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       # taz.de -- Kommunaler Klimaschutzmanager: Der Überzeuger von Lindlar
       
       > Rolf Zimmermann ist Klimaschutzmanager in einer Gemeinde in NRW. Er kann
       > nur beraten, entscheiden tun andere. Kleine Erfolge sind hart erkämpft.
       
   IMG Bild: Lindlar in Nordrhein-Westfalen
       
       Zu einem Klimaschutzmanager kann man nicht mit dem Auto fahren. Also statt
       33 Minuten (35 Kilometer, 6,6 Kilo CO2, 5,30 Euro Spritkosten) 1 Stunde und
       24 Minuten mit dem Bus (40 Kilometer, 1,1 Kilo CO2, 9-Euro-Ticket) von Köln
       in die Gemeinde Lindlar. Nachdem fast alle Fahrgäste am Technologiepark
       Bergisch Gladbach aussteigen, quält sich der Bus an diesem frühen Morgen
       Anfang Juli mit dem Reporter und einem weiteren Fahrgast die letzten 45
       Minuten über die Hügel des Bergischen Landes.
       
       Die Gemeinde Lindlar hat 22.000 Einwohner, einen grauen Busbahnhof, einen
       großen Rewe und hübsche Fachwerkhäuschen. Vor dem Rathaus stehen 2
       Fahrräder und gut 20 Autos.
       
       Im April erst hat Rolf Zimmermann hier im zweiten Stock ein kleines Büro
       bezogen. Der 41-Jährige ist der dritte Klimamanager, den Lindlar hat. Auf
       seinem schwarzen T-Shirt steht „Klimaschützer“. Er hat sich extra fünf
       Termine auf den Tag gelegt. Wenn die Presse schon einmal kommt. Sein Job
       besteht vor allem aus Arbeit am Schreibtisch.
       
       Ins Büro kommt um 9 Uhr Thomas Willmer und schüttelt energisch Hände. Er
       ist Vorstand der [1][Energiegenossenschaft Bergisches Land] und seit
       Jahrzehnten für die CDU politisch aktiv. Mit Zimmermann will er über ein
       paar Photovoltaik-Projekte sprechen. Seine Genossenschaft mit 300
       Mitgliedern betreibt in der Region 11 Solaranlagen. „Wir suchen
       händeringend nach neuen Projekten, wir sitzen auf Geld“, sagt er.
       
       ## Er nickt, widerspricht selten
       
       Willmer schimpft auf die Verwaltung, alles dauere zu lange, man werfe ihm
       Knüppel zwischen die Beine. „Die haben hier Angst und entscheiden lieber
       nichts.“ Außerdem sei noch immer nicht berechnet worden, ob das Dach des
       Kulturzentrums für eine Photovoltaik-Anlage geeignet ist. Zimmermann sitzt
       an seinem Tisch und tippt fleißig auf einem iPad. Er nickt, widerspricht
       selten. Er hört zu und fragt nach.
       
       Willmer redet mit ihm über [2][Geothermie] im Neubaugebiet und natürlich
       über noch mehr Photovolatik-Anlagen, auf denkmalgeschützten Gebäuden etwa
       – wie sein eigenes Wohnhaus – aber auch über die Anlage auf dem Dach der
       Grundschule Schmitzhöhe. Sie soll ausgebaut werden.
       
       Sie verhandeln über Mietpreise und Einspeisung, können aber jetzt und hier
       nichts entscheiden. Das machen Gemeindeparlament und Bürgermeister, Rolf
       Zimmermann berät nur.
       
       Dann will der Klimamanager auch etwas von Willmer, es geht um die [3][Earth
       Night], ein Aktionstag am 23. September, bei dem nachts das Licht
       ausgemacht werden soll. „Kann die Genossenschaft da mitmachen?“ Willmer
       will eine Rundmail schicken.
       
       Nach dem Termin wirkt Zimmermann erschöpft. Allerdings nur kurz, dann
       strafft er seinen Körper wieder. Man kann hier schon ahnen, warum dieser
       Mann geeignet ist für die Stelle. Er lächelt sogar dann noch, wenn er einem
       von der Unmöglichkeit seines Jobs, der Klimakatastrophe allgemein und
       übergroßen Autos erzählt.
       
       Seine Mail an die taz las sich noch anders, er hat sie geschrieben, als in
       der Zeitung ein Text über das Ziel erschien, bis 2050 Klimaneutralität zu
       erreichen: „Wie soll ich es in einer kleinen Kommune schaffen, dass der
       motorisierte Individualverkehr sinkt“, schrieb Rolf Zimmermann. „Wie soll
       ich tausende Häuser umrüsten? Wie soll ich Dieselverliebte davon
       überzeugen, im Winter nur 150 km Reichweite zu haben?“
       
       Klimaschutz ist eine sogenannte gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was
       eigentlich heißt, dass alle sich verantwortlich fühlen sollten, aber einer
       wie Rolf Zimmermann muss es eben dann halt machen. Wie soll ein Mann ohne
       echte Macht dafür sorgen, dass die Ziele der Regierung in seiner Kommune
       umgesetzt werden? Dort, wo unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen.
       Wo die Verwaltung in ihrer jahrzehntelang eingeübten Arbeit kaum einen
       Blick hat für Klimafragen.
       
       Seit 2008 gibt es kommunale Klimaschutzmanager, Anfang des Jahres waren es
       [4][deutschlandweit über 1.300] – damit hat rund jede achte Kommune eine
       Person in diesem Job. Der Bund fördert diese Stellen mit bis zu 100
       Prozent.
       
       Was war der größte Erfolg von Rolf Zimmermann? Er erzählt, wie er
       verhindert hat, dass die Gemeinde die 24.000 Euro Klimabudget mit der
       Gießkanne über verschiedene teure Projekte verteilt: Hecken und Bäume
       pflanzen, private Photovoltaik, Brauchwasseranlagen. Zimmermann nahm in der
       Ausschusssitzung, in der die Fraktionen über das Geld diskutierten, jeden
       Vorschlag auseinander. „Keiner baut sich eine Anlage aufs Dach, weil die
       Gemeinde 200 Euro dazugibt.“
       
       Er überzeugte die Lokalpolitiker, das Geld für ein einziges Projekt
       auszugeben. Deswegen hat die Grundschule Schmitzhöhe überhaupt diese
       Photovoltaik-Anlage, über deren Ausbau er heute Morgen mit dem Mann von der
       Energiegenossenschaft verhandelt hat.
       
       Über seinen größten Misserfolg will Zimmermann am liebsten nicht reden. Er
       wollte [5][Windkrafträder] in der Gemeinde durchsetzen, andere nicht, er
       hat verloren. Vorerst.
       
       Zimmermann macht sich mit dem Fahrrad auf den Weg ins Freilichtmuseum. Es
       ist einer dieser Orte, an dem Schulklassen sehen können, wie Menschen
       früher einmal gelebt haben. Auch dort will er für die Earth Night werben.
       Auf dem Weg kommt er [6][an der Fahrradflunder] vorbei, einer mobilen
       Plattform mit fünf Fahrradbügeln. „Die Politik wollte mehr sichere
       Fahrradparkplätze, aber richtige Fahrradbügel müssen aufwendig installiert
       werden und bleiben für immer“, erzählt Zimmermann. Dann las er von der
       Flunder. „Das hatte ich spontan im Ausschuss erzählt, es ist gut
       angekommen.“
       
       Jetzt ist sie da, die Flunder. Nur steht sie für Zimmermann nicht am
       richtigen Ort. Am Marktplatz, wo sie tatsächlich gebraucht wird, hätte sie
       das Aufbauen der Kirmes gestört, befanden die Gemeindepolitiker. Also steht
       sie jetzt hier am Eingang zum Freizeitpark. Der Bürgermeister hat hier mal
       ein paar Jugendliche mit Fahrrädern gesehen.
       
       Heute hat jemand tatsächlich etwas an die Flunder angeschlossen, allerdings
       einen E-Scooter und kein Fahrrad. „Zum ersten Mal, dass ich sehe, dass sie
       genutzt wird.“ Zimmermann klingt glücklich. An manchen Tagen sind es die
       kleinen Dinge.
       
       Wer als Neuer in einer Gemeinde etwas verändern will, muss Netzwerke
       aufbauen, Gleichgesinnte um sich scharen. Rolf Zimmermann fährt zu Stephan
       Halbach, der seit Jahren das Tourismusbüro leitet. Die Männer wollen „mal
       rausfinden, wo es Berührungspunkte gibt“, sagt Zimmermann. Sie reden über
       Themen, die sie beide beschäftigen: Das bürokratische Fördergeldersystem,
       Müll in der Gemeinde, den mangelhaften ÖPNV und fehlende Fahrradwege. „Wenn
       die entscheidenden Personen nur Auto fahren, dann gibt’s halt kein
       Bewusstsein dafür“, sagt Stephan Halbach. Zimmermann nickt, wirbt noch mal
       für die Earth Night und fährt dann zur evangelischen Kirchengemeinde.
       
       In deren Keller bereiten seit einigen Monaten Jugendliche die Wahl von
       Lindlars erstem Jugendparlament im Herbst vor. Rolf Zimmermann ist zur
       Sitzung eingeladen, aber die ein Dutzend Jugendlichen und drei Erwachsenen
       diskutieren über Termine und Flyertexte.
       
       Nach einer Stunde wird er unruhig. „Ich hab keine Zeit mehr.“ Die
       wichtigsten Themen für die Jugendlichen seien Mobilität, Müll und Bäume in
       der Gemeinde, sagen die Erwachsenen. Zimmermann strahlt. Da sitzen
       Gleichgesinnte. Er fragt: „Macht ihr bei der Earth Night mit?“ Klar, am 23.
       September wollen sie hier Wahlparty feiern. Aber fürs Klima machen sie das
       Licht gerne um 22 Uhr aus.
       
       Kurzer Zwischenstopp im Café an der Hauptstraße. Zimmermann will eigentlich
       nicht dorthin, er trinkt gar keinen Kaffee. Dann erzählt er von seiner
       Kindheit auf dem Land, den Eltern, die Landwirtschaft betreiben. In Aachen
       studierte er Biologie, wollte Lehrer werden, fing dann aber im Vertrieb
       eines Ökostromanbieters in Düsseldorf an. Er blieb fast zehn Jahre. „Das
       machte mich aber nicht glücklich, arbeiten in der gewinnorientierten
       Privatwirtschaft.“ Er stieß auf das Gesuch aus Lindlar. Seine Freundin
       stammt aus der Gegend, er war hier früher jagen.
       
       Stolz erzählt er vom Artikel in der Lokalzeitung, der an diesem Tag
       veröffentlicht wurde. Darin gibt er Tipps zum Gassparen. „Ich hab die
       fromme Hoffnung, dass Leute das lesen und nachdenken.“ Künftig wird er für
       die Zeitung eine Kolumne schreiben.
       
       Reicht natürlich alles nicht. „Klimaneutralität bis 2050 kriege ich hier
       nicht hin. 22.000 Leute auf dem Weg dahin zu begleiten, ist ein echt dickes
       Brett. Keinen Schimmer, wie das klappen soll. Aber jeden Tag versuche ich,
       einen Schritt weiterzukommen, wir haben ja schließlich keine Wahl.“
       
       Er fährt ungern Auto, zum letzten Termin gehts nicht anders. Vorsichtig
       schleicht Zimmermann über die engen, kurvigen Landstraßen. Er will sich in
       Hohkeppel die Passivhaussiedlung angucken, 1998 gebaut, die erste in NRW.
       
       „Warum sind Sie eigentlich hier?“, fragt einer der Bewohner Zimmermann.
       „Ich musste mir das mal ansehen“, antwortet der. Dann fachsimpeln sie über
       Umwälzpumpen, Thermosiphons und Lüftungssysteme. Da hat Zimmermann einen
       Zwölf-Stunden-Tag hinter sich.
       
       Auf der Rückfahrt nach Köln ist der Bus leer.
       
       2 Aug 2022
       
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   DIR [5] /Ausbau-der-Windenergie/!5860734
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