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       # taz.de -- Straßenumbenennung an der FU Berlin: Koloniale Kanonenkugel zum Uni-Start
       
       > Noch immer tragen drei Straßen im Umfeld der FU koloniale Namen.
       > Studierende schlagen für die Iltisstraße nun Nora Schimming als
       > Namensgeberin vor.
       
   IMG Bild: Ein Relikt der Vergangenheit
       
       Berlin taz | Seit der Debatte über schwere Waffenlieferungen in die Ukraine
       gehört es zum Allgemeinwissen, dass oft Tiernamen für Panzernamen herhalten
       müssen. Auch die Iltisstraße in Dahlem (Steglitz-Zehlendorf) ist nicht nach
       dem schlanken Frettchen mit schwarzweiß gestreiftem Gesicht benannt:
       Vielmehr erinnert der Name an ein Kanonenboot der kaiserlichen Marine, das
       mit seinem Kapitän Wilhelm Lans [1][den sogenannten Boxeraufstand 1900 in
       China] bekämpfte und von dem aus die strategisch wichtigen Taku-Forts
       beschossen wurden.
       
       Die „Boxer“ hatten sich zusammengetan, um sich gegen imperialistische
       Begehrlichkeiten der Kolonialmächte und gegen die christlichen Missionare
       dort zu wehren. Sie zerstörten Infrastruktur und töteten Missionare.
       Insbesondere das Deutsche Reich wollte in China Gebiete kolonialisieren.
       Der Beschuss der Forts gilt als Beginn einer Invasion der imperialistischen
       Staaten in China mit dem Ziel, das Land zu demütigen und zu
       kolonialisieren.
       
       Heute liegen [2][Lans-, Iltis- und Taku-Straße], die ihre Namen seit mehr
       als 100 Jahren tragen, in unmittelbarer Umgebung der Freien Universität
       Berlin (FU), an der Iltisstraße befindet sich sogar das
       Immatrikulationsbüro der Uni, für viele Studierenden aus aller Welt die
       erste Anlaufstelle für ihr Studium.
       
       Kein Wunder, dass [3][schon lange über eine Umbenennung diskutiert wird.]
       Seit 2011 informiert zumindest eine Stele über den Hintergrund der
       Straßennamen. Vom Otto-Suhr-Institut der FU kommt jetzt ein neuer
       Vorschlag: Künftig sollte die Iltisstraße Nora-Schimming-Promenade heißen,
       argumentieren zwei Autor*innen [4][in der vergangene Woche erschienenen
       Institutszeitung].
       
       ## Ehemalige FU-Studentin
       
       Schimming, 1940 im damaligen Südwestafrika geboren, hat in den 1960er
       Jahren Politik, Anglistik und Afrikanische Literatur [5][an der FU
       studiert]. Sie engagierte sich in Unabhängigkeitskämpfen in Afrika. Nach
       der Unabhängigkeit hatte sie mehrere diplomatische Posten inne, unter
       anderem kam sie von 1992 bis 1996 als Botschafterin Namibias nach
       Deutschland. Nach ihrem Tod 2018 erhielt sie dort ein Staatsbegräbnis.
       
       Schimming sei die ideale Patin für die Straße, argumentiert Christian
       Walther, einer der beiden Autor*innen des Textes. „Sie ist eine Frau,
       sie ist nicht deutsch, sie hat [6][im Bereich der deutsch-namibischen
       Beziehungen] gearbeitet – all das hebt sie gegenüber bisherigen Vorschlägen
       heraus“, sagte er der taz am Montag. Bereits vor längerer Zeit hatte der
       Bezirk den Theologen und FU-Professor Helmut Gollwitzer als neuen
       Namensgeber für die Iltisstraße ins Gespräch gebracht, nach dem bereits
       [7][das Institut für Evangelische Theologie] benannt ist.
       
       Nora Schimming wäre demgegenüber eine Person, mit der der Bezug zur
       Kolonialgeschichte bei der Umbenennung erhalten bliebe – etwas, worauf auch
       Initiativen wie Berlin Postkolonial drängen, die sich seit Jahrzehnten für
       Umbenennungen von Straßen einsetzen, um so den Stadtraum zu
       „dekolonialisieren“. Sie argumentieren, dass ja gerade nicht Geschichte
       unsichtbar gemacht, sondern der Bezug erhalten werden sollte. An Iltis- und
       Lansstraße könnte man aus der Perspektive idealerweise eine Person des
       chinesischen Widerstands gegen die Kolonialmächte ehren.
       
       ## Straßenumbenennung leicht gemacht
       
       Seit 2020 ist es in Berlin leichter möglich, Straßen mit Bezug zur
       Kolonialgeschichte umzubenennen. Damals hat das Land das Straßengesetz um
       eine Ausführungsvorschrift erweitert, um neue Namen für Straßen zu
       ermöglichen, die nach „Wegbereitern und Verfechtern von Kolonialismus,
       Sklaverei und rassistisch-imperialistischen Ideologien“ benannt sind oder
       nach „in diesem Zusammenhang stehenden Orten, Sachen, Ereignissen,
       Organisationen, Symbolen, Begriffen“.
       
       Zuvor waren solche Umbenennungen eigentlich nur vorgesehen für Namen, die
       „aktive Feinde der Demokratie“ aus der Zeit des Nationalsozialismus oder
       aus der DDR ehrten. Für die Zeit vor 1933 war eine Umbenennung theoretisch
       möglich, wenn der Name nach „heutigem Demokratieverständnis“ „negativ
       belastet“ sei und dem „Ansehen Berlins“ nachhaltig schade. Das
       Straßengesetz regelt zudem, dass Straßen verstärkt nach Frauen benannt
       werden sollen. Namensgeber*innen sollten zudem bereits fünf Jahre tot
       sein.
       
       Seit der Ergänzung des Straßengesetzes ging es bei einigen Straßen sehr
       fix. Die Bezirke Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf sind so ihre
       jeweiligen Wissmannstraßen losgeworden. Die erinnerten an den extrem
       gewalttätigen Reichskommissar Hermann von Wissmann, der den Widerstand im
       damaligen Deutsch-Ostafrika brutal niedergeschlagen ließ. Er gilt in seiner
       späteren Tätigkeit als Kolonialgouverneur als Mitverursacher des
       Maji-Maji-Kriegs, in dem mehr als 100.000 Menschen in Ostafrika starben. An
       beiden Straßen stellten die Bezirke außerdem Tafeln auf, mit denen sie über
       die Geschichte und den Hintergrund der Umbenennung informieren.
       
       Die einstige Wissmannstraße in Neukölln heißt seit dem Frühjahr 2021 nach
       einer Politikerin aus Tansania Lucy-Lameck-Straße. Die in Grunewald ist
       seit Februar 2022 nach dem jüdischen Ehepaar Barasch benannt, das dort
       lebte. In beiden Fällen hingen nach dem offiziellen Beschluss des Bezirks
       auch tatsächlich die neuen Straßenschilder binnen kurzer Zeit ohne große
       Kontroverse. In Neukölln lag das wohl daran, dass es dem Bezirk gelang, die
       Anwohner*innen von vornherein eng mit einzubeziehen. In
       Charlottenburg-Wilmersdorf gab es laut Bezirk gar keine Klagen gegen die
       Umbenennung und kaum Widersprüche. Auch hier hatte im Vorfeld eine
       Veranstaltung stattgefunden, die Anwohner*innen und Interessierte über
       die Gründe zur Umbenennung informierte.
       
       Wann die Iltis-, Taku- und Lansstraße neue Namen erhalten, ist schwer
       absehbar. Im Fall der Takustraße könnte das Verfahren wegen zahlreicher
       Anwohner*innen komplizierter werden, sagt Walther, der sich hier auch
       lediglich eine ergänzende Information vorstellen könnte. Für die Lansstraße
       kursiere seit Langem der Name Ernst Fraenkel, berichtet Walther: Der
       Politikwissenschaftler wurde als Jude und Sozialdemokrat von den Nazis
       vertrieben, kehrte nach dem Krieg nach Berlin zurück und wurde erster
       Direktor des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien. Walther
       sagt: „Das wäre eine überzeugende Wahl.“
       
       19 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Strassennamenstreit-in-Steglitz/!5172768
   DIR [2] /!5435271/
   DIR [3] /!278410/
   DIR [4] http://drive.google.com/file/d/1dfWE-UHfwS93wtSo6Kj5k688tcMzmeHC/view
   DIR [5] https://youtu.be/ckMLiHnRGnI
   DIR [6] https://youtu.be/ap0Z77H3E0U
   DIR [7] https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/1999/fup_99_001/index.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
   DIR Bert Schulz
       
       ## TAGS
       
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