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       # taz.de -- Die Wahrheit: Ich im Fernsehen, Mutter davor
       
       > Des Sohnes neue Kleider: Was bloß anziehen, tritt man im Fernsehen live
       > mit einem Buch auf, und Muttern guckt zu?
       
   IMG Bild: Staffelübergabe mit Hindernissen: Das MiMa kommt ab 2024 vom MDR
       
       Das neue Buch brachte mir eine Einladung ins Fernsehen ein. Genauer: Ins
       ZDF-„Mittagsmagazin“, das sie allen Ernstes „Mima“ nennen. Das beeindruckte
       sogar die Kinder, denn das Pendant dazu, das „Moma“, gucken sie immer
       morgens zum Frühstück vor der Schule, weil wir ihnen um diese Uhrzeit
       Youtube verbieten.
       
       „Kein Youtube vor vier“, beharre ich, denn was man selbst gelernt hat, soll
       man an die nachfolgende Generation weitergeben. Was aber zieht man bloß an
       im TV? „Nimm, worin du dich wohlfühlst“, empfahl ein fernsehgeübter Freund
       mir. „Also die Pullover, in denen ich immer rumlaufe?“, fragte ich
       erleichtert. „Äh, nun ja …“ – jetzt schien er nicht mehr so sicher.
       
       Aber sollte ich wirklich das Jackett aus dem Schrank ziehen? Den
       Kapuzen-Hoodie? Mache ich mich damit nicht zum peinlichen
       Berufsjugendlichen? Oder einen meiner Pullover, über die meine 91-jährige
       Mutter immer schimpft, dass ich darin aussähe, als liefe ich in einem
       Zirkuszelt herum? Das war überhaupt das größte Problem: meine Mutter. Die
       taz liest sie nicht, da kann ich schreiben, was ich will. Aber ZDF guckt
       sie. Und weil ich ihr in einem Anfall von kindlichem Stolz vom
       bevorstehenden Termin erzählt habe, war ich sicher, dass sie ihn nicht
       verpassen würde.
       
       Ratlos stand ich vor dem Kleiderschrank und zog Modelle hervor, bei denen
       ich mich erst wunderte, warum ich sie nie anzog. Bis ich sie anzog, dann
       wunderte ich mich, wieso ich sie so lange aufgehoben habe. Am Ende nahm ich
       drei verschiedene Kollektionen mit und beschloss, das möge die Frau von der
       Maske entscheiden. Die ist schließlich Profi.
       
       ## Rendez-vous mit der Maske
       
       Die Maske („Guten Tag, ich bin die Maske!“) war sehr entspannt bei der
       Frage nach dem besten Outfit. „Ach, egal“, sagte sie, „ziehen Sie an, worin
       Sie sich wohlfühlen.“ – „Im Ernst?“, fragte ich, „sogar den Pullover, den
       ich gerade anhabe?“ – „Klar, warum nicht?“, sagte die Frau. „Aber meine
       Mutter guckt zu“, gab ich zu bedenken. Sie erstarrte. „Oh“, sagte sie und
       wirkte plötzlich besorgt, „dann zeigen Sie mal lieber, was Sie noch dabei
       haben.“ Ich zeigte es ihr. Jetzt wirkte sie noch besorgter. „Ich weiß
       nicht, ob im Kostümfundus jemand zu erreichen ist“, murmelte sie.
       Schließlich fand sie dann doch das Jackett am geeignetsten.
       
       Es war dann sehr nett im „Mima“. Wirklich Angst hatte ich nur vor dem Anruf
       hinterher. Doch ich konnte aufatmen: „Sehr schön, Junge“, sagte meine
       Mutter am Telefon, „du hattest ein Jackett an. Gut gemacht!“ Ihr Nachbar
       rief aus dem Hintergrund in den Hörer: „Ich sag ja immer: Schlag niemand
       seine Kinder tot, man weiß nie, was draus wird!“ – „Ganz genau. Am Ende
       werden die Toten gezählt“, erwiderte meine Mutter.
       
       „Du, Mama, ich muss jetzt mal Schluss machen“, sagte ich, ehe ich noch mehr
       Lebensweisheiten der Generation 90 plus zu hören bekam. „Gut. Aber zieh
       ruhig öfter ein Jackett an“, gab sie mir noch mit auf den Weg. „Werde ich
       machen“, sagte ich, „sobald ich mal wieder ins Fernsehen eingeladen werde.“
       
       12 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heiko Werning
       
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