URI: 
       # taz.de -- Jahrestag der Hafenexplosion in Beirut: Staubwolken und Löschwasser
       
       > Viele Libanes*innen gedenken der Opfer der Hafenexplosion vor zwei
       > Jahren. Zeitgleich kollabiert ein Teil des zerstörten Weizensilos.
       
   IMG Bild: Hunderte Menschen marschierten am Donnerstag in Beirut Unglücksort
       
       Frankfurt a. Main taz | Zum zweiten Jahrestag der Hafenexplosion in Beirut
       vom 4. August 2020 ertönt auf der von Menschenmassen blockierten
       Schnellstraße vor dem Hafen ein Protestsong aus Lautsprecherboxen: „Rebell,
       steh einmal auf den Plätzen und sag ihnen: Du hast gestohlen! Du hast dich
       bereichert! Du hast getötet“. Ein Reuters-Journalist hält währenddessen auf
       Video fest, wie ein Hubschrauber über den Krater am Hafen fliegt, den das
       in die Luft gegangene Ammoniumnitrat vor zwei Jahren hinterlassen hat.
       Löschwasser fällt hinunter auf zerbrochene Betonklötze, aus denen Rauch und
       Staub aufsteigt.
       
       „Entweder du stehst ihnen einmal im Weg, oder du wirst für immer frustriert
       bleiben“, heißt es in dem Liedtext. Mit drei Protestmärschen beginnend an
       verschiedenen Punkten der Stadt ziehen Hunderte zum Hafen.
       
       Rund eine Stunde vor der Gedenkminute steigen Staubwolken und Rauch auf:
       Vier der [1][Betonzylinder des Silos am Hafen stürzen ein]. Das Weizensilo
       hatte der Explosion im Jahr 2020 zwar standgehalten, der danach
       zurückgebliebene Weizen fermentierte jedoch und brannte regelmäßig.
       
       Die Rauchwolken sind nicht nur eine bittere Erinnerung an die Explosion und
       die aufsteigende Pilzwolke, die sich damals gebildet hat. Sie sind für
       viele Angehörige der über 200 Menschen, die bei der Explosion am Hafen von
       Beirut starben, auch eine Beleidigung.
       
       ## Erinnern an die Gleichgültigkeit der Politiker*innen
       
       Denn viele, darunter Familien der Opfer der Explosion, machten sich dafür
       stark, die Silos zu erhalten. Sie sehen in dem Zerfall einmal mehr die
       Untätigkeit ihrer Politiker*innen, die zu einer tiefen Wirtschaftskrise und
       zur Detonation im Hafen geführt hat. Nicht nur an die Verstorbenen, ihre
       Narben und das Trauma wollten die Protestierenden in den Straßen erinnern –
       sondern eben auch an die Gleichgültigkeit ihrer eigenen
       Politiker*innen ihnen gegenüber.
       
       Zum Andenken und Anmahnen zirkulieren in den sozialen Medien Fotos und
       Videos der Explosion, Archivmaterial eines zerstörten Beirut, aber auch
       Videos der Proteste: An Absperrzäunen, überwacht vom Militär, stellen
       Protestierende selbstgebaute, weiße, leere Särge ab. Familien und Bekannte
       der Explosionsopfer tragen die Portraits der Verstorbenen auf T-Shirts und
       Plakaten.
       
       Die Angehörigen der Explosionsopfer forderten erneut eine
       [2][internationale, unabhängige Untersuchung] der Ereignisse. Noch immer
       ist kein ranghoher Politiker befragt und zur Rechenschaft gezogen worden.
       Die libanesische Untersuchung ist seit Dezember 2021 ausgesetzt.
       
       Beschuldigte Ex-Minister klagten gegen den Untersuchungsrichter Tarek
       Bitar, sodass dieser seine Arbeit aussetzen muss. Die schiitische Partei
       und Miliz Hisbollah denunziert den Richter immer wieder öffentlich als
       voreingenommen.
       
       ## Auch Frankreichs Rolle ist umstritten
       
       Auf dem Weg zum Parlament in der Innenstadt spricht auch Monika
       Borgmann-Slim, Co-Direktorin des UMAM Dokumentationszentrums. Ihr Ehemann
       Lokman Slim wurde am Abend des 3. Februar 2021 [3][durch mehrere Schüsse
       ermordet], als er mit einem Leihwagen im südlichen Libanon unterwegs war.
       Das Gebiet wird von der Hisbollah kontrolliert.
       
       Borgmann-Slim sagte, ihr Mann sei der erste gewesen, der das falsch
       gelagerte Ammoniumnitrat öffentlich in Verbindung mit der Hisbollah
       gebracht habe. Lokmans These war, dass das Ammoniumnitrat für Fassbomben
       bestimmt war, für den Kampf in Syrien. Die schiitische Miliz Hisbollah ist
       eine Verbündete des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Außerdem wies
       Borgmann-Slim darauf hin, dass im Südlibanon – der Ort des Mordes an ihrem
       Mann – auch die Friedensmission der Vereinten Nationen UNIFIL stationiert
       ist. Sie forderte UNIFIL auf, jegliches Videomaterial herauszugeben, das zu
       dem Fall in ihrem Besitz ist.
       
       Die Angehörigen der Verstorbenen äußerten bei Mikrofonansprachen auf den
       Straßen ihren Ärger über Frankreichs Rolle bei den Vereinten Nationen:
       Frankreich legte ein Veto gegen die Bildung einer Untersuchungskommission
       des UN-Menschenrechtsrats ein. Diese könnte Fakten zur Explosion sammeln
       und unabhängig über die Geschehnisse aufklären. Der
       Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge begründeten
       französische Diplomat*innen ihre Entscheidung so: „Es ist nicht die
       richtige Zeit“, „das ist keine Menschenrechtsfrage“, „Geben Sie der
       internen Untersuchung eine Chance“.
       
       Auf Letzteres pocht auch der französische Präsident Emmanuel Macron. In
       einem Interview mit der libanesischen Zeitung L’Orient-Le Jour sagte er am
       Mittwoch: „Die Behörden Ihres Landes haben beschlossen, eine nationale
       Untersuchung einzuleiten und sich an mehrere Länder, darunter auch
       Frankreich, zu wenden und um internationale Zusammenarbeit zu bitten. Dies
       ist eine souveräne Entscheidung, die Frankreich und die mit dem Libanon
       befreundeten Länder respektiert haben.“
       
       Frankreich habe der libanesischen Justiz alle bisher erstellten technischen
       Berichte sowie am Explosionsort entnommene Proben und Satellitenbilder
       übermittelt. Eine nächste Anhörung zu dem Fall im Menschenrechtsrat ist im
       September.
       
       5 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-der-Hafenexplosion-im-Libanon/!5868028
   DIR [2] /Juristin-ueber-Hafenexplosion-von-Beirut/!5868278
   DIR [3] /Vertuschung-im-Libanon/!5830417
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
       ## TAGS
       
   DIR Libanon
   DIR Beirut
   DIR Weizen
   DIR Jahrestag
   DIR Gerechtigkeit
   DIR Explosion
   DIR Beirut
   DIR Libanon
   DIR Libanon
   DIR Beirut
   DIR Ernährung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Drei Jahre nach Explosion in Beirut: Die Stille danach
       
       Vor drei Jahren starb die Tochter von Tracy und Paul Naggear bei der
       Explosion im Hafen von Beirut. Ihre Eltern kämpfen für die Rechte der
       Betroffenen.
       
   DIR Währungskrise im Libanon: Geiselnahme in libanesischer Bank
       
       Im Libanon hat ein Bewaffneter Geiseln genommen, um an sein Geld zu
       gelangen. Durch die Währungskrise haben viele Banken Auszahlungen begrenzt.
       
   DIR Juristin über Hafenexplosion von Beirut: „Keine Gerechtigkeit im Libanon“
       
       Zwei Jahre nach der Hafenexplosion in Beirut gibt es noch immer keine
       Ermittlungsergebnisse. Die Anwältin Zena Wakim klagt nun in den USA.
       
   DIR Nach der Hafenexplosion im Libanon: Neues Trauma für Beirut
       
       Nach wochenlangem Brand ist im Hafen von Beirut ein Weizenlager teilweise
       eingestürzt. Die Silos sind ein Mahnmal für die Explosion 2020.
       
   DIR Landwirtschaft im Libanon: Die Farmer sind wütend
       
       Tarek Rabah war Punkmusiker. Heute baut er Gurken, Rucola und bald Weizen
       an. Können Leute wie er dem Land aus der Nahrungskrise helfen?