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       # taz.de -- Geretteter Metzger-Familienbetrieb: Sein Fleisch tropft nicht
       
       > Metzger Marco Haag übernahm einen verschuldeten Familienbetrieb. Heute
       > fahren manche Kunden 200 Kilometer, um bei ihm Steaks zu kaufen.
       
   IMG Bild: Viele der Schinken, die Sie hier sehen, kannte der Metzger als Tier noch persönlich
       
       Trier taz | Als Marco Haag am 11. März 1994 seinen Meisterbrief als Metzger
       erhält, steht es schlecht um den Betrieb der Familie. Fast 100 Jahre zuvor,
       1901, hatte Marco Haags Urgroßvater Nikolaus die Metzgerei im Trierer
       Ortsteil Ruwer eröffnet. Doch nun wird bereits seit einem Jahr die
       Hauptstraße erneuert, Kunden erreichen das Geschäft nicht mehr mit dem
       Auto. Der Umsatz bricht ein. Zwei Hochwasser verwüsten den Laden.
       
       Doch wie schlecht es um den Betrieb tatsächlich steht, erfährt Marco Haag
       erst zwei Jahre später. Er möchte mit seiner Verlobten Birgit eine gut
       laufende Metzgerei übernehmen, in Schweich, nur einige Kilometer
       moselabwärts. Als Haag sich mit der Bank wegen der Finanzierung trifft,
       erfährt er, dass der Betrieb seines Vaters mit mehr als 2 Millionen Euro
       verschuldet ist.
       
       Dennoch bekommen Haag und seine Frau den Kredit. Die Metzgerei in Schweich
       ist rentabel – auch, weil Haags Frau hinter der Theke gut mit Kunden
       umgehen kann. Sie hatte ihren Job in der Verwaltung gekündigt, um ihren
       Mann zu unterstützen.
       
       Im Jahr 2001 wird das junge Paar vor die nächste Herausforderung gestellt.
       In Schweich eröffnet der Edeka-Markt eine riesige neue Fleisch- und
       Wursttheke und setzt Haag unter Druck. Er versucht, mit Sonderangeboten
       gegenzuhalten. Fünf Jahre später steht er auf dem Wochenmarkt in Schweich
       und hört, wie Passanten ihn „den billigen Metzger aus Schweich“ nennen.
       
       Haag ist empört und verlangt seither hohe Preise. Dass die Kunden das
       zahlen, darüber scheint er auch heute, 16 Jahre später, noch immer erstaunt
       zu sein. „Wir machen zum Beispiel eine Beef-Bratwurst mit Cheddar gefüllt,
       die kostet 26,80 Euro das Kilo. Das sind mehr als 5 Euro für eine
       Bratwurst“, sagt Haag.
       
       Er steht im Kühlhaus seiner Metzgerei in Trier-Ruwer und begutachtet seinen
       Black-Print-Barrique-Schinken. Vor fünf Jahren ging sein Vater in den
       Ruhestand, Marco Haag verkaufte die Metzgerei in Schweich und übernahm den
       Familienbetrieb. „Ein Winzer aus Ellerstadt in der Pfalz überließ uns seine
       Weinfässer. 125 Schinken passen in ein Fass.
       
       Fünf Wochen reifen die Schinken darin“, sagt er. Danach kommen sie in die
       Rauchkammer und werden 10 mal 30 Minuten lang geräuchert. Anschließend
       reifen sie sechs Wochen in der Klimakammer. „Das ist unser bestverkaufter
       Schinken“, sagt Haag. 34,95 Euro kostet das Kilo.
       
       Diese Mühe verdeutlicht die Qualität, der sich Haag, heute 52 Jahre alt,
       verschrieben hat. „Das war früher der Kuhstall von meinem Opa. Und das war
       seine Garage“, sagt Haag. Er zeigt auf zwei Kühlhäuser: „Eins kostet 50.000
       Euro. Wir haben insgesamt fünf Kühlhäuser. Die meisten Metzgereien unserer
       Größe haben nur zwei und nur eine Rauchkammer.“
       
       Haag hat drei Rauchkammern – eine für Salami, eine für Schinken und eine
       für Würste. „Anders könnten wir die gar nicht produzieren. Viele Metzger
       kaufen viele Salami- und Schinkensorten zu“, sagt Haag. „Du musst mal
       darauf achten, wenn sie fragen, ob du etwas von der Haussalami möchtest.
       
       Das heißt, dass sie nur eine Sorte selbst herstellen. Das strebt gegen mein
       handwerkliches Denken.“ Stolz ist Haag auch auf seine Rohesser –
       geräucherte Würste aus frischem Mett – mit rauchigem Whisky- oder
       Gin-Kaffee-Aroma.
       
       ## Er grillt nach Feierabend für die Kunden
       
       Ungefähr ein Viertel des Fleisches bezieht Haag von drei ausgewählten
       Landwirten. Manche Tiere kennt er persönlich. Den Rest kauft er bei einer
       Fleischhandlung aus Dillingen im Saarland. „Ich muss vertrauen, dass die
       mir eine gute Qualität liefern und dass es nicht aus Massentierhaltung
       kommt“, sagt Haag. „Aber das siehst du dem Fleisch schon an. Fleisch von
       einem Schwein aus Massentierhaltung tropft und tropft, weil die so
       getrieben werden. Die Muskeln wachsen zu schnell und lagern mehr Wasser
       ein.“
       
       Nicht nur Kühlhäuser und Rauchkammern hat Marco Haag bauen lassen, sondern
       auch eine Steak-Lounge, „Handwerk 1901“ genannt, direkt neben der
       Metzgerei. In fünf großen Kühlschränken mit Glastüren hängen teils halbe
       Rinderrücken, es gibt 16 verschiedene Cuts. Jedes einzelne Steak wird vor
       den Augen der Kunden zugeschnitten. Einer von ihnen ist Gartenbauer Oliver
       Frigerio, 32. Der bekommt nach seiner Ankunft ein Bier, dann zeigt Haag ihm
       die Rücken von zwei Rindern, von einem weiblichen und einem männlichen
       Tier. „Schau mal, die Marmorierung ist ganz anders“, sagt Haag.
       
       „Ich komme meistens, wenn meine Freundin nicht zu Hause ist. Die ist
       Veganerin“, sagt Frigerio. Er selbst esse Fleisch, aber kein abgepacktes
       aus dem Supermarkt. „Hier ist es entspannt und du bekommst immer gute
       Sachen.“ Am Ende kauft er Grillware für 60 Euro, darunter eine
       Spanferkelschulter.
       
       Haag kennt Frigerios Grill und empfiehlt ihm, das Fleisch zwei Stunden lang
       bei 240 Grad zu grillen, ohne ständig nachzuschauen. Haag weiß oft, welchen
       Grill seine Kunden haben und welche Cuts sie mögen. Manche fahren deswegen
       200 Kilometer, um zu ihm zu kommen, und nicht wenige geben 300 Euro für
       Steaks bei einem Einkauf bei ihm aus.
       
       Oliver Frigerio hat vor drei Jahren mal ein Steak-Tasting bei Haag besucht,
       das ihm in Erinnerung geblieben ist. Bei den Tastings steht Haag an der
       offenen Feuerstelle und grillt etwa ein Kilo schwere Tomahawk-Steaks direkt
       in der Glut. „Das gibt ein ganz besonderes Raucharoma“, sagt Haag.
       
       ## Würzen nur mit Pfeffer und Meersalz
       
       Das Tomahawk-Steak umfasst vier Teile eines Rinds: Kette, Zungenstück,
       Roastbeef und Rib Eye. Aufgrund seiner Größe hat es fertig gegrillt mehrere
       Garstufen in einem Stück von Medium bis Well done. Von Filets hält der
       Metzger nichts. „Die sind nur zart, schmecken aber nach nichts.“ Auch von
       Marinaden ist Haag kein Fan. Mehr als Meersalz und Pfeffer brauche man
       nicht zum Würzen.
       
       Durch die Tastings hat sich Haag als Steak-Experte in der Region Trier
       etabliert. Manche nannten ihn verrückt, weil er sich nach Feierabend noch
       ans Feuer stellt. Seitdem nennt er sich selbst „der verrückte Metzger“. Die
       Tastings hätten ihm viele Kunden beschert, sagt Haag. Oft würden Frauen
       ihren Männern das Tasting schenken und selbst mitkommen. „Die Leute sind
       immer überrascht, wie eine kleine Metzgerei aussieht“, sagt Haag. „Die
       kennen nur abgepackte Ware. Wenn die in einen Räucherraum kommen, kippen
       die um, so gut riecht das.“
       
       Marco Haag hat den Familienbetrieb gerettet und schuldenfrei gemacht. Und
       die fünfte Generation steht bereit: Haags Sohn Max, 23, der eigentlich BWL
       studierte, aber auch bei den Tastings aushalf. Als der Unistoff immer
       trockener wurde, entschied er sich im Januar 2019, das Studium abzubrechen
       und Metzger zu werden.
       
       Haag ließ seinen Sohn erst einmal ein Praktikum machen – auch, um zu
       schauen, ob er es ernst meint. Vor Kurzem hat Max Haag seine
       Gesellenprüfung abgeschlossen. Nächstes Jahr möchte er seinen Meister
       machen.
       
       2 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Söfjer
       
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