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       # taz.de -- Turnerin Kim Bui: Letzter Abgang nach fast 30 Jahren
       
       > Bei den Europameisterschaften in München verabschiedet sich Kim Bui. Sie
       > ist die wohl konstanteste deutsche Turnerin der vergangenen Jahre.
       
   IMG Bild: Vor dem letzten Tanz: Kim Bui (MTV Stuttgart) hat ihren Rückzug angekündigt
       
       Nach ihrem gelungenen Tsukahara-Abgang vom Stufenbarren reagiert Kim Bui
       wie vielleicht nie zuvor in ihrer Karriere: Kurz schreit sie die von ihr
       abgefallene Anspannung heraus, winkt ins Publikum, deutet eine Geste der
       Verbeugung an. Neben Bui freut sich ihr Trainer Robert Mai eher ruhig mit,
       an der Bande des Podiums hebt Bundestrainer [1][Gerben Wiersma] beide
       Daumen und klatscht Beifall.
       
       Auf die Frage, wie groß die Erleichterung nach der Übung war, fragt sie
       wenig später zurück: „Hat man mir das nicht angesehen? Und gehört?“ Und
       lacht das sehr zufriedene Lachen der Kim Bui. Es sei eine „so große
       Erleichterung, so krass“ gewesen, fügt sie hinzu. Zuvor hatte sie im
       Qualifikationsdurchgang der Europameisterschaft in München getan, was sie
       mit ganz wenigen Ausnahmen seit fast zwei Jahrzehnten getan hat: einen
       internationalen Wettkampf ohne großen Patzer abgeliefert. Mit 52,9999
       lieferte sie die beste deutsche Vierkampfnote und hat damit entscheidenden
       Anteil daran, dass das Team aller Voraussicht nach (die Qualifikation
       dauert bei Redaktionsschluss noch an) am Samstag im Finale der besten Acht
       nochmals an den Start gehen wird.
       
       Zudem hat sie große Chancen auf den Einzug ins Gerätefinale am Stufenbarren
       und, wenn auch deutlich geringere, am Boden. Ausgerechnet hier war ihr ein
       Patzer unterlaufen, als sie bei der Kosakendrehung viel früher als geplant
       auf den Boden greifen musste. „Es ist passiert, da kann man dann nichts
       mehr machen,“ kommentierte sie das lakonisch.
       
       Kim Bui kündigte vergangene Woche an, dass sie nach dieser EM ihre Karriere
       beenden wird. Das kam eher überraschend, hatte sie doch nach Abschluss
       ihres Masters in Technischer Biologie im vergangenen Herbst noch erklärt,
       jetzt könne sie sich endlich „ganz aufs Turnen konzentrieren“. Doch man
       darf davon ausgehen, dass es eine wohlüberlegte Entscheidung ist. Im Januar
       ist Kim Bui 33 Jahre alt geworden.
       
       ## Die längste Karriere des deutschen Frauenturnens
       
       Hier geht die längste Karriere in der bisherigen Historie des deutschen
       Frauenturnens zu Ende. Begonnen hat sie 1993, als die Vierjährige in eine
       Kinderturngruppe kommt. Im Landesleistungszentrum in Ruit bei Stuttgart
       erlernte sie bei Trainerin Tamara Khoklova solide Grundlagen, im
       Bundesleistungszentrum Stuttgart wird sie von Marie-Luise
       Probst-Hindermann und Robert Mai betreut.
       
       Kim Bui ist seit 1999 ununterbrochen Mitglied des Bundeskaders. Kim Buis
       Statistik ist tatsächlich beeindruckend: der erste internationale Auftritt
       2003, als Juniorin beim European Youth Olympic Festival, zwölf Teilnahmen
       bei Europameisterschaften, acht bei Weltmeisterschaften, drei bei
       Olympischen Spielen. Für Turnerinnen bis vor kurzem undenkbar.
       
       Zwischendurch fehlte es nicht an Tiefschlägen: Für die Heim-WM 2007 in
       Stuttgart wird Kim Bui nur als Ersatzturnerin nominiert, 2008 schafft sie
       es nicht ins Olympiateam, 2010 reißt das rechte Kreuzband, 2015 das linke.
       Als Highlight ihrer Karriere beschrieb Kim Bui zuletzt weder ihre vielen
       deutschen Meistertitel oder ihre einzige internationale Einzelmedaille –
       Bronze am Barren bei der Europameisterschaft 2011 in Berlin –, sondern das
       Teamfinale bei den Olympischen Spielen 2016.
       
       „Wir haben es als Team wunderbar gemacht und ich bin sehr glücklich und
       dankbar, dass ich mit diesem Team hier sein kann, dass ich das mit allen
       gemeinsam erleben kann.“ Das hohe Lied auf das Team ist weit verbreitet,
       bei Kim Bui. Jedoch ist es in all den Jahren nie eine Floskel gewesen, wenn
       sie zuerst über das Team und dann über sich gesprochen hat.
       
       Sie war keine Turnerin, die mit spektakulären Elementen oder gar eigenen
       Erfindungen, außergewöhnlichen Choreografien oder eben Medaillen auf sich
       aufmerksam gemacht hat. Im Mittelpunkt des medialen Interesses standen
       meist andere. Im Turnen gehe es um „die Perfektion, die nie erreicht werden
       kann“, erklärte sie vor Jahren ihre Sicht auf den Sport; und arbeitete
       weiter an dem unerreichbaren Ziel. Auch als langjährige Athletensprecherin
       erregte Kim Bui nach außen hin nie Aufsehen. Selbst angesichts der 2020 in
       Deutschland aufgekommenen [2][Missbrauchsvorwürfe] gab sie kein
       öffentliches Statement ab.
       
       Bundestrainer Gerben Wiersma wird Kim Bui fehlen. Er hatte zuletzt betont,
       wie sehr er hoffe, dass er das Team von Tokio 2021 dazu motivieren könne,
       bis zur nächsten Olympiaqualifikation weiterzumachen; nun kommt ihm
       ausgerechnet die konstanteste Turnerin abhanden. Die möchte nun erst einmal
       ihre letzten Auftritte vor heimischem Publikum genießen: „Zeit, zum Revue
       passieren lassen, habe ich danach noch genug.“
       
       11 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Trainer-Wiersma-ueber-Turnen-und-Qual/!5859625
   DIR [2] /Gewalt-beim-Turnen/!5700008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sandra Schmidt
       
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