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       # taz.de -- Kommunikationsforscher über Habeck: „In keiner Weise Panikmache“
       
       > Die CDU kritisiert Aussagen zum Gas von Wirtschaftsminister Habeck
       > (Grüne) als „Panikmache“. Forscher Andreas Schwarz sieht das anders.
       
   IMG Bild: Gekommen, um zu reden: Minister Habeck (Grüne)
       
       taz: Herr Schwarz, es gibt Kritik an der Krisenkommunikation des
       Wirtschaftsministers Robert Habeck. CDU-Politiker Jens Spahn sagt, Habecks
       andauernde Warnungen vor [1][der möglichen Gasknappheit] vergrößerten nur
       die Unsicherheit, Julia Klöckler spricht sogar von „Panikmache“. Sie sind
       Experte für Krisenkommunikation. Wie bewerten Sie Aussagen von Habeck wie
       „Wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein
       bisschen für das Beste arbeiten“? 
       
       Andreas Schwarz: Ich würde weniger [2][Einzelaussagen herausgreifen],
       sondern das Gesamtbild der Kommunikation bewerten: Und da tut Robert Habeck
       sehr viel. Er ist ein sehr aktiver Kommunikator auf verschiedenen
       Plattformen: auf sozialen Medien und in klassischen Medien. Er wird
       teilweise stärker wahrgenommen als der Kanzler selbst. Aus meiner Sicht tut
       er genau das, was empfohlen wird: Er macht deutlich, dass es eine reale
       Gefahr oder Risiken gibt. Das Gas kann mit einer gewissen
       Wahrscheinlichkeit knapp werden und die Preise steigen.
       
       Zweitens macht er kontinuierlich deutlich, dass Maßnahmen auf
       Regierungsebene ergriffen werden, zum Beispiel mit der Reise nach Katar,
       den Gesprächen in Tschechien und in Österreich sowie durch diverse
       Abkommen.
       
       Wieso ist das wichtig? 
       
       Die Maßnahmen dürfen nicht nur stattfinden, sie müssen auch kommuniziert
       werden inklusive der damit verbundenen Unsicherheit der Wirkungen. Außerdem
       weist er darauf hin, was die Bevölkerung im Hinblick auf Einsparung von
       Energie tun kann. In vergleichbarer Weise kommuniziert er auch in Richtung
       Industrie, die ja auch in ähnlicher Form betroffen ist.
       
       Und gleichzeitig kommuniziert und zeigt er Empathie für die Betroffenen,
       für die das Risiko stärker ausgeprägt ist. Also diejenigen, die zum
       Beispiel niedrigere Einkommen haben und größere Probleme bekommen werden
       mit Gas-, Energie- und Lebensmittelpreisen.
       
       Wie funktioniert sinnvolle Krisenkommunikation? 
       
       Das kommt auf die Krise an. Nach dem sogenannten IDEA-Modell braucht eine
       gute Krisenbotschaft drei Elemente: Betroffenheit klar machen und Empathie
       zeigen, das Risiko klar und verständlich erklären und schließlich Maßnahmen
       zum Schutz oder Selbstschutz erläutern und über viele Kommunikationskanäle
       verbreiten.
       
       Die Regierung muss also immer zwei Ebenen kommunizieren: Zum einen, dass es
       eine tatsächliche Bedrohung gibt, die man ernst nehmen muss. Zum anderen
       sollte sie auch klar machen, dass es Maßnahmen gibt, die die Regierung
       ergreift oder die die Betroffenen ergreifen können. Die Bevölkerung sollte
       dabei auch von der Wirksamkeit der Maßnahmen überzeugt werden, wie zum
       Beispiel Energie sparen.
       
       Ist es notwendig, so häufig wie möglich Maßnahmen zu wiederholen wie Robert
       Habeck es tut? 
       
       Es ist wichtig, dass man immer wieder auf die steigenden Gaspreise und die
       Möglichkeiten zum Sparen von Energie hinweist. Jetzt sind wir noch im
       Sommer und niemand muss heizen, bei vielen ist die Gasrechnung noch nicht
       da – da können viele sehr schnell zu dem Eindruck gelangen, dass es nicht
       so schlimm sein kann. Insofern macht es schon Sinn, dass Habeck diese
       Botschaft wiederholt, damit deutlich wird, dass hier was getan werden muss.
       
       Also teilen Sie nicht den Eindruck der Opposition, dass Habeck Panikmache
       betreibt? 
       
       Panikmache wäre es nur, wenn Habeck und andere in der Regierung keine
       Maßnahmen ergreifen und diese nicht kommunizieren würden. Das machen sie
       aber. Insofern sehe ich das in keiner Weise als Panikmache. Habeck versucht
       deutlich zu machen, dass die Gefahr da ist, dass eine Belastung auf alle
       zukommt und dass es Maßnahmen gibt. Auf die Risiken muss er auch hinweisen,
       sonst würde niemand anfangen in irgendeiner Form Energie zu sparen – weder
       in der Industrie noch in der Bevölkerung.
       
       Derzeit haben wir viele Krisen gleichzeitig. Wie funktioniert
       Krisenkommunikation in einer solchen Situation? 
       
       In der Forschung nennen wir diese Situation auch Megakrise. Es greifen
       viele Krisen ineinander, es gibt multiple Ursachen und keinen einzelnen
       Lösungsansatz, sondern viele verschiedene Dinge, die zeitgleich getan
       werden müssen. Das kann die Bevölkerung überlasten: Mit Blick auf den
       Informationsstand und darauf, was sie eigentlich selbst tun müsste. Hier
       gibt es ehrlich gesagt noch keine sehr guten Erkenntnisse aus der
       Forschung, wie man genau damit umgehen sollte.
       
       Als Daumenregel könnte gelten: Komplexität in der Kommunikation muss
       reduziert werden. Das heißt einerseits Prioritäten setzen und erst mal die
       Dinge angehen, auf die man unmittelbar reagieren kann. Und das ist im
       Moment die anstehende Energiekrise, die sich ja vermutlich zuspitzen wird.
       Mit Blick auf den Winter muss sich die Regierung aber auch wieder um Covid
       kümmern.
       
       Offen in der Forschung ist auch die Frage, wie man die Aufmerksamkeit
       aufrechterhält und Themenmüdigkeit verhindert. Das ist auch für den
       Klimawandel eine besondere Herausforderung.
       
       Wir haben einerseits Habeck, der sehr, sehr viel erklärt, sehr viel
       kommuniziert und auf der anderen Seite haben wir den Kanzler Olaf Scholz,
       der eher wortkarg ist. Welche Wirkung hat das, wenn der Wirtschaftsminister
       stärker wahrgenommen wird als der Kanzler selbst? 
       
       In ernsthaften Krisensituationen würden sich weite Teile der Bevölkerung
       eine Führungsrolle von den Regierenden wünschen. Da steht der Kanzler ganz
       oben. Der kommuniziert aber nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre, um
       der Bevölkerung das Gefühl zu geben, dass es Maßnahmen gibt, die helfen. Da
       macht Habeck schon einen deutlich besseren Job. Das ist sicherlich auch
       eine Stil- und Persönlichkeitsfrage. Ich halte es aber in Zeiten wie diesen
       für die bessere Alternative, viel zu tun, sich zu kümmern und das auch zu
       zeigen. Und da ist der Wirtschaftsminister im Moment besser unterwegs als
       der Kanzler.
       
       Am Beispiel Instagram kann man das sehr gut vergleichen. Da bekommt Habeck
       auch deutlich mehr Resonanz als der Kanzler. Und die Frage, warum Scholz in
       der Krise weniger in Erscheinung tritt, muss er sich auch kritisch gefallen
       lassen.
       
       21 Jul 2022
       
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