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       # taz.de -- Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Kein rechter Terror ohne Trauma
       
       > Dass die Opfer im Neukölln-Komplex keine Nebenkläger sein dürfen, ist ein
       > Armutszeugnis – für den Umgang mit Betroffenen und den Kampf gegen
       > Rechts.
       
   IMG Bild: 2018 wurde das Auto von Ferat Kocak von Neonazis abgefackelt
       
       Rund um die [1][rechtsextreme Neuköllner Anschlagserie] wurden schon viele
       Fehler gemacht. So viele, dass sich mittlerweile [2][ein
       Untersuchungsausschuss mit den zahlreichen Pannen bei den Ermittlungs- und
       Strafverfolgungsbehörden beschäftigt].
       
       Doch wer geglaubt hat, mit der [3][Anklageerhebung gegen die beiden
       Hauptverdächtigen Sebastian T. und Thilo P.] sei das Schlimmste für die
       Betroffenen vorbei, der irrt: In dieser Woche wurde bekannt, dass Ferat
       Koçak, [4][auf dessen Auto die beiden Neonazis 2018 einen Brandanschlag
       begangen haben sollen], bei dem der Neuköllner Linke-Politiker und seine
       Familie nur knapp mit dem Leben davonkamen, nicht als Nebenkläger in dem
       Prozess auftreten darf, der am 29. August beginnt.
       
       Entschieden hat das die zuständige Richterin, da sie zu wissen glaubt, dass
       Koçak, der nach eigenen Angaben bis heute an Angstzuständen,
       Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche leidet und sich mehrfach in eine
       psychologische Krisenberatung begeben hat, [5][“keine körperlichen und
       seelischen Schäden“ erlitten hat, die eine Zulassung als Nebenkläger
       rechtfertigen würden].
       
       Diese Begründung macht sprachlos. Zum einen, weil dadurch das Leid von
       Ferat Koçak, das dieser infolge des rechtsextremen Terrors durchleben muss,
       mir nichts, dir nichts relativiert wird. Zum anderen, weil es durchaus
       Ermessensspielraum für eine andere Entscheidung gegeben hätte.
       
       So können Nebenklagen zugelassen werden, wenn besonders schwere Folgen wie
       Traumatisierungen gegeben sind. Wer nachts aufwacht, weil Neonazis dein
       Auto anzünden, das direkt neben dem Haus steht, in dem deine Familie
       schläft, und das fast explodiert, weil das Feuer beinahe auf die Gasleitung
       übergreift, der kann schon mal eine Traumatisierung erleiden – auch wenn es
       sich bei der Brandstiftung formal nur um eine Sachbeschädigung handelt.
       Umso mehr, wenn die betroffene Person sich nicht auf den Schutz durch die
       Sicherheitsbehörden verlassen kann – [6][weil diese zwar von der rechten
       Bedrohungslage wussten, eine Warnung aber für unnötig hielten.]
       
       ## Keine Einsicht in das Leid der Opfer
       
       Der Richterin jedoch scheint derlei [7][Einsicht in die Leidenswelt von
       Opfern rechtsextremen Terrors] fremd zu sein. Sie dreht sich vermutlich
       auch nicht mehrmals am Tag auf offener Straße um, weil sie befürchten muss,
       wegen ihres antifaschistischen Engagements von Neonazis angegriffen zu
       werden.
       
       Was bleibt, ist die Erkenntnis, die sich bereits seit über 10 Jahren durch
       den Neukölln-Komplex mit seinen mehr als 70 Vorfällen zieht: [8][Die
       Betroffenen von neonazistischen und rassistischen Gewalttaten werden mit
       ihrem Leid alleine gelassen]. Die Berliner Justiz hat dies wieder einmal
       eindrücklich bewiesen. Da helfen auch die aus der Politik gebetsmühlenartig
       vorgetragenen Beteuerungen nichts, dass das Vertrauen in die
       Sicherheitsbehörden wieder hergestellt werden müsse.
       
       Justiz und Polizei müssen begreifen, dass Rechtsextremismus das Leben von
       Menschen nachhaltig zerstören kann. Umso wichtiger ist es, Betroffene
       rechter Gewalt ernst zu nehmen und ihnen ihre Handlungsmacht zurückzugeben.
       Das Mittel der Nebenklage ist genau dafür da: Die Opfer können die Tat
       verarbeiten, indem sie aktiv an ihrer Aufklärung beteiligt werden. Den
       Opfern der Neonazis, die Neukölln seit Jahren unbehelligt in Angst und
       Schrecken versetzen, wird dieses Recht nun genommen. Das ist kein gutes
       Zeichen – weder für den anstehenden Prozess, noch für den Kampf gegen
       Rechts.
       
       5 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Frank
       
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