URI: 
       # taz.de -- Außenministerin in Griechenland: Die Kritik ist sorgsam verpackt
       
       > Annalena Baerbock kritisiert in Athen die Praxis der Pushbacks als
       > Menschenrechtsverletzung. Insgesamt setzt sie auf nicht allzu viel
       > Konfrontation.
       
   IMG Bild: Athen: Baerbock in einem Flüchtlingslager (mit dabei: Griechenlands Migrationsminister Mitarachi)
       
       Athen taz | Ein bisschen Klartext hat die Außenministerin auf ihre Reise
       nach Griechenland auch mitgebracht. „Jede Grenze hat auch eine Tür und
       jeder Mensch hat in der EU das verbriefte Recht, einen Antrag auf Asyl zu
       stellen“, sagt Annalena Baerbock während ihrer Pressekonferenz im 1. Stock
       des griechischen Außenministeriums.
       
       Es ist Freitagmittag, gerade kommt sie aus einem Gespräch mit i[1][hrem
       Amtskollegen Nikos Dendias]. „Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es zu
       keinen Menschenrechtsverletzungen kommt und dazu zählen illegale
       Pushbacks“, sagt sie jetzt vor den Kameras, bevor sie rasch zur gedämpften
       Tonlage zurückkehrt. Klassische Sandwich-Methode: Die Kritik ist sorgsam
       verpackt, in Rücksicht und Verständnis für die Nöte der Griechen.
       
       Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt [2][ist Baerbock nach Griechenland
       gereist,] dessen Regierung einmal mehr wegen [3][Skandalen in der
       Flüchtlingspolitik] im Fokus steht. Seit Jahren ist die [4][Praxis der
       Pushbacks] bekannt, bei denen griechische Sicherheitskräfte Flüchtlinge
       über die Landgrenzen und das Meer zurückdrängen. Am Donnerstag erscheinen
       pünktlich zum Baerbock-Besuch neue Schlagzeilen: Der Spiegel berichtet von
       einem internen EU-Report mit Belegen zu den Menschenrechtsverletzungen –
       inklusive Beteiligung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. So wird
       die Reise der Außenministerin zum Praxistest: Wie gehen die Grünen, die
       seit jeher auf Humanitität an den EU-Außengrenzen pochen, in der
       Regierungsverantwortung mit dem Problem um?
       
       Zunächst: Mit einem ungewöhnlich dicken Programm. Noch vor den
       Regierungsgesprächen macht sich Baerbock bei Vor-Ort-Terminen in Athen und
       Umgebung ein Bild von der Lage. In einem vertraulichen Gespräch fragt sie
       die Sorgen von NGOs aus der Flüchtlingshilfe ab, die über die restriktivere
       Linie der konservativen Regierung klagen. Am Hafen von Piräus besucht sie
       die örtliche Frontex-Dependance – um „zu verstehen, was eigentlich
       Grenzsicherung auf offener See bedeutet“. Zuvor besichtigt sie ein
       Flüchtlingscamp am Stadtrand von Athen.
       
       ## Die Pushbacks? Unbestätigte Einzelfälle
       
       Während sich die Außenministerin dort mit drei Bewohnerinnen und deren
       Kindern über das Leben im Camp unterhält, redet ein paar Schritte weiter
       Notis Mitarakis auf den deutschen Pressetross ein. Der griechische
       Migrationsminister nutzt die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge
       loszuwerden. Die Pushbacks? Unbestätigte Einzelfälle. Das eigentliche
       Problem aber: Die EU-Partner ließen den Grenzstaat mit dem
       Flüchtlingsproblem alleine. Einen funktionierenden Verteilmechanismus gebe
       es immer noch nicht. Nötig sei eigentlich Bewegungsfreiheit innerhalb der
       EU für alle anerkannten Flüchtlinge.
       
       Das entspricht der gewohnten Verteidigungslinie der griechischen Regierung
       gegen Push-Back-Vorwürfe. Baerbocks Umgang damit am Tag darauf im
       Außenministerium: Nicht zu viel Konfrontation. Lieber Gemeinsamkeiten
       bemühen. Belehrungen aus Deutschland, weit weg vom Mittelmeer, hätten die
       Griechen in jüngerer Vergangenheit zu genüge gehört.
       
       „Wir haben in Deutschland viel zu lange gedacht, dass wir die Staaten an
       der EU-Außengrenze mit Grenzschutz, Flucht und Migration alleine lassen
       können“, sagt Baerbock. Unsolidarisch und kurzsichtig sei das gewesen.
       Volle Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge stellt sie dann zwar nicht in
       Aussicht, aber immerhin habe man mit einigen anderen EU-Staaten gerade erst
       freiwilligen Kontingenten zugestimmt. Ein paar Tausend Flüchtlinge könnte
       die Bundesrepublik aus Griechenland aufnehmen. Mittelfristig fordert
       Baerbock zudem eine „funktionierende europäische Seenotrettung“, die nicht
       von Aktivist*innen organisiert, wie heute, sondern von Staaten getragen
       wird.
       
       Von Konsequenzen, die die Pushbacks für Griechenland im Hier und Jetzt
       haben könnten, spricht sie dagegen nicht. Möglichkeiten gäbe es eigentlich:
       Die EU könnte Frontex-Missionen bei Grundrechtsverstößen aussetzen, die
       Kommission könnte ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. „Eine
       Überprüfung des Einsatzes in Griechenland ist dringend notwendig“, schrieb
       am Vortag Julian Pahlke, neu für die Grünen im Bundestag und als privater
       Seenotretter vor kurzem selbst noch im Mittelmeer unterwegs.
       
       In Griechenland dagegen bleibt Baerbock aber auch auf Nachfrage bei der
       ausgestreckten Hand. Von „Einzelfällen“ sprach sie am Donnerstag nach dem
       Frontex-Besuch. „Wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, müssen wir
       das gemeinsam als Europäer aufklären“, sagt sie dann am Freitag im
       Außenministerium. Mit der griechischen Regierung sehe sie da nach ihren
       Gesprächen überhaupt keinen Dissens.
       
       29 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auseinandersetzung-im-Persischen-Golf/!5857529
   DIR [2] /Aussenministerin-in-Griechenland/!5871053
   DIR [3] /Tuerkisch-griechische-EU-Aussengrenze/!5857481
   DIR [4] /Flucht-nach-Europa/!5864087
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Griechenland
   DIR Außenministerium
   DIR Nato
   DIR Recep Tayyip Erdoğan
   DIR Türkei
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Menschenrechtsverletzungen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Autonome Kurdenregion
   DIR Griechenland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Opfer der deutschen Migrationspolitik: Tödliche Folgen der Abschottung
       
       Geflüchtete werden besonders oft Opfer von Übergriffen und Polizeigewalt.
       Eine Berliner Initiative dokumentiert solche Fälle seit fast 30 Jahren.
       
   DIR Annalena Baerbock in der Türkei: „Die Luft hat gebrannt, oder?“
       
       Außenministerin Baerbock redet Klartext und beeindruckt in Ankara die
       türkische Opposition. Starke Worte allein werden aber bald nicht mehr
       reichen.
       
   DIR Außenministerin in Griechenland: Baerbock unterstützt Athen
       
       In Griechenland gedenkt die deutsche Außenministerin der Opfer der
       NS-Herrschaft – und kritisiert die türkische Politik. Am Freitag reist sie
       weiter nach Ankara.
       
   DIR Türkischer Angriff auf Kurden: Grüne Jugend fordert klare Worte
       
       Vor der Türkeireise von Annalena Baerbock gibt es aus der eigenen Partei
       Druck auf die Außenministerin.
       
   DIR Türkisch-griechische EU-Außengrenze: Grenzzaun soll verlängert werden
       
       Griechenland will die Grenze zur Türkei vollständig abriegeln. Die
       Regierung fürchtet, dass Erdogan Migranten als Druckmittel einsetzen
       könnte.