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       # taz.de -- Bundesaufnahmeprogramm für Afghanen: Hilfe für die Helfer
       
       > Hakim M. und seine Familie beherbergten Ortskräfte in Kabul und gerieten
       > ins Visier der Taliban. Nach langem Warten könnte Berlin jetzt bald
       > helfen.
       
   IMG Bild: Kein sicheres Pflaster: In Kabul patrouillieren Taliban-Kämpfer auf den Straßen
       
       Berlin taz | Nach Hause traut er sich nicht mehr, erzählt Hakim M. am
       Telefon. Seit Monate verstecke er sich im Haus seines Schwiegervaters. Wenn
       er das Gebäude doch einmal verlasse, dann nur zusammen mit seiner Frau im
       Taxi – Autos mit weiblichen Insassinnen würden die Taliban nämlich seltener
       aus dem Verkehr ziehen. „Ich möchte diesen Leuten nicht in die Hände
       fallen“, sagt M. „Andere Menschen sind spurlos verschwunden, nachdem die
       Taliban sie zu Befragungen mitgenommen haben. Ich habe Angst, dass mir das
       auch passiert.“
       
       Der Grund für die Sorge: Bevor Kabul im vergangenen Sommer gefallen ist,
       hatte M. mit Deutschen kooperiert. Das Patenschaftsnetzwerk – ein deutscher
       Verein, der Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Stellen
       unterstützt – hatte Unterkünfte für Dutzende Schützlinge gesucht, die
       bereits [1][aus ihren Provinzen fliehen mussten und in der Hauptstadt auf
       Visa für Deutschland warteten]. Über einen deutschen Verwandten entstand
       der Kontakt zur weit verzweigten Unternehmerfamilie M., die fünf ihrer
       Immobilien als sogenannte „Safe Houses“ zur Verfügung stellte.
       
       Bis die Taliban fünf Wochen später auch die Macht in Kabul übernahmen.
       Mitte August gab das Patenschaftsnetzwerk bekannt, die Safe Houses
       geschlossen zu haben; nur Stunden später sollen die Taliban die leeren
       Gebäude durchsucht haben. Hakim M. sagt, die Bewaffneten hätten bei
       Nachbarn und Verwandten nach ihm gefragt. Seitdem hält er sich versteckt –
       und wartet auf Hilfe der Bundesregierung.
       
       Bei ihr setzt sich seit dem letzten Sommer unter anderem das
       Patenschaftsnetzwerk dafür ein, dass die M.'s in die Bundesrepublik
       flüchten dürfen. Eine Liste mit den Namen von 70 Angehörigen aus fünf
       Teilfamilien liegt der Bundesregierung seit Monaten vor. Auch der deutsche
       Verwandte der Familie versucht zu helfen, er telefonierte sich wochenlang
       durch Redaktionen und Fraktionen. Medien berichteten, Abgeordnete hakten in
       Ministerien nach.
       
       „Die Familie M. hat ihre Existenz und ihr Leben in [2][Afghanistan aufs
       Spiel gesetzt], um Ortskräfte deutscher Behörden in Sicherheit zu bringen,
       nachdem die Bundesregierung dies versäumt hat“, sagt Clara Bünger (Linke).
       „Wenn die Bundesregierung sich einen Rest Glaubwürdigkeit bewahren will,
       muss sie der Familie die Aufnahme in Deutschland ermöglichen.“
       
       ## Eine letzte Chance
       
       Lange blieben aber alle Appelle erfolglos, erst unter der Großen Koalition,
       später auch unter der Ampel. Das Problem: Für das Ortskräfteverfahren, über
       das inzwischen [3][mehr als 17.000 Menschen nach Deutschland gelangten],
       kommt die Familie nicht in Frage – sie hat schließlich nicht für deutsche
       Stellen gearbeitet.
       
       Das Aufenthaltsgesetz gibt der Regierung zwar die Möglichkeit, in
       Einzelfällen auch andere Afghan*innen die Einreise zu ermöglichen. Nach
       Ansicht des Auswärtigen Amtes müssen Betroffene dafür aber „beispielsweise
       in besonders herausragender und langjähriger Weise in der
       Menschenrechtsarbeit aktiv gewesen“ sein und erheblich stärker gefährdet
       sein als andere Menschen in Afghanistan. „Dass eine solche Konstellation in
       dem von Ihnen vorgebrachten Fall vorliegen könnte, ist bislang nicht
       ersichtlich“, schrieb das Ministerium in der Antwort auf eine Anfrage der
       Abgeordneten Bünger.
       
       Eine letzte Chance könnte sich jetzt aber auftun: Im Koalitionsvertrag
       hatte die [4][Ampel ein Bundesaufnahmeprogramm] vereinbart, über das in den
       nächsten Jahren Tausende weitere Afghan*innen nach Deutschland kommen
       könnten. Innerhalb der Regierung zogen sich die Verhandlungen über die
       Details zwar zunächst hin. Im Mai erhöhten aber Ampel-Abgeordnete im
       Bundestag den Druck auf die Ministerien. Im Haushaltsausschuss planten sie
       einfach schon mal 25 Millionen Euro für das Programm ein, reichen würde das
       zunächst für 5.000 Menschen. Vom Innenministerium forderten die
       Abgeordneten zudem einen Bericht über den aktuellen Stand ein.
       
       ## Eckpunkte in Kürze
       
       Die Grünen-Haushälterin Jamila Schäfer gehört zu denen, die sich im
       Bundestag auch für Familie M. einsetzten. “Menschenrechtsverteidger*innen,
       die wegen ihres Einsatzes für unsere Ortskräfte jetzt mit dem Tod bedroht
       werden, müssen eine Chance bekommen“, sagte sie Anfang Juli der taz. „Es
       braucht endlich ein Aufnahmeprogramm, über das besonders gefährdete
       Menschenrechtsverteidiger*innen evakuiert werden.“
       
       Daraus könnte jetzt tatsächlich etwas werden. „Die Eckpunkte werden in
       Kürze vorgestellt“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Freitag
       der taz. „Grundsätzlich dürften auch Betreiber sogenannter Safe Houses
       unter den Kreis der Berechtigten fallen.“ Für Familie M. ist das das erste
       positive Signal seit langem.
       
       Wann die Eckpunkte konkret stehen, wann das Programm dann startet und ob
       die Familie tatsächlich davon profitieren wird, bleibt aber zunächst offen.
       Die Linken-Abgeordnete Bünger fordert daher schnellstmögliche Hilfe, wenn
       nötig auch unabhängig vom Bundesaufnahmeprogramm über die Möglichkeiten des
       Aufenthaltsgesetzes: „Jede weitere Woche der Ungewissheit für die Familie
       unzumutbar. Der Sachverhalt ist der Bundesregierung seit Monaten bekannt –
       die Aufnahmezusage muss jetzt kommen.“
       
       Auf eine solche Zusage, auf welchem Weg auch immer, hofft versteckt in
       Kabul weiterhin auch Hakim M. „Wir wollen nur raus aus dieser Situation“,
       sagt er am Telefon. „Wir hoffen, dass uns das deutsche Volk hilft – so wie
       wir den Ortskräften der Deutschen geholfen haben.“
       
       17 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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