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       # taz.de -- Fischsterben in der Oder: Kopfschütteln am verseuchten Fluss
       
       > Unmengen verendeter Fische und Schnecken: Die Oder ist auf Hunderten
       > Kilometern vergiftet. In Schwedt ärgern sich die Menschen: Alle hätten
       > gepennt.
       
   IMG Bild: Ein ganzes Ökosystem zerstört: Tote Fische in Bielinek, Polen
       
       Auf dem alten Grenzgelände, das seit dem EU-Beitritt Polens 2004
       brachliegt, laufen aufgebrachte Menschen herum, die Stimmung ist
       angespannt. Am Ufer der Oder, die hier in der uckermärkischen Stadt Schwedt
       die Grenze zu Polen markiert, beugen Passanten und Neugierige ihre Köpfe
       über den Fluss. Sie erblicken eine Spur der Zerstörung: Unmengen toter
       Fische und Schneckenhäuser, verfangen zwischen den schroffen Ufersteinen.
       Angespült von dunkelgrün-milchigem Wasser.
       
       Es ist [1][eine Umweltkatastrophe von noch unbekanntem Ausmaß], die sich
       gerade in dem 840 Kilometer langen, in Tschechien entspringenden Fluss
       abspielt. Und ein Versagen der Informationskette auf vielen Ebenen. Bereits
       am 26. Juli war polnischen Anglern in der Nähe von Breslau aufgefallen,
       dass ungewöhnlich viele tote Fische in der Oder trieben. Der Chef des
       Angelvereins in der Region Wrocław, Andrzej Świętach, berichtete laut
       Märkischer Oderzeitung bereits am 6. August, dass AnglerInnen mehr als fünf
       Tonnen toter Fische aus dem Wasser geborgen hätten.
       
       Dennoch [2][gelangten nur spät und spärlich Informationen nach
       Deutschland], ebenso schleppend verläuft die Aufklärung. Nach aktuellem
       Kenntnisstand sind offenbar in Polen giftige Substanzen ins Wasser geleitet
       worden; die polnische Regierung sprach am Sonntag wie auch die deutsche
       Seite von sehr stark erhöhten Salzgehalten im Fluss und mutmaßte, das
       Wasser sei mit Chemie-Abfällen vergiftet worden. Quecksilber [3][wurde zwar
       in hohem Maße bei der Analyse toter Fische festgestellt], Ursache der
       Katastrophe ist das giftige Schwermetall allerdings offenbar nicht.
       ExpertInnen vermuten, das Quecksilber sei beim Ausbaggern der Oder
       aufgewirbelt worden. Früher benutzten es Landwirte zum Beizen des Saatguts.
       Dann lagerte es sich jahrzehntelang im Flussbett ab. Der Oderausbau wird
       von Umweltschützern auf beiden Seiten des Flusses kritisiert.
       
       Quecksilber? Salze? Oder sogar ein Giftcocktail? Die Unklarheit über die
       Ursachen ärgert viele, die meisten am Fluss sind einfach erschüttert: Die
       Bürgermeisterin von Schwedt, Annekathrin Hoppe (SPD), bezeichnete das
       Fischsterben auf der Länge von Hunderten Flusskilometern als
       „Umweltkatastrophe von noch nie dagewesenem Ausmaß“.
       
       ## „Müssen alles Freiwillige machen?“
       
       Die Bürger an der gesamten Oder sind inzwischen angehalten, das Wasser
       nicht zu berühren. In Schwedt fragt ein Mann einen anderen Passanten: „Wo
       sind denn alle? Wo ist das THW? Wo ist die Bundeswehr? Müssen heute alles
       Freiwillige machen?“ Helfer sammeln indes auf deutscher und polnischer
       Seite Tausende Fischkadaver ein. Es ist eine Zerstörung, die sich
       unerklärlich lange ohne Kenntnis der Öffentlichkeit abspielte.
       
       „Die Frage der deutsch-polnischen Zusammenarbeit hat an dieser Stelle ganz
       offensichtlich nicht funktioniert“, sagt Umweltministerin Steffi Lemke –
       und forderte eine Analyse. Die Grünen-Politikerin hatte sich alles am
       Samstag vor Ort angeschaut. Am Sonntagabend wollte sie sich zudem mit ihrer
       polnischen Amtskollegin Anna Moskwa beraten. Frankfurts Oberbürgermeister
       René Wilke kritisierte auch die deutsche Seite. Bund und Land hätten nicht
       geholfen, die Stadt habe ein eigenes Krisenmanagement aufbauen müssen.
       
       ## Viel war nicht mehr zu retten
       
       In Deutschland hatten die Behörden erst am Dienstag Hinweise auf ein
       ungewöhnliches Fischsterben erreicht. Schnell wurden andere Gewässer wie
       die sogenannte Alte Oder abgetrennt, um verunreinigtes Wasser am Eindringen
       zu hindern. Aber viel war da schon nicht mehr zu retten. Inzwischen [4][hat
       sich das verseuchte Wasser Richtung Ostsee bewegt]. Laut Behörden sollten
       sich die Schadstoffe abhängig von Wind und Strömung bereits am Samstag im
       mecklenburg-vorpommerschen Teil des Oderhaffs befinden.
       
       Ministerin Lemke schloss sogar nicht aus, dass die Behörden eine
       Badewarnung etwa für die Insel Usedom aussprechen könnten. „Wir haben eine
       Giftfracht im Fluss“, sagte Lemke. Sie wisse nicht, „wann die sich so weit
       verdünnt haben wird, dass sie keine Gefahr für Natur und Mensch darstellt“.
       Die Folgen für die Ostsee und die Nahrungskette sind noch nicht abzusehen,
       die Konsequenzen könnten laut Umweltschützern über Jahre fortwirken.
       
       ## „Da fehlen mir die Worte“
       
       Auf der Schwedter Brücke nach Polen treffen unterdessen Menschen
       aufeinander. Sie schütteln die Köpfe, machen Fotos, reden darüber, was sie
       wissen und was sie fühlen. Ein Jammer sei es. Alle hätten gepennt. „Dass es
       immer noch fließt Richtung Ostsee“, sagt einer, „da fehlen mir die Worte.“
       Unter den Menschen auf der Brücke fließt die Oder. Auf ihr sind weiße,
       glitzernde Punkte zu sehen. Es sähe fast schön aus, wenn man nicht wüsste,
       was das ist. Jeder von ihnen ein totes Tier: Zope, Wels, Zander, Hecht,
       Karpfen, Plötze, Rotfeder, Barsch und auch wiederangesiedelte Störe. Einige
       der Fische haben ein Menschenleben lang in der Oder gelebt.
       
       Auf der polnischen Seite riecht es nach Räucherfisch. Am Ufer stehen Männer
       in weißen Schutzanzügen. Zuletzt hat man solche Anzüge hier im Frühjahr
       2020 gesehen, als die Grenze wegen der Coronapandemie dicht gemacht wurde.
       Im Wasser haben die polnischen Behörden eine 25 Meter breite rote Barriere
       aufgestellt, in die pro Minute deutlich mehr als hundert Fische treiben.
       
       Am Rand liegt ein Teppich toter Fische. Ein Passant betrachtet die Szenerie
       und sagt: „Wir sind in Europa. Eigentlich müsste die Barriere von hier nach
       da gehen.“ Und er zieht einen Strich durch die Luft, eine gemeinsame
       deutsch-polnische Barriere.
       
       14 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fischsterben-in-Fluessen/!5870697
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   DIR [3] /Fischesterben-in-der-Oder/!5874160
   DIR [4] https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/tote-fische-in-der-oder-hunderte-liter-gift-im-fluss-_-polnische-medien-berichten-ueber-fischsterben-65933413.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Stendera
   DIR Kai Schöneberg
       
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