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       # taz.de -- Tschad startet „Nationalen Dialog“: Selbstgespräche für den Frieden
       
       > Im Tschad ruft die Militärregierung von Mahamat Idriss Déby zum „Dialog“.
       > Mehrere Warlords sind schon da – die zivile Opposition boykottiert.
       
   IMG Bild: Die Unterzeichnung des „Friedensabkommens von Doha“, 8. August
       
       Berlin taz | Es wird ein Politspektakel, bei dem es vordergründig um die
       Neugründung des Staates in Tschad geht. Rund 1.400 Delegierte kommen ab 20.
       August für drei Wochen in der Hauptstadt Ndjamena zu einem „Nationalen
       Dialog“ zusammen, der eine neue Verfassung hervorbringen und Demokratie
       einführen soll. „Alle Töchter und Söhne des Landes werden zusammenfinden“,
       sagte [1][Militärherrscher Mahamat Idriss Déby] vor wenigen Tagen. Der
       Dialog soll „souverän“ sein, die Beschlüsse haben Gesetzeskraft.
       
       Aber Tschads wichtigste zivile Oppositionskoalition Wakit Tamma boykottiert
       den Dialog und ruft für den 19. August zu Protesten auf. „Nach unseren
       Schätzungen stehen 80 Prozent der Mitglieder der Junta nahe“, kritisiert
       Oppositionspolitiker Succès Masra. Der Dialog, so der Verdacht der zivilen
       Kräfte, solle den Weg zu einer Kandidatur von Mahamat Idriss Déby bei den
       noch 2022 vorgesehenen Wahlen ebnen und dem General dafür die Zustimmung
       der historischen Bürgerkriegsführer Tschads sichern.
       
       Es spricht einiges dafür, dass die Kritiker recht haben. Der „Nationale
       Dialog“ entstammt den kuriosen Umständen, unter denen der aktuelle
       Staatschef an die Macht kam. Als der langjährige Präsident Idriss Déby am
       20. April 2021 im Kampf gegen die aus Libyen eingedrungene Rebellengruppe
       [2][FACT (Front für Wandel und Eintracht im Tschad)] getötet wurde, hievten
       die höchsten Generäle des Landes in Panik kurzerhand seinen Sohn an die
       Spitze einer Militärjunta. Seitdem sind Tschads Verfassung und
       Institutionen suspendiert.
       
       Die Schutzmacht Frankreich, die aus Tschad heraus ihre Antiterroreinsätze
       in Afrikas Sahelzone führt, akzeptierte den Militärputsch nur gegen das
       Versprechen, dass Déby mit seinen Gegnern in den Dialog tritt und binnen 18
       Monaten Wahlen organisiert.
       
       ## Monatelange Vorverhandlungen in Katar
       
       Vorverhandlungen, genannt „Prädialog“, fanden in diesem Jahr in Katars
       Hauptstadt Doha statt. Am 8. August unterzeichneten Tschads Präsident sowie
       42 von 47 bewaffneten Gruppen des Landes feierlich das „Friedensabkommen
       von Doha“, worin ein Waffenstillstand und die Aufnahme des „Nationalen
       Dialoges“ vereinbart wurde.
       
       Es war eine Fiktion. Gekämpft wurde in Tschad ohnehin nicht mehr. Die
       wichtigste Rebellengruppe FACT, die nach Schätzungen 80 Prozent aller
       aktiven Kämpfer bewaffneter Gruppen Tschads vereint, boykottierte das
       Abkommen und bemängelte unter anderem, dass Gefangene nicht wie vereinbart
       freigekommen seien.
       
       Die zivile Opposition war schon im April aus den Gesprächen ausgestiegen.
       Tschads führende Wochenzeitung [3][Ndjamena Hebdo] titelte nach dem
       Abkommen: „Mogelpackung“.
       
       Kritisiert wird unter anderem, dass es keine Kriterien für die Auswahl der
       Delegierten gibt und unklar ist, wem sie rechenschaftspflichtig sind. Die
       Zahl der bewaffneten Gruppen soll sich während der Gespräche auf wundersame
       Weise vermehrt haben, und es wird befürchtet, dass nun handverlesene
       Delegierte eine Bewahrung des Déby-Machtsystems aushandeln, unter
       Einbindung historischer Warlords.
       
       Letztere sind immerhin zufrieden und rechnen sich wohl aus, den nur 38
       Jahre alten Staatschef an der Nase herumführen zu können. Am Donnerstag
       landeten Tschads zwei bekannteste historische Rebellenführer aus dem Exil
       in Ndjamena: Der 67-jährige Timan Erdimi, Führer der UFR (Union der
       Kräfte des Widerstands) und seit 2010 in Katar ansässig, sowie der
       75-jährige Mahamat Nouri von der UFDD (Union der Kräfte für Demokratie und
       Entwicklung).
       
       Erdimi ist ein Neffe des toten Idriss Déby, Nouri sein ehemaliger
       Verteidigungsminister. Beide waren dabei, als im Februar 2008 tschadische
       Rebellen in einem Blitzkrieg aus Sudan heraus [4][fast Ndjamena einnahmen].
       Damals wurden sie von Déby mit französischen Luftangriffen gestoppt. Jetzt
       hat der Sohn ihres damaligen Bezwingers ihnen in Ndjamena den roten Teppich
       ausgerollt.
       
       19 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-Tod-von-Idriss-Deby/!5762496
   DIR [2] /Rebellenfuehrer-ueber-Ziele-fuer-Tschad/!5766410
   DIR [3] https://ndjamenahebdo.net/
   DIR [4] /Machtkaempfe-im-Tschad/!5187296
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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