminister Álvaro
Leyva hat mit einem ersten Besuch bei dem Amtskollegen in Venezuela die
Wiederaufnahme der Beziehungen mit dem Nachbarland begonnen.
Am meisten Aufsehen erregt bisher die Personalie des künftigen
Verteidigungsministers Iván Velásquez. Er ist bekannt als
Menschenrechtsverteidiger und Kämpfer gegen Korruption und
Paramilitarismus. Als Richter am Obersten Gerichtshof ermittelte er die
systematischen Verbindungen zwischen Abgeordneten und Paramilitärs. Als
Chef der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala
brachte er den dortigen Präsidenten Otto Pérez Molina zu Fall.
Velásquez hat schon angekündigt, dass die Polizei dem neu zu schaffenden
Ministerium für Frieden, Zusammenleben und Sicherheit zugeschlagen wird.
Armee und Polizei unterstehen bisher dem Verteidigungsministerium. Beide
sind berüchtigt für systematische Menschenrechtsverletzungen. Bis heute
sind Verbindungen zwischen bewaffneten Gruppen und Armee belegt.
## Schwieriges Erbe von 50 Jahren Gewalt
Petro tritt an, um das Erbe und die Ursachen von mehr als 50 Jahren
bewaffnetem Konflikt aufzuarbeiten. Die Umsetzung des Friedensabkommens
zwischen Regierung und ehemaliger Farc-Guerilla ist ein Ziel. Der
scheidende Präsident Iván Duque hatte dieses boykottiert. Petro will mit
allen verbliebenen bewaffneten Gruppen Friedensgespräche führen.
Diese versuchen derzeit, ihre Verhandlungsposition zu verbessern, indem sie
noch mehr Gewalt anwenden und sich Gebiete einverleiben. Zum Leid der
Menschen in den Regionen. Der Golfclan, das mächtigste Verbrecherkartell,
hat ein Kopfgeld auf Sicherheitskräfte ausgesetzt. Der Juli war der
[3][Monat mit den meisten Angriffen seit 20 Jahren]. An einem einzigen
Wochenende wurden zwölf Polizisten ermordet.
Die Liste der Wahlversprechen des neuen Präsidenten ist lang. Eine
[4][Priorität ist eine Steuerreform]. Kolumbiens Staat ist hoch verschuldet
und hat zu wenig Einnahmen – erst recht, um all die Reformen umzusetzen,
die sich Petro vorgenommen hat. Dazu gehört, das staatliche Renten- und
Gesundheitssystem zu stärken, eine Energiewende einzuleiten und von
fossilen Brennstoffen loszukommen – und die immer wieder gescheiterte
Landreform umzusetzen.
6 Aug 2022
## LINKS
DIR [1] https://cambiocolombia.com/articulo/reservados/donde-esta-gustavo-petro
DIR [2] /Praesidentschaftswahl-in-Kolumbien/!5855528
DIR [3] https://elpais.com/america-colombia/2022-08-02/plan-pistola-cuando-la-vida-no-importa.html
DIR [4] https://cuestionpublica.com/la-prioridad-numero-uno-va-a-ser-la-reforma-tributaria-daniel-rojas-coordinador-del-empalme-petro-duque/
## AUTOREN
DIR Katharina Wojczenko
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