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       # taz.de -- Kampf gegen verwahrloste Häuser: 450 Euro Miete für ein Dreckloch
       
       > Wegen desolater Zustände räumt die Stadt Bremen ein „Haus des Grauens“.
       > Ein Gesetz dafür gibt es schon seit 2015, doch lange wurde es nicht
       > genutzt.
       
   IMG Bild: Keine Bäder, keine Küche, katastrophale Zustände: Das „Haus des Grauens“ in Bremen wurde geräumt
       
       Bremen taz | Die Bremer Innenbehörde hat ein Wohnhaus räumen lassen, weil
       dort, so die Pressestelle, „menschenunwürdige, unhaltbare Zustände“
       herrschten: Fotos zeigen ungesicherte Stromkabel, die einfach aus den
       Wänden hängen; die Nebengebäude seien alle akut einsturzgefährdet; Küchen,
       Bäder und Toiletten funktionierten nicht; ihre Notdurft verrichteten die
       Menschen offenbar auf einem Teil des Innenhofs. „Haus des Grauens“ schreibt
       die Bremer Innenbehörde dazu in ihrer Pressemitteilung.
       
       Aufgefallen waren die katastrophalen Zustände bei einer Wohnungsbegehung
       durch die Bremer Wohnungsaufsicht und das Gesundheitsamt Anfang August. Der
       Anlass war einigermaßen banal: Nachbar*innen hatten Probleme mit Ratten
       gemeldet. Es folgte eine schnelle weitere Besichtigung mit Ordnungsamt,
       Feuerwehr, Polizei, Gesundheitsbehörde und Baubehörde am 9. August. Noch am
       selben Tag mussten die zehn Mieter*innen ihre Sachen packen und
       ausziehen – die Brandgefahr war zu hoch.
       
       Das Haus im Ortsteil Oslebshausen in Bremen-Gröpelingen ist mittlerweile
       versiegelt. Unter Androhung von hohem Zwangsgeld ist dem Eigentümer die
       weitere Vermietung versagt worden. Dem Niedersachsen gehört ein weiteres
       Haus in der direkten Nachbarschaft, das bereits im Januar ausgebrannt ist.
       Mindestens eine weitere Immobilie besitzt er in der Stadt. Die
       Wohnungsaufsicht wird jetzt auch dort die Zustände prüfen.
       
       Zumindest in einer Hinsicht hat sich der Vermieter bis zuletzt um die
       Wohnungen gekümmert: Mieterhöhungen gab es weiterhin. Bei der Hausbegehung
       wurde unter anderem ein aktueller Brief gefunden, in dem er eine Steigerung
       auf 450 Euro ankündigte.
       
       ## Für die Bewohner*innen ist jetzt nicht alles gut
       
       Bewohnt worden war das Haus von neun Männern und einer Frau. Sie gehören
       laut Behörde der Drogen- und Alkoholikerszene an. Zwei von ihnen seien
       stark gehbehindert; einer sitze im Rollstuhl. „Die Bewohner solcher Häuser
       haben in der Regel nicht mehr die Kraft, [1][selbst gegen die
       menschenunwürdigen Zustände vorzugehen]“, sagt Innensenator Ulrich Mäurer
       (SPD). „Die Menschen haben Angst, aus ihrer Wohnung herauszufliegen“,
       ergänzt seine Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler. „Ein anderes Zuhause haben
       sie nicht.“
       
       Für sie hat sich die Situation nicht verbessert: Zwar wurde für alle erst
       einmal eine neue Unterkunft gefunden – allerdings am anderen Ende der
       Stadt, in einem „Schlichthotel“, einer Art Notunterkunft in Hemelingen.
       Lange ausgehalten haben sie es dort nicht: Einige sind zurückgekehrt und
       haben sich im Erdgeschoss des ausgebrannten Nachbarhauses niedergelassen.
       
       „Sie wollten offenbar in ihrem Kiez bleiben“, sagt Gerdts-Schiffler. Ein
       Sozialarbeiter vor Ort habe ihr die Motivation geschildert: Die zehn
       Menschen seien eine verzweifelte Gemeinschaft, aber eine Gemeinschaft – und
       die wolle eben zusammen wohnen.
       
       Wie es für sie weitergeht, steht noch nicht fest. Beteiligt sind mehrere
       Ressorts, die nicht immer alles voneinander wissen. Mitarbeiter der
       Zentralstelle für Wohnen (ZfW) der Sozialbehörde waren vor Ort und haben
       ihnen Flyer zu alternativen Wohnangeboten vorbeigebracht. Ob die Menschen
       in dem Brandhaus in einzelnen Wohnungen untergekommen sind, oder ob sie
       schlicht im Hausflur übernachten, ist bei der ZfW aber nicht bekannt.
       
       Auch ob die Brandruine statisch überhaupt ausreichend sicher ist, um dort
       zu übernachten, weiß man beim Sozialressort nicht. Schließlich fehlt noch
       immer die Stellungnahme der Baubehörde dazu. Die Innenbehörde möchte „mit
       der Polizei nur im absoluten Notfall einschreiten“, sagt Gerdts-Schiffler.
       Eine letzte Lösung könne das aber sein, wenn Gefahr im Vollzug ist.
       
       Dass die Stadt beim „Haus des Grauens“ überhaupt einschreiten durfte, ist
       dem Bremischen Wohnungsaufsichtsgesetz zu verdanken, das Bremen und
       Bremerhaven die Besichtigung von verdächtig heruntergekommenem Häusern
       erlaubt – und als letztes Mittel eben auch die Räumung. Das Gesetz wurde
       schon 2015 von der damaligen rot-grünen Koalition verabschiedet. In
       Bremerhaven gibt es seit fünf Jahren innerhalb der Bauordnung ein eigenes
       Sachgebiet „Wohnungsaufsicht“. S[2][eitdem werden Problemimmobilien
       kontrolliert.]
       
       In Bremen hingegen passierte lange nichts: Im grün geführten Bauressort gab
       es für die Aufgabe überhaupt kein zusätzliches Personal, zeigt eine
       Senatsantwort auf eine Anfrage der CDU von 2021. Entsprechend wurde in der
       Stadt von 2015 bis 2020 kein einziger Fall im Rahmen des neuen
       Wohnungsaufsichtsgesetzes bearbeitet.
       
       Die Bremer Beiräte, ehrenamtlich arbeitende Stadtteilparlamente, wurden
       auch nach 2015 im Glauben gelassen, dass es gegen verkommene Immobilien
       keine gute Handhabe gäbe. „Das Haus, das jetzt geräumt wurde, hatten wir
       schon länger auf der Liste“, erzählt Rolf Vogelsang, der für die SPD im
       Beirat Gröpelingen sitzt. „Aber es hieß immer, gegen die Eigentümer könne
       man nicht vorgehen.“
       
       ## Wohnungsaufsicht liegt jetzt beim Innenressort
       
       Mitte 2020 ist die Aufgabe von der Senatorin für Stadtentwicklung auf das
       Ordnungsamt unter Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) übergegangen. Dort wurde
       eine eigene Koordinierungsstelle „Wohnungsaufsicht“ eingerichtet. Fest
       besetzt ist die Stelle erst seit Anfang diesen Jahres. Der zuständige
       Mitarbeiter soll die Arbeit zwischen allen Ressorts koordinieren, die bei
       bewohnten Schrottimmobilien zu beteiligen sind.
       
       Der Präventionsrat des Gröpelinger Beirates hat seine Liste mit
       Schrottimmobilien mittlerweile an den Koordinator geschickt – auch das
       jetzt geräumte Haus war dabei. Die Arbeit läuft: In den ersten sechs
       Monaten wurden laut Innenbehörde bereits 54 Häuser in Bremen kontrolliert.
       
       Zustände wie jetzt in Oslebshausen wurden dabei kein weiteres Mal
       festgestellt. Bisher habe man eine Räumung immer abwenden können und die
       Vermieter in die Pflicht genommen, Mängel zu beseitigen. Bei der
       Innenbehörde geht man aber davon aus, dass das nun geräumte [3][Haus nicht
       das letzte seiner Art] bleibt.
       
       26 Aug 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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