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       # taz.de -- Buchautor über die Klimakrise: „Es ist genug da“
       
       > Die Klimakrise zu bewältigen, ist gar nicht so schwer, meint Autor Jan
       > Hegenberg alias „Der Graslutscher“. Man dürfe nur nicht perfektionistisch
       > sein.
       
   IMG Bild: Speicherfrage noch nicht komplett gelöst? Trotzdem wäre bei der Energiewende schon viel mehr drin
       
       taz: Herr Hegenberg, Ihr gerade erschienenes Buch heißt [1][„Weltuntergang
       fällt aus“]. Wie sehr sind Sie davon überzeugt, dass das stimmt? 
       
       Jan Hegenberg: Als das Thema Klimawandel groß wurde, hatte ich ein deutlich
       pessimistischeres Bild von der ganzen Sache als jetzt. Aber seitdem ich
       mich intensiv damit beschäftige, ist es eher wieder ins Positive
       geschwenkt.
       
       Woran liegt das? 
       
       An der technischen Entwicklung. Mir war nicht bewusst, wie nah wir schon
       daran sind, dass wir all das, was wir momentan so machen, einfach ohne
       fossile Brennstoffe machen können. Angefangen natürlich bei der
       Stromerzeugung, aber auch in vielen anderen Bereichen. Da sah es 2010 auf
       jeden Fall noch düsterer aus.
       
       Sie beschreiben in Ihrem Buch aber auch, dass das nicht alle Menschen so
       optimistisch sehen. 
       
       Ein Irrglaube, der mir häufig begegnet, ist, dass Deutschland viel zu klein
       ist, um genug erneuerbare Energie bereitzustellen. Dabei brauchen wir nur
       einen sehr kleinen Teil der Fläche Deutschlands, um die nötige
       Energiemenge, die viele Forschungsarbeiten prognostizieren, durch
       Solarkraft und Windenergie herzustellen. Außerdem unterschätzen viele
       Menschen, wie schnell Entwicklungen möglich sind, wenn neue Märkte
       entstehen. Wenn man die Entwicklung im Sektor der Erneuerbaren zum Beispiel
       mit denen im Smartphone-Sektor vergleicht, dann sieht man, dass da gerade
       sehr ähnliche Prozesse stattfinden.
       
       Trotzdem ist bisher nicht klar, wie wir [2][erneuerbare Energie ausreichend
       speichern] können. Das ist aber ein Knackpunkt, wenn wir das Ziel von 100
       Prozent erneuerbarer Energie erreichen wollen. 
       
       Das stimmt. Viele der Technologien sind jetzt noch nicht im industriellen
       Maßstab verfügbar – beispielsweise Elektrolyseure für grünen Wasserstoff.
       Diese und andere Speichertechnologien sind aber grundsätzlich skalierbar
       und könnten ausgebaut werden. Ich bleibe hier nur im Konjunktiv, weil ich
       nicht weiß, was jemand in zwei Jahren vielleicht noch erfindet.
       
       Was viele Menschen außerdem unterschätzen: Selbst wenn wir erst mal gar
       keine Speicher hätten, könnten wir den Anteil von Erneuerbaren im Strommix
       schon auf etwa 85 Prozent erhöhen. Das wäre schon ein gigantischer
       Fortschritt. Deswegen denke ich zu Speichern: Das ist zwar ein Problem,
       aber es ist das kleinere Problem.
       
       Als eher kleines Problem beschreiben Sie auch, dass Windräder, E-Autos und
       Solartechnik Ressourcen brauchen. Wir nutzen schon jetzt mehr Ressourcen,
       als eigentlich zur Verfügung stehen, und zerstören Ökosysteme, die wir
       brauchen, um halbwegs resilient gegen die Folgen der Klimakrise zu sein.
       Warum ist das für Sie kein Grund, weniger optimistisch zu sein? 
       
       In der veganen Szene, aus der ich eigentlich komme, gibt es den Leitspruch
       „Don’t let perfect be the enemy of good“ …
       
       Also: Nicht vor lauter Perfektionismus gar nichts machen, sondern lieber
       eine unvollkommene, aber gute Lösung suchen? 
       
       Man sollte neue Maßnahmen, die deutlich besser sind als die alten, nicht
       ablehnen, nur weil sie nicht perfekt sind. Der Status quo, den wir momentan
       haben, verbraucht viel mehr Ressourcen als ein erneuerbares System. Das
       allein ist vielleicht noch kein Argument, aber wenn wir uns in Zukunft
       geschickt anstellen, dann verbrauchen wir Ressourcen nicht weiter, sondern
       gebrauchen sie. Nachdem zum Beispiel Lithium einmal aus der Erde gefördert
       wurde, können wir es im besten Fall viele, viele Male wiederverwenden.
       
       Sie beschreiben in Ihrem Buch auch ein Positivszenario für einen Tag im
       Jahr 2040. Was meinen Sie: Was ist der größte Unterschied zu einem Tag im
       Jahr 2022? 
       
       Der größte Unterschied ist, dass wir eine Verkehrswende hinbekommen haben
       und sich der Lebensraum der Menschen nicht mehr an bestimmten
       Transportmitteln, sondern am Menschen ausrichtet. Außerdem kann Energie
       sehr viel billiger sein, als es heute der Fall ist, wodurch sich neue
       Branchen entwickeln könnten.
       
       Sie meinen auch, dass Güter wie Kaffee- und Kakaobohnen, Fleisch und
       Baumwollfasern 2040 aus dem Labor kommen – damit für deren Anbau [3][kein
       Regenwald mehr gerodet werden muss]. Wäre es nicht einfacher und günstiger,
       wenn wir schlicht weniger konsumieren würden? 
       
       Ich finde „weniger“ gut und lebe das auch selbst. Und es stimmt, es wäre
       viel einfacher, wenn wir zum Beispiel darauf verzichten würden, um die 60
       Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr in Deutschland zu konsumieren. Vielen
       Menschen hilft es aber, nicht einfach auf etwas verzichten zu müssen,
       sondern eine Alternative angeboten zu bekommen. Langfristig ist meine
       Hoffnung, dass Menschen von allein weniger konsumieren.
       
       Warum sollten sie das denn tun? Muss es da nicht Regulierungen geben? 
       
       Das würde den ganzen Prozess auf jeden Fall beschleunigen. In meinem Buch
       konzentriere ich mich darauf, was technisch möglich ist, und nicht darauf,
       was jeder Einzelne machen sollte. Aber natürlich können erneuerbare
       Energien und Technologie allein nicht alle Probleme lösen. Wenn also zum
       Beispiel bei klima- und umweltschädlichen Produkten die Schäden mit
       eingepreist würden und diese dadurch deutlich teurer würden, wäre das schon
       hilfreich und ein wichtiges Signal.
       
       Aktuell geht es viel um Energieknappheit: Müssen wir im erneuerbaren Jahr
       2040 denn überhaupt noch Energie sparen? 
       
       Ich glaube nicht, dass wir sparen müssen, aber es wird sich einfach lohnen.
       Zumindest werden wir aber nicht mehr auf Krisen internationaler
       Größenordnung stoßen, wenn wir es nicht tun – einfach, weil wir mit
       Erneuerbaren viel unabhängiger sein werden als mit fossilen.
       
       Aber ich bin natürlich trotzdem nicht dafür, dass wir, nur weil wir so
       schön viel saubere Energie haben, dann in jedem Haus einen Pool
       installieren. Denn auch für erneuerbare Energie müssen wir in die Natur
       eingreifen. Das heißt, es wird immer wichtig sein, dass wir nicht mehr
       Energie verbrauchen, als wir eigentlich benötigen. Ich will aber beruhigen
       und sagen: Es ist genug da, um den aktuellen Lebensstandard zu halten. Was
       wir als Gesellschaft wirklich brauchen, darüber können wir streiten.
       
       22 Aug 2022
       
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   DIR [2] /Speicher-fuer-erneuerbare-Energien/!5869044
   DIR [3] /EU-will-Entwaldung-stoppen/!5861091
       
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