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       # taz.de -- Industrie-Abwässer im Harz: Stinkende Brühe bedroht Trinkwasser
       
       > Das Wasser des Flüsschens Sieber im Harz schäumt. Grund sind Abwässer aus
       > einer Papierfabrik. Die Rhume-Quelle geht vorsorglich vom Netz.
       
   IMG Bild: Nicht nur die Idylle ist bedroht, sondern auch die Trinkwasserversorgung
       
       Göttingen taz | Dimensionen wie das [1][große Fischsterben in der Oder] hat
       der Fall zwar nicht, wohl aber das Zeug zu einem mittleren Öko-Skandal: In
       der Stadt Herzberg im Südharz sind durch Nährstoffe belastete Abwässer
       einer Papierfabrik großenteils ungeklärt in das Flüsschen Sieber, in den
       Mühlengraben und schließlich in den als auch als Badeanstalt genutzten
       Juessee gelangt. Das Abwasser droht mittelfristig auch die Rhume-Quelle zu
       belasten, die als Trinkwasser-Reservoir für die Region Eichsfeld dient.
       
       Die Herzberger Stadtverwaltung machte den Vorgang am vergangenen Freitag
       bekannt. Demnach hat die Papierfabrik Smurfit Kappa Solid Board „seit
       einiger Zeit Probleme mit der eigenen Abwasserreinigungsanlage“. Das
       Unternehmen, das am Standort Herzberg Vollpappe, Wellpappe und sogenannte
       Bogenwarte produziert, habe über die Sieber Wasser abgeben müssen, das
       erhöhte Nährstoffwerte aufweise.
       
       Über diese Ausleitungen seien dann auch vermehrt Nährstoffe in den
       Mühlengraben und den Juessee gelangt, die das ohnehin schon verbreitete
       Wachstum von [2][Blaualgen] verstärkt hätten. Die Nährstoffe sind nach
       Angaben der Stadt zwar weder für Menschen noch Flora und Fauna
       gesundheitsgefährdend, allerdings seien sie – etwa durch Schwebstoffe,
       braune Farbe und Schaum – sichtbar. In den vergangenen Tagen hätten sie
       zudem „merklich unangenehme Gerüche“ entfaltet.
       
       Nach Angaben der Stadt sind in den vergangenen Tagen „zahlreiche Anfragen
       von besorgten Bürgern und Vereinen, aber auch Beschwerden von Gästen“ bei
       den Behörden eingegangen. Auch die Polizei und die Feuerwehr seien schon
       von Anwohnern zu Hilfe gerufen worden. Die Behörden haben den Juessee
       inzwischen für Badegäste gesperrt.
       
       Der Geologe Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)
       kennt das Problem aus eigener Anschauung. „Kürzlich war die Lage noch
       schlimmer als sonst“, sagt er. „So schaumig waren das Sieberwasser und das
       abgeleitete Sieberwasser im Mühlengraben vorher nicht. Viele Bürger haben
       mir erzählt, dass sie wegen des Gestanks nachts nicht mehr schlafen
       können.“ Die Papierfabrik habe offenbar ihre Kläranlage nicht im Griff,
       vermutet Knolle. „Oder die Kläranlage wird falsch bedient, denn die Jahre
       davor war die Lage durchaus besser.“
       
       Smurfit Kappa äußerte sich in einer Pressemitteilung: „Wir bedauern die
       Entwicklung, insbesondere die Eintrübung des Mühlengrabens, die
       Blaualgenblüte des Juessees sowie die damit verbundene Geruchsbildung.“
       Auch wenn insbesondere die Blaualgen nicht ursächlich auf die Einleitung
       der Prozesswässer aus der Produktion zurückzuführen seien, wirkten diese
       „unter gewissen Umständen verstärkend“.
       
       Wegen der großen Hitze kämen die technische Infrastruktur und die
       Abwasserreinigungsanlage an ihre Kapazitätsgrenzen. Das habe damit zu tun,
       das die in der Anlage arbeitenden Mikroorganismen durch die Hitze
       beeinträchtigt seien, teilte das Unternehmen dem NDR mit. Als erste
       Gegenmaßnahme hat Smurfit Kappa nach eigenen Angaben die Produktionsmengen
       gedrosselt. Zusätzlich habe das Unternehmen einen Kühlturm angemietet, um
       die Temperatur der Sieber unter Kontrolle zu halten.
       
       Die Sieber fließt zum Teil in die – nicht mit dem deutsch-polnischen
       Grenzstrom zu verwechselnde – Oder. Zum Teil versickert das Sieberwasser
       auch im Karstboden und tritt an der rund 15 Kilometer von Herzberg
       entfernten Rhume-Quelle wieder an die Oberfläche.
       
       Diese Quelle im Kreis Göttingen ist mit einem mittleren Abfluss von 2.000
       Litern pro Sekunde die viertstärkste Quelle Deutschlands und zugleich eine
       der ergiebigsten Karstquellen in Mitteleuropa. Theoretisch könnte jeder
       Einwohner in Deutschland täglich mehr als zwei Liter Wasser aus der
       Rhume-Quelle erhalten.
       
       ## Proben bislang „ohne Befund“
       
       Seit 1978 dient das Quellwasser zur Trinkwasserversorgung. Die Eichsfelder
       Energie- und Wasserversorgungsgesellschaft (EEW) entnimmt der Quelle etwa
       ein Prozent des Wassers und beliefert damit rund 15.000 Einwohner. Aufgrund
       der Meldungen aus Herzberg nahmen die EEW am Wochenende die Rhume-Quelle
       vorsorglich vom Netz. Als Vorsichtsmaßnahme seien zugleich Proben aus der
       Quelle entnommen worden, teilte das Unternehmen mit. Diese seien jedoch
       ohne Befund geblieben.
       
       Der Landkreis Göttingen ist derweil bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Eine
       Gefährdung der Rhume-Quelle könne „nach allen derzeit vorliegenden
       Erkenntnissen“ ausgeschlossen werden, sagte Kreissprecher Ulrich Lottmann
       am Montagabend.
       
       „Die Trinkwasserversorgung ist nicht betroffen.“ Es gebe auch keine
       fortdauernde Belastung von Gewässern in Herzberg und keine Gefährdung von
       Menschen oder Umwelt durch Giftstoffe. Spekulationen über eine drohende
       Umweltkatastrophe, wie sie der Lokalzeitung angestellt wurden, seien
       deshalb „maßlos und irreführend“.
       
       17 Aug 2022
       
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