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       # taz.de -- Corona und die Impffrage: Zweiter Booster jetzt oder später?
       
       > Die Stiko empfiehlt nun doch allen Menschen ab 60 Jahren den zweiten
       > Coronabooster. Über die Ansage, neue Impfstoffe und die drohende
       > Herbstwelle.
       
   IMG Bild: Der Impfstoff für die Omikron-Variante wird derzeit hergestellt – aber sollte man warten?
       
       Berlin taz | Eigentlich hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
       (SPD) sich etwas anderes gewünscht. Wie immer in der Pandemie natürlich
       mehr. Aber er nimmt, was er kriegen kann. „Froh“ ist er also über die am
       vergangenen Donnerstag aktualisierte Covid-Impfempfehlung der Ständigen
       Impfkommission (Stiko). Künftig sollen sich alle BürgerInnen ab 60 ein
       viertes Mal impfen lassen, um im Herbst geschützt zu sein. Lauterbach hatte
       [1][vor einem Monat noch die ganze Bevölkerung] zum vierten Piks
       aufgerufen.
       
       Was bedeutet die neue Empfehlung der Stiko? Die wichtigsten Fragen und
       Antworten.
       
       1. Warum wurde überhaupt so heftig über die Empfehlung zur vierten Dosis
       diskutiert? 
       
       Es ist in Deutschland inzwischen üblich, die Empfehlungen der Stiko von
       politischer, aber auch gesellschaftlicher Seite heftig zu kritisieren. Das
       betrifft auch die seit Februar geltende Empfehlung, dass sich nur ältere
       MitbürgerInnen ab 70 Jahren ein viertes Mal impfen lassen sollen. Andere
       [2][Länder und die Europäische Seuchenbehörde] hatten die vierte Dosis
       schon länger ab 60 empfohlen. Ob die alte Empfehlung der Stiko einer
       Grundlage entbehrte, muss man jedoch bezweifeln. Studien hatten erst
       vordrei Monaten über die Effekte einer vierten Impfung berichtet. Diese
       Daten stammen aus Israel und sind nun in die Entscheidung eingeflossen.
       
       2. Was bringt die neue Empfehlung für Einzelne und die Gesamtsituation? 
       
       Im Grunde sehr wenig. Die Empfehlung der Stiko ist nicht bindend. Wer als
       Einzelner eine vierte Dosis wollte, konnte und kann sich unabhängig von
       Vorerkrankungen und Alter immunisieren lassen. Ob das nötig ist, um im
       Herbst gut vor schwerer Erkrankung geschützt zu sein, ist für die meisten
       Menschen aber ohnehin fraglich. Gesunde Erwachsene, auch gesunde über
       60-jährige, haben nach einer dreifachen Impfung einen guten Schutz, der
       sich durch eine Auffrischung kaum noch verbessert. Allein der Schutz vor
       Ansteckung wird für einige Wochen wieder gestärkt, aber eben nicht
       dauerhaft. Deshalb werden sich auch vierfach Geimpfte im kommenden Winter
       anstecken können. Für ältere Mitmenschen, die öfter an Grunderkrankungen
       wie Diabetes leiden, kann die vierte Dosis jedoch wichtig sein, um auch in
       der nächsten Welle noch gut vor schweren Verläufen geschützt zu sein.
       
       3. Wäre es nicht besser, auf den neuen [3][Omikron-Impfstoff zu warten?] 
       
       Wer sich jetzt impfen lässt, sollte mindestens drei, eher sechs Monate mit
       der nächsten Immunisierung warten. Nicht, weil die Impfungen so schädlich
       wären, sondern weil die Wirkung der nächsten Dosis sonst verpufft. Man kann
       sich ausrechnen, was das bedeutet: Eine Impfung mit den schon bald
       erwarteten angepassten Impfstoffen wäre nach einer Immunisierung jetzt
       frühestens zum Dezember ratsam. Das könnte zu spät sein für die nächste
       Welle. Wer bereits drei Impfungen hat, gesund ist und den angepassten
       Impfstoff haben möchte, wartet deshalb besser noch. Für Ältere und
       Vorerkrankte gilt das jedoch nicht. Sie sollten sich, falls noch nicht
       geschehen, möglichst bald ein viertes Mal impfen lassen.
       
       4. Hilft die Impfung überhaupt noch, Ansteckungen zu verhindern? 
       
       Ja. Sie ist nicht sterilisierend, verhindert Ansteckungen also nicht
       komplett, deshalb kommt es zu Durchbruchinfektionen. Aber Studien haben
       klar gezeigt, dass dreifach Geimpfte ein geringeres Risiko haben, sich zu
       infizieren, als gar nicht oder unvollständig Geimpfte. Jede Auffrischung
       danach stärkt allerdings nur noch vorübergehend den Schutz vor einer
       Infektion. Wichtig bleibt die dreifache Grundimmunisierung.
       
       5. Könnten die Ansteckungszahlen überhaupt nochmal höher steigen als im
       Sommer? 
       
       Selbstverständlich. Die Inzidenz kann sogar noch den bisherigen Rekord von
       Ende März übertreffen. Dazu trägt maßgeblich die große Impflücke bei. Zudem
       sind weder Genesene noch Geimpfte vor einer Infektion geschützt. Kommt im
       Winter eine neue Variante, die durch Immunflucht auch den Schutz vor
       Ansteckung weiter untergräbt, kann sich das Virus wieder stark verbreiten –
       zumal Corona seine Saison ohnehin eher im Winter hat. Es gibt
       Modellierungen, die für den Winter eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als
       3.000 prognostizieren. Vorausgesetzt, es wird wieder [4][nicht rechtzeitig
       gehandelt].
       
       6. Viele haben inzwischen die zweite oder gar dritte Infektion hinter sich
       – warum ist es besser, sich davor zu schützen? 
       
       Auch eine überstandene Infektion kann schützen – vorausgesetzt, sie wird
       durch eine zusätzliche Impfung ergänzt. Der Schutz durch Infektion ist
       nachweislich nicht so gut und stabil wie der durch die Impfung. Das liegt
       auch daran, dass die verfügbaren Impfungen das Immunsystem sehr gezielt
       trainieren können. Noch wichtiger aber ist: Die Infektion ist deutlich
       gefährlicher als eine Impfung. [5][Folgen wie Long Covid] oder
       Herzmuskelentzündungen treten nach einer Ansteckung sehr viel häufiger auf
       als nach einer Impfung. Diese Risiken einzugehen, ist unvernünftig.
       
       7. Warum hat die Impfung nicht die Hoffnung erfüllt, eine Exit-Strategie
       für die Pandemie zu sein?Der wichtigste Grund ist die nach wie vor zu
       geringe Impfquote. Wären alle Menschen in Deutschland dreifach geimpft und
       je nach Risikostatus auch geboostert, hätte das Virus kaum noch Chancen,
       das Gesundheitssystem an den Rande des Kollaps zu bringen. Die Pandemie
       könnte auch jetzt noch und mit den gegenwärtigen Impfstoffen in eine Phase
       übergehen, in der das Virus zwar nicht mehr aufhört, Menschen zu
       infizieren. Es würde aber nicht mehr täglich viele Menschenleben kosten.
       Das wäre dann das Ende der Pandemie.
       
       8. Gibt es überhaupt Hoffnung auf ein Ende der Pandemie? 
       
       Je länger sich das Virus noch so stark wie bisher verbreiten kann, desto
       mehr Möglichkeiten bekommt es, sich zu verändern. Neue Varianten erzeugen
       neue Wellen, manche von ihnen werden schlimmer, andere – wie wir sie jetzt
       im Sommer hatten – weniger schlimm sein. Angepasste Impfstoffe und eine
       höhere Impfbereitschaft könnten helfen, die Folgen soweit abzumildern, dass
       die Gesellschaft damit gut leben kann. Dieser Punkt ist aber sicher noch
       nicht erreicht.
       
       9. Die [6][Schule fängt jetzt wieder an]. Was erwartet uns? 
       
       Das lässt sich schwer sagen. Schulschließungen soll es nach dem Willen der
       Koalition nicht mehr geben. Einschränkungen im Schulbetrieb sind aber
       möglich, sollte sich das Virus wieder stark verbreiten. Vieles hängt von
       der Variante ab, mit der wir es im Winter zu tun bekommen sowie mit den
       Maßnahmen, die dann ergriffen werden – oder ergriffen worden sind. Genug
       Zeit zur Installation von Luftfilteranlagen in den Klassenräumen gab es
       mittlerweile jedenfalls. Für den Ernstfall bleibt zu hoffen, dass an den
       Homeschooling-Konzepten gefeilt wurde.
       
       19 Aug 2022
       
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