URI: 
       # taz.de -- Forscher über Hamburger Demo-Streit: „Wir sollten einander zuhören“
       
       > Der Geschlechterforscher Till Amelung wirbt nach dem Konflikt beim
       > Dyke*March für Verständigung zwischen trans Aktivisten und
       > Radikalfeministinnen.
       
   IMG Bild: Bedrohung oder legitimes Statement? Radikalfeministischer Protest beim Hamburger Dyke*March
       
       taz: Herr Amelung, auf dem jüngsten [1][Dyke*March] von Lesben in
       Hamburg kam es zum Konflikt. Radikalfeministinnen standen am Rand. Der
       Block für trans Menschen sah sich provoziert. Haben Sie davon gelesen? 
       
       Till Amelung: Ja. Ich fand, dass in der [2][taz die Stellungnahme der
       anderen Seite fehlte]. Also im Grunde hielt ein kleines Grüppchen von zwölf
       Frauen mehrere Banner hoch. Das war es dann aber auch.
       
       Wissen Sie, was für welche? 
       
       Da stand zum Beispiel, Frauen sind erwachsene, weibliche, menschliche
       Wesen. Oder es ging darum, dass man als Lesbe das Recht hat, Nein zu
       Penissen zu sagen.
       
       Da stand „You never need to apologize for not liking dick“. 
       
       Genau. Das führte zu der Wahrnehmung, dass dieses Grüppchen zu einem
       politischen Lager gehört. Und das veranlasste den trans Block dazu, sich
       auf den Boden zu legen und die Demo aufzuhalten. Letztlich holte die
       Polizei auf Betreiben der Veranstalterinnen dieses Grüppchen aus der Demo.
       
       Wie finden Sie das Schild? 
       
       Jeder hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Man ist niemandem
       Rechenschaft schuldig, wenn man Nein sagt.
       
       Wieso ist das ein Thema? 
       
       Es geht um trans Frauen, die versuchen, den Penis für sich umzudeuten und
       als weiblich anzunehmen. Jeder hat das Recht, dieses Körperteil auf diese
       Weise für sich anzunehmen. Was die Gemüter erregt, ist, dass erwartet wird,
       dass auch andere diese Sichtweise bruchlos bestätigen.
       
       Sie haben [3][ein Buch geschrieben], „Transaktivismus gegen
       Radikalfeminismus“. Wann entstand dieser Konflikt? 
       
       Ungefähr in den 1970ern in den USA. Da formierten sich radikale
       feministisch-lesbische Bewegungen. Und es gab auch schon trans Frauen, die
       eben Frauen begehren und sich nach der Transition als lesbisch begreifen.
       Die waren auch in Frauenprojekten dabei. Das hat einigen feministischen
       Gruppen sehr missfallen, weil es für sie undenkbar ist, dass es so was wie
       Geschlechtsangleichungen gibt. Für sie waren es biologische Männer. Es gab
       zeitweise heftigen Streit. Zum Beispiel gab es ein bekanntes Festival, das
       nur für Frauen und Lesben war. Dort gab es dann aus Protest daneben auch
       ein trans Camp. Und irgendwann gab es das Festival dann einfach nicht mehr.
       
       Wann kam der Streit hierher? 
       
       In den Achtzigern. Obwohl Alice Schwarzer zum Beispiel eine ganz andere
       Haltung einnahm und sagte, trans Frauen gehören auch dazu.
       
       Und wieso kocht das im Jahr 2022 hoch? 
       
       Ich denke, dass das an einem größeren Anspruch liegt, ein bestimmtes
       Verständnis von Geschlecht etablieren zu wollen.
       
       Dass es viele Geschlechter gibt und nicht nur zwei? 
       
       Genau. Und dass man sagt: Wer sich als Frau fühlt, ist eine Frau. Diese
       Haltung führt auch zu Konflikten, weil sie die Grundlagen
       radikal-feministischer Gesellschaftsanalysen angreift.
       
       Die da wären? 
       
       Dass Frauen wegen ihrer biologischen Eigenschaften auch sozial einen
       bestimmten Platz im Patriarchat zugewiesen bekommen haben. Das kann nicht
       mehr analysiert werden, wenn wir tun, als wüssten wir gar nicht mehr, was
       biologisch eine Frau ausmacht.
       
       Wie ist Ihre Haltung? 
       
       Die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist längst nicht obsolet. Der
       [4][Ansatz der biologischen Mehrgeschlechtlichkeit] ist eher politisch
       motiviert, weil man damit insbesondere trans Personen, aber auch
       intersexuelle Personen aufwerten wollte.
       
       Kommt der Streit jetzt auch wegen des geplanten Gesetzes zur
       Selbstbestimmung? 
       
       Das hat die Mobilisierungskraft verschärft. Ich kenne seit 2016 die
       Konflikte, auch zwischen Radikalfeministinnen, Lesben und trans Personen.
       
       Ihr Buch liest sich, als hätten Sie Verständnis für beide Seiten. 
       
       Ich verstehe bei beiden Seiten, warum die in bestimmte Richtungen gegangen
       sind. Aber wir müssen bestimmte Dinge wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
       Wir kommen nicht drum herum, dass es biologisch zwei Geschlechter gibt und
       die Biologie auch bestimmte soziale Auswirkungen hat. Gleichwohl muss man
       eben auch sehen, dass sich diese biologischen zwei Geschlechter in einer
       unglaublichen Varianz und Vielfalt zeigen. Und das schließt eben auch trans
       und inter mit ein.
       
       Wie lässt sich der Konflikt lösen? Haben Sie Ideen? 
       
       Wir sollten zuerst einmal einander zuhören. Das heißt, dass trans Personen
       darlegen können sollten, warum ihnen bestimmte Sachen wichtig sind oder was
       sie verletzt. Es sollte aber auch lesbischen Frauen und
       Radikalfeministinnen möglich sein, ihre Position zu erläutern.
       
       Die Betroffenen auf der Demo sagten ja auch, sie sähen sich in ihrer
       Existenz bedroht. 
       
       Da gibt es Übertreibungen, die einen konstruktiven Diskurs erschweren. Bei
       den Transparenten, die ich sah, hatte ich nicht den Eindruck, dass es um
       Auslöschung ging. Die trans Seite muss gucken, ob sie verhältnismäßig
       reagiert.
       
       Die politische Linke übt Solidarität mit dem trans Block.
       Radikalfeministinnen werden oft in die rechte Ecke gestellt. 
       
       Das passiert mit einer großen Lust, weil, wenn man jemanden als rechts oder
       gar Nazi etikettiert hat, gilt die Person als nicht mehr
       satisfaktionsfähig. Dass es so einfach ist, hängt damit zusammen, dass
       diese Thematik um Geschlecht und trans tatsächlich Mobilisierungspotenzial
       in der Rechten bekommen hat. In den USA sind die Republikaner dabei, sich
       mit restriktiven Gesetzen zu überbieten.
       
       Gibt es die Gefahr hier auch? 
       
       Ja, wenn schlecht gemachte Gesetze kein Vertrauen in den Rechtsvorgang
       schaffen. Deshalb sehe ich das Selbstbestimmungsgesetz kritisch, das jedem
       formlos erlaubt, seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Das weckt in der
       Bevölkerung Zweifel.
       
       Sie sind diesen Weg selbst gegangen. Was ist Ihr Vorschlag? 
       
       Es sollte schon ein paar Prüfsteine geben, in Form von Attesten und oder
       Wartezeiten, da gibt es Möglichkeiten.
       
       12 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.dykemarch-hamburg.de/
   DIR [2] /DykeMarch-in-Hamburg/!5873833
   DIR [3] http://www.querverlag.de/till-randolf-amelung/
   DIR [4] /Soziologin-ueber-Transgender/!5865423
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
       ## TAGS
       
   DIR Christopher Street Day (CSD)
   DIR Lesben
   DIR Trans
   DIR Hamburg
   DIR Schwerpunkt LGBTQIA
   DIR Christopher Street Day (CSD)
   DIR Queer
   DIR lesbisch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Dyke*March in Hamburg: Frauen bedrohen Frauen
       
       Hunderte Lesben haben beim Hamburger Dyke*March am Freitag gemeinsam
       friedlich demonstriert. Doch Radikalfeministinnen wollten Gewalt
       provozieren.
       
   DIR Hunderttausende beim Berliner CSD: Queerer Drahtseilakt
       
       Auf dem CSD drängten sich die Massen und Musiktrucks. Die politischen
       Botschaften blieben bisweilen auf der Strecke.
       
   DIR Dyke* March Berlin am 23. Juli: „Unabhängig, billig, flexibel“
       
       Die Demo für lesbische Sichtbarkeit zieht zum 9. Mal durch Berlin. Alle,
       die Lesben gut finden, sind willkommen, sagt Mitorganisatorin Manuela Kay.