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       # taz.de -- Regierungskrise in Montenegro: Durch Misstrauensvotum gestürzt
       
       > Hoffnungen ruhten auf dem Ministerpräsidenten Dritan Abazović. Ein
       > Abkommen mit der serbisch-orthodoxen Kirche brachte ihn nun zu Fall.
       
   IMG Bild: Dritan Abazovic während einer Sitzung im Parlament am 19.08.2022
       
       Split taz | Es hatte große Hoffnungen auf eine demokratische Zeitenwende in
       Montenegro gegeben, als der 36-jährige grün-liberale Politiker Dritan
       Abazović dort vor dreieinhalb Monaten zum Ministerpräsidenten gewählt
       wurde. Doch der Vorsitzende der Reformpartei URA ist jetzt in der Nacht zum
       Samstag per Misstrauensvotum gestürzt worden.
       
       50 von 81 Abgeordneten stimmten auf Initiative der Demokratischen Partei
       der Sozialisten des Staatspräsidenten Milo Djukanović und vier weiterer
       Fraktionen gegen Abazović. Nur ein Abgeordneter stimmte gegen den Antrag,
       die übrigen Abgeordneten boykottierten die Abstimmung.
       
       Abazović hatte sein Amt erst am 28. April angetreten, nachdem die
       mehrheitlich proserbische Vorgängerregierung, der er seit 2020 selbst
       angehört hatte, [1][im Februar im Parlament gestürzt] worden war. Der
       selbst aus der albanischen Volksgruppe stammende Abazović führte dann eine
       prowestliche Minderheitsregierung.
       
       Der bunten Koalition gehörten seine Partei URA, Grüne, Sozialdemokraten
       sowie Parteien von Albanern und Bosniaken an. Allerdings wurde das
       Parteienbündnis von der stärksten Partei in Montenegro, der Demokratischen
       Partei der Sozialisten (DPS), nur geduldet. Und von genau dieser Partei
       wurde jetzt die Reißleine gezogen.
       
       ## Abazosécs politischer Spagat mit proserbischen Parteien
       
       Vorerst wird Abazović zwar weiter regieren können, bis eine neue Regierung
       gebildet ist oder Neuwahlen ausgerufen werden. Doch werden die Sozialisten
       in Zukunft die Zügel wieder an sich ziehen.
       
       Abazović ist zwar prowestlich eingestellt, aber er ist auch ein Gegner des
       sozialistischen Langzeitpräsidenten Milo Djukanović. Denn den sieht er als
       Repräsentanten eines korrupten Systems an. So versuchte er schon im Jahr
       2020 einen politischen Spagat, indem er eine Koalition mit den
       proserbischen Parteien einging.
       
       Auch nachdem Abazović selbst Ministerpräsident wurde, versuchte er weiter
       Unterstützung aus diesem Lager für sich zu gewinnen. Das hat ihm scharfe
       Kritik eingetragen.
       
       So beging er den großen Fehler, bei einem Besuch in Srebrenica die
       serbischen Verbrechen dort zu relativieren und damit den dortigen Genozid
       im Sinne der serbischen nationalistischen Propaganda herunterzuspielen. Das
       kam nicht einmal in der eigenen Partei gut an.
       
       Doch der wesentliche Grund für seinen jetzigen Sturz besteht in dem
       Abkommen, das er mit der serbisch-orthodoxen Kirche geschlossen hat. Der
       Kirchenvertrag gilt als umstritten, weil er der von Serbien aus gelenkten
       orthodoxen Kirche in Montenegro Sonderrechte einräumt. Diese betreffen vor
       allem das Eigentum an Grund und Boden sowie an den Kirchen und Klöstern,
       auf die auch die montenegrinisch-orthodoxe Kirche Anspruch erhebt.
       
       Die seit der Unabhängigkeit von Serbien 2006 wiedererstandene
       montenegrinische Kirche will das Eigentum, das nach dem Ersten Weltkrieg
       wie der gesamte Staat von Serbien annektiert wurde, wieder zurückhaben.
       
       ## Kritiker sehen Reformprojekte infrage gestellt
       
       Da die Sozialisten unter Djukanović die montenegrinische Kirche
       unterstützen, werden sie von den proserbischen Kräften mit allen Mitteln
       erbittert bekämpft. Abazović habe in dieser Frage also für Serbien Partei
       ergriffen und er habe die eigenen Reformprojekte infrage gestellt, monieren
       seine Kritiker.
       
       Die Spannungen zwischen Abazović und den Parteien hatten drei Tage zuvor
       dazu geführt, dass die Wahlen von Mitgliedern für einen politisch
       unabhängigen Justizrat in der Volksvertretung gescheitert sind. Die
       EU-Kommission hatte diesen Schritt gefordert. Das kleine Adria-Land ist
       seit 2017 Mitglied der Nato und strebt einen EU-Beitritt an.
       
       22 Aug 2022
       
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   DIR Erich Rathfelder
       
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