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       # taz.de -- Liebesbrief an das Tischtennis: Die Pingpong-Nation
       
       > Im Tischtennis ist Deutschland schon lange Weltspitze. Die breite
       > Mehrheit denkt bei dem Sport aber eher an Steinplatten und Bier. Eine
       > Liebeserklärung.
       
   IMG Bild: Ping, Pong
       
       Deutschland ist, auch wenn das so wenige öffentlich sagen würden, eine
       Tischtennisnation. Seit Jahren gehören deutsche Profis zur Weltspitze, oft
       können sie nur die übermächtigen Chines:innen stoppen. Bei
       Europameisterschaften dominierten dann schon oft genug die Roßkopfs, Bolls
       und Ovtcharovs.
       
       Allein der [1][legendäre Timo Boll] hat schon acht (!) EM-Titel geholt.
       Dass auch die neue Generation nahtlos an solche Erfolge anknüpfen kann,
       [2][haben soeben Dang Qiu] (Männer-Gold) und Nina Mittelham (Frauen-Silber)
       bei der EM in München bewiesen. Bei den Damen standen gleich drei Deutsche
       im Halbfinale. Bei den Herren waren drei unter den besten acht. So sieht
       Dominanz aus.
       
       Das alles kommt freilich nicht von ungefähr: Den Deutschen Tischtennis-Bund
       (DTTB) gibt es bald schon hundert Jahre. Am Rande der ersten
       Weltmeisterschaft im Jahr 1926 ist Deutschland eines von sechs
       Gründungsmitgliedern des internationalen Dachverbandes ITTF. Bei so viel
       Tradition kann kaum verwundern, dass es heute 10.000 Vereine mit mehr als
       einer halben Million Aktiven gibt. Erstaunlicher ist, dass Tischtennis im
       öffentlichen Leben so sichtbar ist wie kaum eine andere Sportart, von
       Fußball mal abgesehen.
       
       Kaum ein Pausenhof, kaum ein Spielplatz kommt ohne die mausgrauen
       Betonplatten aus, die man meist erst hört und dann sieht. Pleng, pleng.
       Unverwechselbar ist der Ton, der entsteht, wenn ein Schmetterball von dem
       harten grobmaschigem Metallnetz zurückprallt. In den Großstädten [3][stehen
       die Platten überall]: unter Platanen, neben Backsteinbauten, in Parks. In
       Berlin weisen die Bezirksämter sogar die Standorte einzelner Platten aus.
       Selten findet man sie unbesetzt. Oft treffen sich dort ganze
       Freundeskreise. Auf ’ne Partie und ’n Bierchen scheint für viele gut in den
       Alltag zu passen. Tischtennis als Trendsport. Zumindest im Sommer.
       
       ## Epische Matches
       
       Doch der erste Blick trügt. Denn Tischtennis ist keinesfalls ein
       Breitensport. Breiten-Freizeitbeschäftigung wäre treffender. Denn das, was
       viele an den Platten treiben, hat mit dem Sport wenig zu tun. Dieses
       Schicksal teilen natürlich auch andere Sportarten – man denke nur an
       Badminton, pardon Federball – doch Badminton wird wenigstens als Sport
       ernst genommen. Tischtennis hingegen wird gerne belächelt. Als Tennis für
       Unfitte. Wer nur fies genug den Ball schneiden kann, gewinnt. Nicht die
       Person mit der feineren Schlagtechnik oder der besseren Physis.
       
       Zu diesem Image trägt ausgerechnet einer der wenigen Profis bei, die der
       breiteren Öffentlichkeit bekannt sind: Timo Boll. Denn auch mit seinen 41
       Jahren galt Boll bei den Europameisterschaften in München als heißer
       Titelanwärter. Europas Bester mit 41? Nach seinem Ausscheiden im
       Viertelfinale – gegen seinen Düsseldorfer Vereinskameraden Qiu, der später
       Gold holte – sprach Boll munter vom weitermachen. In Paris will er seine
       siebten Olympischen Spiele bestreiten. Mit dann 43 Jahren. Man stelle sich
       vor, DFB-Kapitänin Alexandra Popp – Heldin der Fußball-EM in Großbritannien
       – würde Ähnliches über ihre Karriere Anfang vierzig prophezeien. Kein
       Wunder, dass Tischtennis bis heute nicht mit Athletik und hartem Training
       assoziiert wird, sondern mit Sommer und Feierabendlaune.
       
       Dabei lohnt es sich, den Profis zuzusehen – und sein Bild vom Sport zu
       korrigieren. Wie Qiu den Endspiel-Favoriten Darko Jorgić mit seinen
       knallharten Topspins schachmatt setzte, ist technisch, athletisch, mental
       vom Feinsten. Vor Kurzem sorgte Patrick Franziska für ein
       Tischtenniswunder, als er im Spiel seines Lebens den schier unbezwingbaren
       Chinesen Ma Long schlug. Doch von solchen epischen Matches und seinen
       Held:innen bekommen die wenigsten etwas mit. Dabei wurden 2001 extra
       größere Bälle eingeführt, um das Spiel langsamer – und dadurch attraktiver
       für den Fernsehzuschauer zu machen.
       
       Vielleicht führt ja die emotionale – weil verletzungsbedingte – Niederlage
       der Silbermedaillengewinnerin Nina Mittelham dazu, die Alltags- endlich
       auch für die Spitzensportler:innen zu interessieren. Wie es in den
       meisten anderen Sportarten normal ist. Und wenn nicht, auch nicht tragisch.
       Dann bleiben deutsche Tischtenniserfolge halt ungerühmt – und Deutschland
       eine Pingpong-Nation.
       
       22 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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