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       # taz.de -- Buch über schreibende Frauen: Nicht als Genies erinnert
       
       > Und sie schrieben doch: Ein Sammelband porträtiert Frauen, die sich gegen
       > die Widerstände ihrer Zeit als Autorinnen durchgesetzt haben.
       
   IMG Bild: Die Schriftstellerin Anna Seghers bei ihrem 80. Geburtstag 1980 in Berlin
       
       Und sie schrieben doch. Womöglich bedarf es des Trotzes – bei Männern
       nannte man es „Überzeugung“ –, um sich gegen alle Widerstände als
       Schreibende hervorzutun. Das gilt für einige der Autorinnen, die Katharina
       Herrmann in ihrem gleichermaßen kurzweiligen wie erhellendem Buch
       „Dichterinnen & Denkerinnen“ porträtiert.
       
       Die Germanistin und Literaturbloggerin stellt insgesamt zwanzig mehr oder
       weniger bekannte Autorinnen vor, darunter Luise Gottsched, Karoline von
       Günderrode, Marie von Ebner-Eschenbach sowie Vicki Baum. Für viele von
       ihnen galt, dass die Produktionsbedingungen der Literatur über die Wahl der
       Gattung bestimmten. So dominieren kleine Formen wie Gedichte, Novellen und
       Briefe. Um Romane verfassen zu können, braucht es Zeit, Geld und ein gegen
       Kindergeschrei abgeschirmtes Zimmer.
       
       Zu den weniger bekannten Porträtierten gehört Johanna Schopenhauer, die im
       Wettstreit um den Titel des Familiengenies gegen ihren Sohn Arthur verlor.
       Auch Louise Aston, die Männerkleidung tragende Vormärzkämpferin, ist heute
       kaum ein Begriff. Das gilt jedoch nicht für die Mehrzahl der vorgestellten
       Autorinnen.
       
       Die meisten sind kanonisiert, haben aber ein Publikumsproblem: [1][Anna
       Seghers, die DDR-Großschriftstellerin] schlechthin, kennt jeder als Autorin
       von „Das siebte Kreuz“, doch wie häufig liest man sie noch? Annette von
       Droste-Hülshoffs „Die Judenbuche“ ist in einigen Bundesländern
       verpflichtender Lesestoff für den Abiturjahrgang, aber man rezipiert sie
       nicht leidenschaftlich.
       
       ## Ein entscheidender Unterschied
       
       Nun könnte man sagen, dass das ebenso für Johann Christoph Gottsched oder
       Clemens Brentano gilt. Dass es sich also um ein Problem nicht
       zeitgenössischer Literatur handelt. Es gibt aber doch einen Unterschied:
       Benn, Brecht oder Lessing, die nicht einmal mehr der Vornamen bedürfen,
       werden als Genies ihrer Zeit erinnert. Für Autorinnen gilt das nur selten.
       Wenn sie gar populäre Texte schrieben, wertet man das umso mehr als
       Argument gegen sie. Man denke nur an Vicki Baum.
       
       Umso löblicher also Herrmanns Versuch, in das Werk der Autorinnen
       einzuführen, was aufgrund der Knappheit der Darstellung zumeist nur in Form
       eines Auszugs aus einem Werk geschieht. Das ist nicht tragisch, da das nur
       eine Anregung für eine weitere Lektüre darstellt. Ebenso wenig tragisch
       ist, dass die literaturhistorische Einordnung bisweilen etwas kurz kommt.
       Ohnehin spricht die poppige Aufmachung für ein Einführungswerk für jüngere
       Leserinnen, denen die Autorin Widerstandsbiografien erzählt.
       
       Der Fokus der Darstellung liegt klar auf der Gefühlswelt, auf sozialen
       Bindungen, den gescheiterten Beziehungen der Frauen. Einerseits sorgt
       dieser Fokus dafür, dass Herrmanns Porträts ungemein lebendig und
       interessant wirken. Sie läuft damit aber Gefahr, die Autorinnen nur auf
       Protagonistinnen einiger Irrungen und Wirrungen in Liebesangelegenheiten –
       zumeist bereiten die Verlobten Kummer – zu reduzieren. Vielleicht lässt
       sich dieses Dilemma nicht auflösen. Vielleicht muss man auch einen neuen
       Modus des Erzählens über Autorinnen finden.
       
       22 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.anna-seghers.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marlen Hobrack
       
       ## TAGS
       
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