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       # taz.de -- Zweites Album von Superorganism: Let there be emphatische Teenager
       
       > Die multinationale, in London vor Anker liegende Bubblegumband
       > Superorganism veröffentlicht endlich ihr zweites Album „World Wide Pop“.
       
   IMG Bild: Indie-Pop aus dem englischsprachigen Raum: Superorganism
       
       Die Mitglieder der Band Superorganism kommen von überall her. Heute wohnen
       die meisten von ihnen zwar in einem Haus im Londoner East End, aber das
       Kennenlernen fand 2017 bei transatlantischen Zoom-Konferenzen zwischen den
       USA, Großbritannien und Australien statt. Ebenso die Audition der Sängerin
       und Schauspielerin Orono Noguchi und sogar noch die ersten Probetermine.
       
       2018 erschien das in Erstaunen versetzende Debütalbum. Dessen Textwelt
       handelte von den Problemen, die sich einem Liebespaar heute in die Quere
       stellen und es gleichzeitig beflügeln können. „Everybody wants to be
       famous“, sang Noguchi, um über eingestreuten, wuchtig poppigen
       Synthesizersprengseln hinzuzufügen: „Koste es, was es wolle“.
       
       Nun erschient mit „World Wide Pop“ ein zweites Album. Es streckt und dehnt
       sich thematisch in viele Richtungen. Oguchi singt unter anderem ein
       hochgewitztes Loblied auf „Teenager“. Die hätten mal findige Geschäftsleute
       in den 1950er Jahren erfunden. Teenager verbrächten ihre Zeit damals nicht
       mehr wie die vorige Generation damit, Kampferfahrung im Zweiten Weltkrieg
       zu sammeln.
       
       ## World Wide Pop
       
       Stattdessen suchten sie nach Möglichkeiten, etwas mit der Kohle
       anzufangen, die sie etwa als Zeitungsausträger:in verdienten.
       Teenager leisteten sich daraufhin Rock-’n’-Roll-Schallplatten und
       -Konzertbesuche. Plattenfirmen, Veranstalter und Werbeagenturen könnten so
       über die nächsten Jahre und Jahrzehnte immer erstaunlichere Profitmargen
       erwirtschaften. Weltstars wie die Beatles und Abba hätten Abermillionen
       von Singles und Alben verkauft, sodass sie sogar die Außenhandelsbilanzen
       ihrer Heimatländer verbesserten.
       
       Teenager hätten eine ganze Branche erschaffen und ernährten sie bis heute.
       Sie sind es auch, die dieser Branche nach einer Konjunkturdelle
       ermöglichten – wie es das expandierende Download- und Streaminggeschäft der
       letzten Jahre zeigt –, sich wirtschaftlich zu erholen.
       
       Um was für eine emphatische Figur es sich bei Teenagern auch handelt, hat
       vor Noguchi so exakt noch nie jemand beschrieben. „I’m gonna grow up and be
       a teenager.“ Den Teen sieht Noguchi dabei nicht als von sentimentaler
       Trauer umflorten Jugendlichen, wie er von Tennnessee Williams in „Sweet
       Bird of Youth“, [1][bis zu Tocotronic] in „Let There Be Rock“ bereits
       hinlänglich charakterisiert worden ist.
       
       Noguchis Titelheldin hat stattdessen für Sentimentalität keinen Termin mehr
       frei. Denn ihre knappe Zeit stellt vor eine Wahl: Du kannst Stunden, ja
       sogar Tage und Wochen nutzen, um, wie Noguchi singt, etwas „über die
       Vergangenheit zu lernen“. Aber um den Preis, dass „Gegenwart und Zukunft
       verdammt schnell verschwinden.“
       
       ## „Weil man sich wie ein Klischee vorkommt“
       
       Wer sich auf diesen Deal einlässt, muss „Na und!“ sagen können. Das ist
       Noguchis Methode, „sich nicht zu Boden drücken zu lassen, weil die Fakten
       eine so klare Sprache sprechen, aber sich auch nicht zurückzuhalten, weil
       man sich wie ein Klischee vorkommt“.
       
       Ohne spielerische Anmaßung ist also nichts zu bewältigen bei dieser
       Musikerin, deren neues Album einen majestätisch ballernden Kaugummi-Poprock
       entfaltet. Dieser ist gleichzeitig die ab- und aufgeklärteste, kommerzielle
       Musik zur Zeit. Vielleicht kann man sich eine solche nur ausdenken, wenn
       man wie Noguchi in Japan aufwuchs, in Maine zu studieren begonnen hat und
       nun hauptberuflich von London aus Musik macht.
       
       Und Superorganism führt sie mit viel einschüchternder Dramatik auf, wie es
       etwa ihre Coverversion „Massive Black Hole“ der Band Muse zeigt. Da bratzt
       eine Gitarre wie wüst-zorniger Theaterdonner rum, weil durch Liebeskummer
       „die Seele angezündet“ wird.
       
       Das Mädchen von Ipanema hingegen lässt Superorganism „On & On“, also immer
       weiter- und weitermachen, um es beim Finale des Albums das Ende aller
       privaten Verbindlichkeiten erleben zu lassen: „Everything falls apart“.
       
       Hiermit spielt Superorganism womöglich darauf an, dass einige ihrer
       Mitglieder – Vorwürfe sexueller Belästigung stehen im Raum – die Band vor
       dem neuen Album verlassen haben. Bleibt zu hoffen, dass nach einem so
       souveränen Streich wie „World Wide Pop“ den verbliebenen nicht die Lust auf
       ein drittes Album vergangen ist.
       
       27 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Tocotronic-Saenger-Dirk-von-Lowtzow/!5570777
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristof Schreuf
       
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