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       # taz.de -- Biodiversitätskonferenz in Kigali: Afrika nimmt Artenschutz in die Hand
       
       > Sie wollen selbst Natur- und Artenschutz anpacken: 2.300 ExpertInnen
       > diskutieren in Ruanda. Große Frage: Wo kommt das Geld her?
       
   IMG Bild: Schützenswert: der Kisite Mpunguti Marine Park
       
       Kampala taz | Die Afrikaner wollen ihren Natur- und Artenschutz selbst in
       die Hand nehmen, das war die Botschaft auf dem ersten afrikanischen
       Schutzgebiets-Kongress in Ruandas Hauptstadt (APAC) Kigali. Unter dem Motto
       „Für Mensch und Natur“ waren in der vergangenen Woche über 2.300 Vertreter
       aus über 50 Ländern der Welt zusammengekommen, um über neue Ansätze des
       Naturschutzmanagements zu sprechen. Der Event wurde mit organisiert von der
       Internationalen Union für Naturschutz (IUCN).
       
       „Wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt des Naturschutzes stellen, wenn
       wir die Ziele erreichen wollen, die wir uns gesetzt haben, und Maßnahmen
       ergreifen“, sagte Jeanne D'Arc Mujawamariya, die Umweltministerin Ruandas.
       
       IUCN-Generaldirektor Bruno Oberle betonte in seiner Schlusssrede, dass
       Naturschutz überlebenswichtig sei für die Menschen. Der Kongress habe eine
       „vielfältige Koalition“ gebildet, „die Regierungen und
       zivilgesellschaftliche Interessengruppen wie Jugendliche, indigene Völker
       und lokale Gemeinschaften sowie Schutzgebietsdirektoren und Ranger umfasst,
       um den Schutz und die Erhaltung zu stärken.“
       
       Symbolisch eröffnete Ruandas Premierminister Edouard Ngirente gemeinsam mit
       Hailemariam Desalegn, Ex-Premierminister von Äthiopien, den Nyandungu
       Eco-Tourism Park am Stadtrand von Kigali. Dabei geht es um ein neues,
       städtisches Naherholungsgelände in einem einst fast zerstörten, über 100
       Hektar großen Sumpfgebiet. Neben Wander- und Radwegen, Restaurants und
       einem Informationszentrum zum Thema Artenschutz sollen dort 62 lokale
       Pflanzen und über 100 Vogelarten geschützt werden. 17.000 Bäume wurden dort
       frisch gepflanzt. Der Park beweise das gute „Zusammenleben zwischen Mensch
       und Natur“, so Martine Urujeni, Vize-Bürgermeisterin von Kigali.
       
       ## Ausbau der Schutzgebiete im Kongo-Becken
       
       Im Zentrum der Debatte stand die Frage, wie nachhaltige Natur- und
       Artenschutzansätze in Zukunft funktionieren und wie diese finanziert werden
       sollen. Vor allem die afrikanischen Staaten und Gesellschaften sehen sich
       mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert, bei welcher sie nun vermehrt
       Mitspracherecht einfordern, vor allem die indigene und lokale Bevölkerung
       rund um die Schutzgebiete.
       
       Die führenden westlichen Industriestaaten, darunter die Bundesrepublik,
       haben sich jüngst auf die Fahnen geschrieben, [1][bis zum Jahr 2030 bis zu
       30 Prozent] des Planeten unter internationale Naturschutzregeln zu stellen,
       der sogenannte 30x30-Plan. Dazu sollen bereits bestehenden Schutzgebiete
       ausgebaut und neue gegründet werden. Im Fokus liegt dabei das Kongo-Becken,
       neben dem Amazonas-Regenwald in Südamerika die zweitgrößte Lunge des
       Planeten. Dafür haben die westlichen Industrieländer in jüngster Zeit
       gewaltige Fonds an den Kapitalmärkten eingerichtet, um diese gewaltigen
       Naturschutzvorhaben zu finanzieren.
       
       Das grundlegende Problem des Naturschutzes in Afrika ist die Finanzierung.
       Laut Kaddu Sebunya, Vorsitzender der African Wildlife Foundation (AWF),
       gibt es in Afrika über 1.200 Nationalparks, die jedoch aufgrund von
       Finanzierungslücken nicht gut verwaltet werden. „Für diese Nationalparks in
       Afrika sind 2,5 Milliarden US-Dollar erforderlich, aber derzeit sind
       weniger als 500 Millionen US-Dollar für den Betrieb dieser Parks
       vorgesehen“, betont er: Es gebe eine gewaltige Finanzierungslücke. „Wir
       müssen Parks effizient betreiben“, sagte er.
       
       ## „Wir sind keine Bettler“
       
       Desalegn, der Ex-Premierminister von Äthiopien, initiierte die Idee eines
       sogenannten afrikaeigenen Trustfonds in Höhe von über 200 Millionen
       US-Dollar, um die rund 8.500 Schutzgebiete auf dem Kontinent zu
       finanzieren. „Als Afrikaner sollten wir zuerst beitragen“, sagte er: „Wir
       sollten nicht als Bettler angesehen werden. Wir sind keine Bettler. Wir
       sollten aufstehen und unsere eigenen Ressourcen in den Naturschutz
       stecken.“
       
       In diesen Fonds sollen nicht nur westliche Geberländer, NGOs und Stiftungen
       einzahlen, sondern auch afrikanische Staaten und die Privatwirtschaft.
       Grundidee dieses Fonds ist es, dass durch gezielte Anlagestrategien an den
       Kapitalmärkten das eingezahlte Geld Rendite erwirtschaftet, aus welcher
       sich die Schutzgebiete finanzieren lassen.
       
       Der Beschluss ist richtungsweisend auch für die im Dezember anstehende
       COP15-Konferenz in Kanada, wo fast 200 Unterzeichnerstaaten des
       UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) zusammenkommen. Das
       wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz der Biodiversität auf
       der Erde ist 1993 in Kraft getreten. Der letzte Gipfel zum Thema hat
       aufgrund der Corona-Pandemie 2021 nur online stattgefunden. Im kanadischen
       Montreal soll diskutiert werden, wie sich der 30x30-Plan finanziell
       umsetzen lässt. Dazu sollen Milliarden an Euro bereit gestellt werden. Die
       afrikanischen Länder fordern einen Löwenanteil dieser Ressourcen für ihre
       Schutzgebiete.
       
       ## Biodiversität als Landraub
       
       Obwohl in Kigali auch Vertreter indigener und lokaler Gemeinschaften
       eingeladen waren, stand die Konferenz unter enormer Kritik. Das [2][jüngste
       Beispiel der Vertreibung der indigenen Maasai-Bevölkerung aus ihren
       traditionellen Gebieten rund um die Serengeti in Tansania] beweist für sie
       erneut, dass Indigene zum Opfer der aktuellen Naturschutzpolitik werden,
       weil sie aus den Schutzgebieten vertrieben werden. Den 30x30-Plan
       bezeichnen NGOs wie Survival International, die sich für die Rechte
       Indigener einsetzten, als den „größten Landraub der Geschichte“.
       
       Der [3][kenianische Naturschützer Mordecai Ogada] gehört zu den größten
       Kritikern gegen die westlichen Naturschutzansätze, die er als „neokolonial“
       bezeichnet. Sein 2017 erschienenes Buch „Die große Naturschutz-Lüge“ hat in
       Afrika überall Gehör gefunden. Die Erklärung von Kigali, die Menschen in
       den Fokus stellen zu wollen, kommentiert er auf Twitter folgendermaßen:
       „Wenn Sie eine Naturschutz-NGO sagen hören, dass sie „Gemeinschaften eine
       Stimme geben, dann sind das genau diejeniegen, die sie zum Schweigen
       gebracht haben.“
       
       25 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abkommen-zum-Artenschutz/!5861474
   DIR [2] /Militarisierter-Naturschutz-in-Afrika/!5671719
   DIR [3] https://twitter.com/m_ogada
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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