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       # taz.de -- Auf der Ü-30-Party „Syke tanzt“: Bei Vätern, die Rolling Stone waren
       
       > Natürlich war „Layla“ zu hören und auch der Temptations-Klassiker „Papa
       > Was a Rolling Stone“. Ein Tänzchen in Syke mit „Spaßfaktor inklusive!“
       
   IMG Bild: Eine Garantie zum Tanzen: „The Temptations“ 1975 in der Offenbacher Stadthalle
       
       Das kulturelle Leben des niedersächsischen Städtchens Syke „verarmt“ zu
       nennen, geht einem zu leicht über die Lippen. Das ist nämlich erstens
       unfair und zweitens auch völlig falsch. Es ist nur weniger sichtbar. Hinter
       den schmucklosen Fassaden werkelt hier etwa ein auch zwischen seinen
       hochkarätigen Konzerten rühriger „Jazz Folk Klassik“-Verein.
       
       Im liebevoll betreuten Kreismuseum werden neben altertümlichem
       Handwerkszeug, Treckern und einem echten Goldschatz auch bildschöne
       Kaugummiautomaten und kämpferische Antifa-Graffiti für die Ewigkeit
       bewahrt. Und ganz vorneweg hat die Stadt mit dem „[1][Syker Vorwerk]“ auch
       ein wirklich verdienstvolles Museum für zeitgenössische Kunst zu bieten –
       zu dem man auch aus Bremen noch rausfährt.
       
       Der lokale Publikumsmagnet der Saison sieht dann aber eben doch ganz anders
       aus: die Ü-30-Party „Syke tanzt“ nämlich, im weitläufigen Biergarten eines
       hiesigen Restaurants. Schon Wochen zuvor lief der Kartenverkauf auf
       Hochtouren: 600 Tickets seien verkauft, heißt es, „streng limitiert“, dafür
       aber mit „Spaßfaktor inklusive!“.
       
       Seit Tagen warten Bühne, Tanzfläche, Bierausschank und Cocktailbar zwischen
       Wald und Flüsschen, am Hang gegenüber ragt ein Kriegerdenkmal auf, und
       nebenan – kein Witz – erstreckt sich der verwildernde alte Friedhof bis
       runter zum Fluss.
       
       ## Hier trifft man sich – und kennt sich längst
       
       So schaurig das vielleicht klingen mag, so ausgelassen trudelt das Publikum
       ein. Hier trifft man sich – und kennt sich längst. Einige der
       Über-30-Jährigen waren eigens angereist aus den Altersexilen in Berlin und
       Frankfurt oder so: Metropolen, die in den kommenden Stunden immer
       belangloser scheinen, während von der Hache her die Mückenschwärme und
       Frühergeschichten aufziehen. Ein Hauch von Freiheit und Long Island Ice Tea
       liegt über dem Areal, der sich später zu einer schneidend dichten Melange
       aus Nostalgie und Regression verdichten wird.
       
       Und weil bei „Syke tanzt“ Syke ja nun tanzen soll, läuft auch Musik.
       „Layla“ läuft natürlich, wobei der übersteuerte Wummerbass hier das
       geringste Problem ist. Noch etwas weniger überraschend wird später der
       Temptations-Klassiker „[2][Papa Was a Rolling Stone“] aufgelegt, der 1972
       veröffentlicht wurde – und damit schon zu Lebzeiten rund der Hälfte der
       anwesenden Ü-30-Jährigen.
       
       Auf der zum Bersten gefüllten Tanzfläche fallen die Menschen einander in
       die Arme. „Lange nicht gesehen – und doch wiedererkannt“ wird zum Mantra
       dieses Abends, über den sich auch das Hirn des teilnehmend beobachtenden
       Autors stetig weiter verflüssigt. Er (also ich) kennt hier zwar kaum
       jemanden – wohl aber dieses Gefühl, als eine Art Großstadtlachs zurück zum
       Laichplatz aufs platte Land zu schwimmen.
       
       ## Zwischenfälle mit Schubsereien
       
       Wie gesagt, man kennt sich hier: aus der Schule, vom Fußball oder vom
       Knutschen damals U-30. Heute hält sich das in Grenzen, dafür ertönen aus
       abgelegenen Ecken die Anrufe bei Oma: „Bei den Kinder alles okay?“ Auf dem
       Dancefloor läuft „Es tut mir leid, Pocahontas“ von AnnenMayKantereit,
       dessen zuckersüße Blödigkeit dem Publikumschoral aus voller Lunge nicht
       standhält. Bei den Onkelz klappt das besser, wohl auch, weil es da in
       Sachen Charme nichts zu verlieren gibt.
       
       Zwei Zwischenfälle. Der Streit um ein auf dem falschen Tisch abgestelltes
       Glas und jemand, der wen schubst – und sich binnen Sekunden von „den Jungs“
       umzingelt findet: alte Kameraden, die bald darauf am Tresen über
       Schlägereien von einst ins Schwärmen geraten.
       
       Ich bin derweil irgendwo verloren gegangen – hatte eben noch zu Scooter
       meine berüchtigten Schritte getanzt und versuche nun, einem Schriftsteller
       aus der Gegend ein alten Gedicht des [3][Berliner Surfpoeten Ahne]
       aufzusagen: „Verliebt, betrunken und ohne Glück“ heißt es. Und weiter weiß
       ich nicht mehr.
       
       31 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.syker-vorwerk.de/
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=nXiQtD5gcHU
   DIR [3] /Lesebuehnenautor-Ahne-im-Interview/!5298502
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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