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       # taz.de -- 7 statt 19 Prozent: Bund senkt Mehrwertsteuer auf Gas
       
       > Kanzler Olaf Scholz hat eine Entlastung bei Energiekosten angekündigt.
       > Doch Ökonomen und Sozialverbände kritisieren das Vorhaben.
       
   IMG Bild: Gas wird billiger, bleibt aber teuer
       
       Berlin taz | Nach dem Aufschlag kommt jetzt der Rabatt: Die Bundesregierung
       will die Mehrwertsteuer auf Gas befristet von 19 Prozent auf 7 Prozent
       reduzieren. Damit reagiert sie auf Kritik an der bereits beschlossenen
       Gasumlage, mit der krisenbedingte Mehrkosten von Gasimporteuren auf alle
       Verbraucher*innen umgelegt werden.
       
       Auch auf diese [1][Umlage in Höhe von 2,419 Cent pro Kilowattstunde] soll
       die Mehrwertsteuer sinken. „Mit diesem Schritt entlasten wir die Gaskunden
       insgesamt deutlich stärker, als die Mehrbelastung, die durch die Umlagen
       entsteht, beträgt“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung des
       Plans am Donnerstag.
       
       Dass die Gesamtkosten für Endkund*innen sinken, ist damit allerdings
       nicht gesagt: Die Energieversorger könnten ihre Preise prinzipiell weiter
       erhöhen. Die Regierung erwarte von den Unternehmen, dass sie die
       Steuersenkung „eins zu eins an die Verbraucherinnen und Verbraucher
       weitergeben“, sagte Scholz. „Das werden wir auch sehr klar kommunizieren.“
       
       Ursprünglich wollte die Bundesregierung die neue Gasumlage komplett von der
       Mehrwertsteuer befreien. Damit sollte dem Eindruck entgegengewirkt werden,
       dass der Staat an der neuen Umlage auch noch verdient. Doch die EU hatte
       dieses Vorgehen für unzulässig erklärt. Im Ergebnis können sich die
       Gaskunden darüber freuen, denn die Absenkung der Mehrwertsteuer auf den
       gesamten Gasverbrauch bringt eine weitaus höhere Entlastung.
       
       ## Wer mehr zahlt, spart mehr
       
       Wäre bei der Umlage komplett auf die Steuer verzichtet worden, hätten die
       Gaskunden dadurch etwa 0,5 Cent pro Kilowattstunde gespart. Bei der jetzt
       geplanten Senkung des Steuersatzes auf den gesamten Gasverbrauch hängt die
       Ersparnis vom jeweiligen Gaspreis ab. Wer noch einen günstigen Gasvertrag
       hat und bisher 5 Cent pro Kilowattstunde zahlt, spart 0,7 Cent pro
       Kilowattstunde; wer bereits die aktuellen Preise für Neukunden von bis zu
       30 Cent pro Kilowattstunde bezahlen muss, spart durch die Steuersenkung 3,3
       Cent pro Kilowattstunde; die Ersparnis ist für solche Kunden somit größer
       als die zusätzliche Belastung durch die Gasumlage.
       
       Eingeführt werden soll die Gasumlage zum 1. Oktober, um Gasimporteure vor
       der Pleite zu retten. Diese kaufen Gas normalerweise zu langfristig
       festgelegten Preisen ein und verkaufen sie, ebenfalls mit langfristigen
       Verträgen, an ihre Kunden, etwa Stadtwerke oder Vertriebsfirmen.
       
       Weil Russland die Liefermengen stark reduziert hat, müssen viele Importeure
       das Gas nun anderswo einkaufen – zu einem Mehrfachen des Preises, den sie
       mit Russland vereinbart hatten. Diese Kosten können sie aber kurzfristig
       nicht an ihre Kunden weitergeben, so dass die Gefahr einer Insolvenz und
       damit verbundenen Lieferausfällen bestand. Die Umlage soll den Importeuren
       90 Prozent ihrer Verluste ausgleichen.
       
       Die Umlage war auf scharfe Kritik gestoßen, weil sie nur die Gaskunden
       zusätzlich belastet, auf [2][die ohnehin deutlich höhere Preissteigerungen]
       zukommen als auf Menschen, die anders heizen. Als Alternative war [3][eine
       Finanzierung aus Steuermitteln vorgeschlagen worden.]
       
       ## Fiskus verzichtet auf 14 Milliarden Euro
       
       Durch die Mehrwertsteuer auf den Gasverbrauch wird die Umlage jetzt
       faktisch tatsächlich zum Großteil aus dem Staatshaushalt finanziert: Nach
       Berechnungen des Ökonomen Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie
       und Konjunkturforschung, werden durch die Mehrwertsteuersenkung etwa zwei
       Drittel der zusätzlichen Belastungen durch die Umlage ausgeglichen; dem
       Fiskus entgehen dadurch etwa 14 Milliarden an Steuereinnahmen. Steigt der
       Gaspreis noch weiter, wird der Effekt der Steuersenkung entsprechend
       größer. Faktisch hätte es am Ende vermutlich keinen großen Unterschied
       gemacht, wenn die Rettung der Gaskonzerne von vorneherein aus dem
       Staatshaushalt bezahlt worden wäre.
       
       Dulliens Berechnungen zufolge dürfte die Inflationsrate in den letzten drei
       Monaten des Jahres durch die Mehrwertsteuersenkung 0,7 Prozent niedriger
       ausfallen als ohne die Senkung. Das könne dazu beitragen, dass sie unter
       der psychologisch wichtigen Marke von zehn Prozent bleibe.
       
       Trotzdem hält Dullien die Mehrwertsteuersenkung für das falsche Mittel,
       weil davon Haushalte mit hohem Gasverbrauch, die oft auch über ein hohes
       Einkommen verfügen, stärker entlastet werden. Eine bessere
       Verteilungswirkung hätte man erreicht, wenn nicht der gesamte Gasverbrauch,
       sondern nur ein Grundbedarf pro Haushalt entlastet worden wäre, erklärte
       der Ökonom.
       
       Auch Sozialverbände kritisierten das Vorhaben: „Die Mehrwertsteuerabsenkung
       entlastet alle, also auch diejenigen, die es überhaupt nicht nötig haben“,
       sagte Ulrich Schneider der taz. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen
       Gesamtverbands verwies auf Topverdienende, „die mit der Mehrwertsteuer
       unsere Sozialsysteme entlasten könnten“. Schneider betonte, der
       Paritätische spreche sich für gezielte Hilfen aus für diejenigen, die ihre
       Gasrechnung nicht mehr bezahlen könnten.
       
       Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK, sieht zwar die Vorteile
       für betroffene Haushalte – kritisiert aber die Art der Finanzierung: „Die
       Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas um 12 Prozentpunkte gleicht die
       Gasumlage ungefähr aus“, sagte Bentele der taz. Das sei gut für die
       Haushalte, die unter den hohen Gaspreisen litten. Es sei aber schlecht für
       den Staatshaushalt.
       
       Bentele forderte ein Umdenken im Finanzministerium: „Wir müssen jetzt ganz
       dringend über Einnahmen reden, sonst wird es keine Kindergrundsicherung,
       kein gutes Bürgergeld und keine Entlastung für pflegende Angehörige geben“,
       sagte sie. „Herr Lindner muss endlich ernsthaft über eine Übergewinnsteuer
       und eine Vermögensabgabe nachdenken, um Entlastungen für die Schwächsten
       finanzieren zu können.“
       
       18 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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   DIR Anne Diekhoff
       
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